Wissenschaftliche Erforschung:Hechte, wollt ihr ewig quatschen?

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Fische schweben nicht einfach nur so still herum, sie kommunizieren mit ihren Artgenossen. Und das nicht nur im Kino. Wie, das weiß die Wissenschaft noch nicht genau - nur, dass sie nie über das Wetter reden.

Birgit Will

Sie plappern, jammern und jubeln, die grellbunten Korallenbewohner aus dem Trickfilm "Findet Nemo", der am heutigen Donnerstag in den Kinos anläuft. Bei der Suche nach dem kleinen Clownfisch wird in den verschiedensten Mundarten palavert. Alles pure Fantasie? Sind Fische nicht in Wahrheit sprichwörtlich stumm? Ganz und gar nicht, wie Aufnahmen mit Unterwasser-Mikrophonen beweisen. Allerdings ist die Unterhaltung ohne Synchronsprecher nur schwer verständlich. Da hört man ein Trommeln und Klicken, Stöhnen und Schnurren, Seufzen und Grunzen - so vielfältig, dass Nemos Freunde im Vergleich dazu einsilbig daherkommen. Immerhin sind erste Übersetzungsversuche bereits gelungen: "Komm, laich' mit mir", röhrt sehnsuchtsvoll der Krötenfisch auf der Suche nach einer Gefährtin. "Hau bloß ab", warnt der Flösselhecht seinen Rivalen. "Lass mich los", schreit mit letzter Kraft der Hering zwischen den Zähnen seines Feindes.

Die Botschaften sind universal, doch die Art, wie sie erzeugt werden, ist es nicht. "Säugetiere, Vögel und auch Frösche machen Geräusche immer nach dem gleichen Prinzip: Luft streicht über eine gespannte Membran", sagt der Zoologe Friedrich Ladich von der Universität in Wien. "Dagegen sind Fische äußerst erfinderisch." Mit spezieller Trommelmuskulatur versetzen sie ihre luftgefüllten Schwimmblasen in Schwingung; sie reiben ihre Flossen knarzend gegeneinander, knirschen mit den Zähnen oder zupfen an gespannten Sehnen wie an den Saiten einer Gitarre. Und eine völlig neuartige Form der Kommunikation wollen kanadische Wissenschaftler bei Heringen entdeckt haben: Indem diese gezielt Luft aus ihrem After perlen lassen, erzeugen sie ein Blubbern, das umso stärker wird, je mehr Heringe zusammenkommen (1). Die Forscher glauben, dass die Tiere sich auf diese Weise angeregt unterhalten.

Zwar geben nicht alle Fische Laute von sich - viele der 25000 bekannten Arten scheinen tatsächlich stumm zu sein. Geräusche wahrnehmen können dagegen alle, manche sogar besser als der Mensch. "Reden Sie getrost mit Ihrem Goldfisch, er kann Sie hören", weiß Ladich. Der Forscher versucht, mit Hilfe von Elektroden, die er am Kopf von Fischen anlegt, herauszufinden, wie lärmempfindlich die Tiere sind und wie sehr sie durch den Krach aus der Oberwelt leiden. Nach zwölf Stunden Beschallung mit 115Dezibel - das entspricht etwa dem Geräuschpegel einer Diskothek - ist das Hörvermögen deutlich beeinträchtigt; bei den empfindlichen Welsen sogar für zwei Wochen. Immerhin 180Dezibel hat Ladich kürzlich im österreichischen Traunsee gemessen, als während eines Rennens "Powerboats" mit 240Stundenkilometern über das Wasser bretterten.

