Wolfgang Wagner:Das unterschätzte fränkische Genie

Lesezeit: 3 min

Wolfgang Wagners Wirken in 57 Bayreuther Festspiel-Jahren: Vom technischen Direktor zum Patriarchen.

Joachim Kaiser

Bismarck hat einmal gesagt, jeder Superlativ provoziere seinen Widerspruchsgeist. Trotzdem seien - wenn nun der 89-jährige Wolfgang Wagner in Bayreuth die Zügel sozusagen freiwillig aus der Hand gibt, obwohl er laut Vertrag auch lebenslänglich hätte an der Macht bleiben können - zwei Superlative gewagt. Wolfgang Wagner brachte es zum mit Abstand dienstältesten aller Intendanten. Und: Zwischen 1966 und 1993 war er wohl doch der unternehmungslustigste, freieste, produktivste Theaterleiter der Welt.

Danach schienen sich seine Ästhetik und sein Anspruch zu ändern. Und zwar leider manchmal auch zum Eventhaften, nicht unbedingt streng Werkbezogenen, sondern zum Unternehmungslustigen und Musik-Fernen hin.

Gleichviel: Wie Wolfgang Wagner in seinen besten Jahren, (dabei übrigens dem Großvater auch physiognomisch immer ähnlicher) stets riskant abwechslungsreich agierte, wie er Dirigenten und Regisseure wählte, wie er die unauffälligen, hohen Standards der Bayreuther Darbietungen (selbstverständliche Orchesterkultur, fabelhafte Qualität der Chöre, Einhaltung traditioneller Präsentations-Usancen) zu wahren wusste, das alles war nicht nur gut oder routiniert gekonnt. Sondern sehr gut, genial.

Wer weiß, ob nicht diejenigen, die lange Jahre über den schlauen, machtbedachten, in die späte Tochter vernarrten Patriarchen seufzten, sehr bald Grund haben werden, sich nach ihm zurückzusehnen. Weil er schrecklich "fränkisch" sprach oder babbelte, weil er nach 1951 im Schatten seines zwei Jahre älteren, aggressiv genialen Bruders Wieland stand, haben intellektuelle Wagnerianer den jüngeren Bruder stets unterschätzt.

Noch die bayrische Kultur-Bürokratie glaubte, leicht mit dem provinziellen Bayreuther Störenfried fertigwerden zu können und blamierte sich dann nachhaltig gegen den wahrlich nicht Harmlosen. Wolfgang Wagner formulierte im Spiegel eisig, Zehetmair hätte nichts Besseres zu tun gehabt, "als jeden Tag eine neue Unwahrheit, oder Unverschämtheit über mich verbreiten zu lassen".

Im Schatten Wielands

Wolfgangs unfeierliches "Fränkisch" täuschte seine Gegner genauso, wie einst die sächsischen Urlaute des Großvaters das feine deutsche Establishment belustigt hatten - nur dass dann eben der kleine Sachse mit dem Bombentalent doch siegte und seinen bürgerlichen Gegnern triumphierend entgegenhielt, für sich hätte er immerhin "die Jugend und die Juden".

Als 1951 das Neue Bayreuth begann, war Wieland Mittelpunkt. Seine "Parsifal"-Deutung, seine "Ring"-Inszenierung wurden weltweit diskutiert. Erst 1953 durfte auch Wolfgang einen "Lohengrin", dann einen "Fliegenden Holländer", später, 1957, eine etwas ziellose "Tristan"-Inszenierung bieten, über die Wieland Wagner lauthals schimpfte. Wolfgang Wagner galt anfangs höchstens als Organisator, technischer Direktor, der auch mal inszenieren durfte. Wieland indessen wurde gefeiert oder auch geschmäht als eigentlicher Inspirator des Neuen Bayreuth. Viel Bitterkeit, die später nachwirkte, mag damals entstanden sein.

