Wissenschaftler schreiben an Bush:Wer im Loch sitzt, sollte nicht graben

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Nach Nobelpreisträgern, Veteranen und Rockstars schreiben nun US-Forscher einen Brief an Bush. Ihre Kritik ist zwar nicht rasend originell, aber schneidend.

Von Sonja Zekri

Sie sind nicht die ersten, sie werden nicht die letzten sein, und ihre Kritik ist zwar nicht rasend originell, aber schneidend. Und sie sind drin im mächtigen Chor der Bush-Gegner.

Ungeliebter Präsident: 650 Gelehrte aus 150 Hochschulen in den USA haben einen offenen Brief an das amerikanische Volk geschrieben, in dem sie die Außenpolitik von Präsident Bush kritisieren. (Foto: Foto: Reuters)

650 Gelehrte aus 150 Hochschulen in 40 Bundesstaaten haben einen offenen Brief an das amerikanische Volk geschrieben, in dem sie die Außenpolitik von Präsident George W. Bush kritisieren. Der Krieg habe die Debatte über die Außen- und Sicherheitspolitik verzerrt, man lege Wert auf "Spekulation statt Fakten", auf "Mythen statt nüchterner Berechnung".

Schlimmer als unter Saddam Hussein

Viele Argumente für den Krieg seien inzwischen widerlegt, selbst aus moralischen Gründen sei der Feldzug zweifelhaft: "Mehr als tausend Amerikaner wurden getötet sowie Tausende Iraker, und sollte der drohende Bürgerkrieg Realität werden, wird es der Bevölkerung noch schlimmer ergehen als unter Saddam Hussein."

So sehr der Sturz Husseins zu begrüßen gewesen sei, so habe doch die "übermäßige Konzentration auf den Irak" zu einer "schwachen und unangemessenen Reaktion auf die weit größere Gefahr durch das Nuklear-Programm Nordkoreas und des Irans" geführt.

Zudem habe der Irak Ressourcen gebunden, die nun den ökonomischen und diplomatischen Anstrengungen fehlten, um den Terrorismus dort zu bekämpfen, wo er entstehe, in "Pakistan, in Saudi-Arabien und anderswo im Nahen Osten".

Unpopulärer als Osama bin Laden

Schlimmer noch: Die amerikanische Operation im Irak, "die den Skandal in Abu Ghraib einschließt, aber sich darin nicht erschöpft", habe den Ruf Amerikas in den meisten Gegenden des Nahen Ostens beschädigt: "Sie hat Umfragen zufolge Osama bin Laden in einigen Ländern populärer gemacht als Präsident Bush."

Zu der Gruppe, die sich "Gelehrte auf dem Gebiet der Sicherheit für eine vernünftige Außenpolitik" nennt, gehören neben Hochschulmitarbeitern wie der Chicagoer Professorin Saskia Sassen und dem umstrittenen Bioethiker Peter Singer aus Princeton Mitarbeiter des Pentagon, des US-Außenministeriums und des Nationalen Sicherheitsrates, sowie sechs der sieben Präsidenten der Amerikanischen Politikwissenschaftlichen Vereinigung.

Kritik auch aus München

Forscher aus Großbritannien, Schweden, den Niederlanden und Argentinien haben sich dem Appell angeschlossen, wie auch James W. Davis von der Universität München. Die Regierung, so Richard Samuels vom Massachusetts Institute of Technology, sitze in einem Loch und solle "nicht weiter graben".

Das Schreiben sei von Stuart J. Kaufmann, dem früheren Berater des Ex-Präsidenten Bill Clinton, initiiert worden, meldet die Agentur AP. Dieser habe erklärt, sein Ziel sei nicht die Unterstützung eines Kandidaten, sondern die Beeinflussung der öffentlichen Debatte. Mit den Wissenschaftlern hat sich eine weitere Standesorganisation in die Phalanx gegen George W. Bush eingereiht.

48 Nobelpreisträger, 50 Diplomaten

Ein Überblick über die Bush-Kritiker in Auszügen: 48 Nobelpreisträger, die im Mai den "rücksichtslosen Kurs" der Wirtschaft kritisierten; 50 Diplomaten, die sich etwa zur selben Zeit gegen die "einseitige Unterstützung Israels" wandten; dann, gut einen Monat später, 26 ehemalige Offiziere und Diplomaten, die in einem offenen Brief Bushs Außenpolitik angriffen.

Es kritisierte die New Yorker Künstlerinitiative "Downtown 4 Democracy", zu der Susan Sontag, Jonathan Franzen und Salman Rushdie gehörten, aber auch Bruce Springsteen und seine "Vote for Change"-Tour. Barbra Streisand sang für den Wechsel und der HipHop-Mogul Russell Simmons dafür, dass sein Publikum überhaupt wählt und zwar möglichst nicht Bush. Klempner Amerikas, meldet euch!

© SZ vom 14.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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