Über Lärmverschmutzung machen sich auch die Wissenschaftler des Australischen Instituts für marine Forschung Sorgen. Der Fisch-Ökologe Mark Meekan hat mit Hilfe von feinsten Elektroden festgestellt, dass die Larven von Riffbewohnern die Geräusche ihrer Umgebung schon im Ei wahrnehmen und dadurch später wieder zu ihrem Hausriff zurückfinden. Nach dem Schlüpfen ziehen sie, genau wie Nemo, zunächst hinaus aufs offene Meer, wo sie vor Feinden sicherer sind. Meekan hat die typischen Riffgeräusche aufgenommen: Vor allem bei Dämmerung erklingt ein Chor von Fischlauten aus Tausenden von Einzelstimmen. Diese Aufnahme hat Meekan in Fallen abgespielt und so die kleinen Auswanderer aus 23 verschiedenen Fischfamilien angelockt und eingefangen. Bei Nemos Artverwandten, den Clownfischen, hat Meekans Mitarbeiter Stephen Simpson die Herzschläge schon vor dem Schlüpfen vermessen, während er ihnen Geräusche unterschiedlicher Frequenz vorspielte. Besonders bei Frequenzen, wie sie auch Fische und wirbellose Meeresbewohner von sich geben, konnte er eine Reaktion der Clownfisch-Babys feststellen. Unklar ist noch, ob sich die Fischlarven die Stimmen ihrer Eltern einprägen oder ob sie das gesamte Spektrum heimischer Geräusche vor dem Schlüpfen erlernen.

Für die Kommunikation unter Wasser sind Fische aber nicht ausschließlich auf Geräusche angewiesen. Weit verbreitet sind auch visuelle Signale oder chemische Kommunikation durch Pheromone. Anscheinend ohne Kommunikation verständigen sich Schwarmfische, wenn sie von einem Augenblick auf den nächsten in vollendeter Harmonie die Richtung ändern. Mit ihrem strömungsempfindlichen Seitenlinienorgan und ihren Augen orientieren sie sich an ihren Nachbarn und koordinieren in einem sich selbst organisierenden Prozess ihre Manöver.

Einen uralten Sinn aus der Trickkiste der Evolution haben gleich mehrere Fischarten neu erfunden. Afrikanische Nilhechte und südamerikanische Messerfische haben verblüffend gleichartig aufgebaute elektrische Organe und Sensoren, mit deren Hilfe sie sich in einer Art Geheimsprache unterhalten können. "Übersetzt man die elektrischen Entladungen der Nilhechte in akustische Signale, dann hört es sich in etwa an wie das Geknatter eines Mopeds", sagt Bernd Kramer, der die schwach elektrischen Fische seit Jahren erforscht. Immer wieder pilgert er in die afrikanischen Nationalparks und spürt dort mit Hilfe eines selbstkonstruierten Detektors die elektrischen Felder der Nilhechte auf. Nach erfolgreicher Jagd reist er mit bis zu zweihundert Fischen im Gepäck wieder zurück nach Regensburg.

Dort beginnt für die afrikanischen Fische die Lehrzeit: Mit Hilfe von Mückenlarven dressiert Kramer seine Zöglinge darauf, künstlich erzeugte elektrische Botschaften zu erkennen. Abweichungen von gerademal zwei Millionstel Sekunden können Nilhechte noch unterscheiden, hat Kramer unlängst herausgefunden (2). Dabei sind ihre Elektrorezeptoren so empfindlich, dass sie noch Feldstärken von einem Millionstel Volt pro Zentimeter erspüren können. Zum Vergleich: Eine Mignon-Batterie erzeugt über die Länge eines Olympia-Beckens eine Feldstärke, die 300-mal so groß ist.

Wie differenziert die elektrische Sprache der Fische ist, erstaunt sogar Bernd Kramer immer wieder. Kürzlich entdeckte er, dass Nilhechte, die auf den ersten Blick völlig gleich aussehen, in unterschiedlichen Dialekten knattern. Tatsächlich handelte es sich bei genauerer Prüfung in Wahrheit um drei verschiedene Arten. Dagegen haben es Nemos Freunde im Film leichter. Zwar scheitern sie kläglich bei einer Unterhaltung auf "walisch" - ansonsten plappern sie munter über die Artengrenzen hinweg.

(1)Proceedings of the Royal Society: Biological Sciences;

DOI: 10.1098/rsbl.2003.0107

(2)Behavioral Ecology and Sociobiology; DOI: 10.1007/s00265-003-0690

© SZ v. 20.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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