Aber alle familiären oder sonstigen Kräche sind belanglos. Einzig die Produktion entscheidet. Was da in Wolfgang steckte, lehrten, zwei Jahre nach Wielands Tod, eben doch seine "Meistersinger" von 1968. Böhm dirigierte. Ein Riesenerfolg. Wolfgang betonte statt des auftrumpfend Chauvinistischen die Melancholie und Holdseligkeit des bürgerlichen Märchens.

Da standen keine nationalen Repräsentanten auf der Bühne, sondern harmlose, von sanfter Selbstzufriedenheit, Beschränktheit, aber auch Gutmütigkeit und Instinktsicherheit begabte deutsche Kleinbürger, denen man durchaus glaubte, dass sie eine vernünftige Kultur freier Reichsstädte zu schaffen imstande seien. Alles weder pompös, noch unerlaubt harmlos.

Zu solchen Lösungen war der Regisseur Wolfgang Wagner künstlerisch fähig. Und ist es nicht sogar ein Geniestreich des Intendanten Wolfgang Wagner gewesen, 1976 zum "Jahrhundert-Ring", das Wagnis zu unternehmen, den großartigen Patrice Chéreau zusammen mit Boulez zu engagieren - und klug-überraschend 1983 für den"Ring", den berühmten britischen Theatermann Peter Hall aus London nach Bayreuth zu locken und ihm Georg Solti an die Seite zu stellen?

Übrigens neigt alle Erinnerung zu nachträglicher Übertreibung. Gute, positive Eindrücke werden später zu überwältigenden, ein wenig schwächere zu absolut miserablen. In Wahrheit ist auch bei Chéreau "Das Rheingold" samt seltsamer Staustufe oder die "Götterdämmerung" keineswegs ganz außerordentlich gewesen, während bei Hall/Solti vieles akzeptabel, ja vorzüglich glückte.

Damals setzte Wolfgang auf Wagner-nahe Könner: Harry Kupfer, Jean-Pierre Ponnelle. Und eben nicht auf den zwar hochmusikalischen, aber allzu undramatisch langsamen Marthaler oder auf Tankred Dorst.

Suche nach Erneuerern

Wolfgang Wagner war bestimmt kein "Intellektueller". Trotzdem scheint mir unbegreiflich, warum er in seiner leider trockenen Autobiographie "Lebensakte" beispielsweise verschweigt, was er mir freimütig mitteilte. Nämlich, dass sein Bruder, Wieland Wagner, der Maler werden wollte, Hitler gefragt habe, ob er die Bilder der Münchner "Entartete Kunst"-Ausstellung wirklich so schlecht fände. Worauf Hitler geantwortet haben soll, er wisse schon, dass manches gewichtig sei - nur machten solche Kunstwerke die Deutschen dekadent, und das wolle er verhindern.

Einst besaß Wolfgang Wagner allen Ernstes den Mut, auf den Vorwurf, Bayreuth sei museal, die Erklärung zu geben, ein Museum könne, wenn es gut gestaltet sei, instruktiv sein und Maßstäbe setzen.

Mittlerweile aber misstraut Wolfgang den ausgebrannten Spezialisten. Sucht nach talentierten, notfalls unerfahrenen Erneuerern. Bei Dirigenten blieb er konservativer: Barenboim, Levine und die interessantesten der Branche hat er einst geholt. Dass es mit Furtwängler, Karajan oder Bernstein nicht klappen wollte, war kaum seine Schuld.

Erfährt man, wie inständig er sich noch als sehr alter Herr um Lars von Trier (für den letzten "Ring") mühte, wie oft er zu dem Schwierigen in den Norden reiste, um ihn zu ermutigen, und wie dann die psychischen Grenzen des Regisseurs das Projekt doch verhinderten - dann darf man dem großen alten Opernchef Wolfgang Wagner höchste Achtung nicht verweigern, selbst wenn manche Notlösungen sich als Nöte erwiesen.

Herzlichen Dank für alles. Bayreuth existiert wie eh und je, als Wagner-Kirche, als Publikumsmagnet. Als Operninstitut höchster Qualität geriet es in Bedrängnis. Auf den Nachfolgern lastet Schweres.

© SZ vom 30.08.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: