Wolf Biermann zum 70. Geburtstag:Verfluchte Menschheitsretterei

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Schöne, heile, böse Welt: Der Liedermacher Wolf Biermann ist der letzte deutsche Barrikadier. Heute abend wird ihm von Präsident Horst Köhler das Große Bundesverdienstkreuz verliehen.

Willi Winkler

Zum Schönsten, was von der DDR geblieben ist, gehören die Protokolle der fleißigen Lieschen von der Stasi. Weil alles wichtig war, wurde bei den Feindobjekten alles, aber auch alles verzeichnet. Manchmal lagen die Spitzel fast unterm Bett. "Biermann führt mit einer Dame Geschlechtsverkehr durch", berichtet der Berichterstatter, und dass die Dame anschließend einen Cognac erbeten habe. "Danach", hält das Beischlaf-Protokoll fest, "ist Ruhe im Objekt."

13.11.1976: Wolf Biermann gibt in der Kölner Sporthalle sein erstes Konzert auf einer bundesdeutschen Bühne seit Ostern 1965. Drei Tage danach, am 16.11.1976, wurde ihm die Staatsbürgerschaft und damit das Recht auf Aufenthalt in der DDR entzogen. (Foto: Foto: dpa)

In einem solchen Land kann man nicht leben, und das Land mochte den Überwachten dann auch nicht mehr haben und bürgerte ihn aus. Nach dem Konzert in Köln vor dreißig Jahren fand Biermann für die ersten Wochen Unterschlupf bei Günter Wallraff, den nun wieder der westdeutsche Geheimdienst überwachte. Weil im Westen die Presse frei ist, durften zwei Redakteure der Bild-Zeitung bei den MAD-Wanzen, mit denen Wallraff und sein Gast Biermann abgehört wurden, nutznießen. Die beiden Redakteure wurden später zu Geldstrafen verurteilt; die staatspolitisch so wertvollen Abhörprotokolle sind bis heute nicht veröffentlicht.

"Verdrehte Welt, das seh' ich gerne", hat der selbsternannte "Preußische Ikarus" zu solch einträchtiger Gesamtbetreuung beizeiten gedichtet. "Am Mittwoch werden wir alle 70, die in Ihrem 'Köln-Konzert' waren", schnulzt der Bild-Tribun Wagner, "was für eine aufregende Zeit." Ja, der Dichter Biermann hat sie besungen in seinem "Deutschen Miserere": "Hier fallen sie auf den Rücken/Dort kriechen sie auf dem Bauche/und ich bin gekommen/ach! kommen bin ich/vom Regen in die Jauche".

Wolf Biermann wollte es besser haben und ging mit sechzehn Jahren in die DDR. Der Sohn eines kommunistischen Hafenarbeiters, den die Nazis in Auschwitz ermordet hatten, wanderte 1953, kurz vor dem 17. Juni, nach Osten aus. Seine Jugendfreundin Margot Feist, im nämlichen Jahr verehelichte Honecker, soll ihn dazu überredet haben. Es wird ihr nicht schwer gefallen sein, denn Biermann wollte dabei sein, als der Sozialismus wenigstens da drüben Ernst machte.

Hymnen auf den Traktoristen

Als Arbeiterkind war er ein Hätschelhans in der DDR, durfte am Berliner Ensemble lernen und bei Hanns Eisler und brachte es bis zum Kandidaten der SED. Seine frühen Lieder auf Traktoristen und totgeschlagene schwarze Briefträger lieferten die verlangte Ware, kaum mehr. Einem fiktiven Kinde riet er, zu "unseren Soldaten" zu gehen, die Faschisten aus dem Westen abzuwehren. Er hatte nicht die Stimme von Ernst Busch, aber er schrieb sich seine Lieder selber, in bester pathetischer Tradition und immer parteilich. Nicht auf bessre Zeiten sollten die Genossen warten, sang er, schrie mit schöner Verzweiflung. "Viele werden dafür sorgen/dass der Sozialismus siegt/Heute! Heute, nicht erst morgen!"

Wolfgang Neuss holte ihn in den Westen, trat gemeinsam mit Biermann auf, der seiner da noch umgarnten Nomenklatura dann doch zu frech, zu sehr Bohémien und dabei nicht so hermetisch wie Heiner Müller oder Stephan Hermlin war. Brechts List hatten sie noch ertragen, seine Ironie überhört, aber wie dieser verdiente Troubadour des Volkes den wenig verlässlichen François Villon pries, das war zu viel. So sperrten sie ihn ein.

Yeah, Yeah, Yeah

Den Sohn des Dagobert Biermann aus Hamburg, der im Hafen die Waffenlieferungen für den spanischen Usurpator Franco sabotiert hatte, konnten sie nicht ins sozialistische Gefängnis stecken, aber zum Schweigen bringen. Nach dem 11. Plenum des ZK der SED 1965, auf dem Walter Ulbricht geschworen hatte, nicht jedes "Yeah, Yeah, Yeah!" aus dem Westen mitzumachen, erhielt Wolf Biermann Auftrittsverbot für seine Lieder zur Drahtharfe und einen Nimbus, von dem er bis heute lebt.

Ein paar Jahre davor wären seine Lieder verbrannt worden, da war es besser, ihm das Publikum zu nehmen. Er fand es im Westen, bei den Linken. Sein Verleger Klaus Wagenbach durfte nicht in die DDR, aber dessen Frau Katja schmuggelte die lyrische Konterbande trotz Leibesvisitationen durch die Grenzkontrollen, Spiegel-Redakteure halfen aus, staunende Besucher wie Allen Ginsberg.

1968 nach dem Attentat auf Rudi Dutschke wusste Biermann auf seiner Seite der Mauer, dass eine der drei Kugeln, die erste, "aus Springers Zeitungswald" kam, "Ihr habt dem Mann die Groschen/Auch noch dafür bezahlt". Springer hat nicht geschossen, nicht einmal seine dauerkrakeelenden Redakteure, aber in einem glücklichen Moment war dem Agitpropper auf der anderen Seite der Mauer in seiner inneren Verbannung diese Zuschreibung einfallen, mit der er vor dem Auge der Weltgeschichte doch Recht bekommt.

In seinen Liedern war die Welt einfach und klar, und Biermann nahm Partei für die Unterdrückten, die Ausgebeuteten, die Internationalen Brigaden, die heroischen Verlierer wie seinen Vater. Rührend seine Naivität, mit der er, nicht anders als Hans Werner Henze oder Peter Weiss, den "Comandante Che Guevara" anhimmelte: "Der rote Stern an der Jacke/Im schwarzen Bart die Zigarre/Jesus Christus mit der Knarre/- so führt Dein Bild uns zur Attacke" - Mann, Wolf Biermann konnte reimen! Und immer wieder das Stoßgebet seiner "Oma Meume": "O Gott, lass Du den Kommunismus siegn!"

Das tote Pferd noch töter reiten

Gott hatte zum Glück kein Einsehen, und die lumpigen Genossen schmissen ihn nach elf Jahren mit ostzonalem Knebel raus. Er hat's lange nicht verwunden, noch lange um Verständnis geworben für sein besseres Deutschland, in dem doch auch mal bessre Zeiten anbrechen mussten. Es ehrt ihn, dass er die DDR auch im Westen noch lang gegen den Westen verteidigt hat, selbst wenn fast nichts daran zu loben, gar zu retten war.

Manches Mal wurd's ihm zu viel, da wäre er lieber der böse Wolf gewesen, lieber poète maudit als Aufbauarbeiter für den Sozialismus, "weil ich so hundemüde bin von all /dieser menschheitsretterei und schlaf doch nie". Was sich, unvermeidlich, auf "melancholie" reimt, ein eher linkes Phänomen. Doch der große Freiheitsklampfer, er verkündete, was die Forderung des Tages war, für die spanische KP und gegen die CIA, "Gorleben soll leben" und den "Traum von der Commune". Biermann sang und klagte und sang, wieder gegen Springer, Strauß, gegen Berufsverbot und was so anlag.

Nicht ganz schlecht, wie er während der Sympathisantenhetze im Jahr 1977 den heutigen Kulturminister Bernd Neumann wegen dessen Wunsch nach einer Bücherverbrennung zwiebelte oder Axel Springer einen "Meinungs-Terroristen" nannte (und man meint zu hören, wie der Beifall dazu prasselt im Saal). Das alles kennt der Bild-Kunstrichter FJWagner natürlich nicht, der wie seine Kollegen 1976 ganz dichte bei war.

Bis 1989 die Wende kam und hinterher der Krieg gegen Saddam Hussein. Da endlich gab's wieder eine Minderheitenmeinung, das schöne Pathos des Rechthabens gegen die Mehrheit. Biermann wurde wieder Meinungssoldat für seine bessere Sache und ritt das tote Pferd DDR Jahr und Jahr noch töter. Wen die Weltgeschichte einmal hat, den gibt sie nicht wieder her, und jetzt war es der ehemalige Kommunist Biermann, der die DDR höchstpersönlich erledigt und auch noch Honecker und Mielke ins Grab gesungen hatte.

Kein Wunder, dass sich Biermann heut für den deutschen Nationaldichter, sogar für ein "Weltenkind" hält, gut goethisch äquidistant nach links und rechts, oder dem, was einmal die waffenstarrenden Brüder BRD und DDR waren. Im Alter neigt gar mancher zur Harmonie, und der liebe Biermann vergisst dann, dass er in seinen besten Zeiten immer Partei war und nicht das Harmonium der geistigen Einfalt in Frieden und Freiheit spielte.

Heute wird Dagobert Biermanns Sohn, der Deutschdichter Biermann, der einmal ein großer Bänkelsänger war, 70Jahre. Um den großen Herzenskommunisten, den Poeten jeder Barrikade, ist's ewig schad.

© SZ v. 15.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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