Wir sind Helden - das neue Album:Ein kleines Stück vom großen Glück

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Gefühlspolitisch und grünkonservativ: Das neue Album von "Wir sind Helden" zielt instrumental wie textlich auf die Eigentlich-Generation.

Dirk Peitz

Vielleicht muss man noch einmal ganz von vorne anfangen, um nicht gleich loszuschimpfen. Denn eine Band wie Wir sind Helden und ihr neues, drittes Album "Soundso", überhaupt alles, wofür diese Band stellvertretend steht, grauenhaft zu finden, ist mindestens so einfach, wie es zu mögen. Man kann sich nicht helfen, manchmal wird es eben auch im Pop gleich weltanschaulich. Buchstäblich.

Wir sind Helden bei der Verleihung des Deutschen Schallplattenpreises 'Echo' in Berlin (Foto: Foto: ddp)

Also, von vorne: Die Musik von Wir sind Helden erhält schon durch ihre schiere Verbreitung Bedeutung. Die Band hat von ihren ersten beiden Alben jeweils mehrere hunderttausend Stück in Deutschland verkauft, und dieser Erfolg sagt etwas aus über die Zeit und das Land, aus dem die Band kommt, er provoziert die Frage: Was will diese Musik, wollen die Texte, will die Bands eigentlich?

Denn Erfolg schafft in der Popmusik eine eigene Evidenz: Erfolgreiche Popmusik kann nicht nichts repräsentieren. Sogar wenn Musik und Texte explizit nichts mit der Zeit und den politischen Umständen zu tun haben wollten. Man spräche dann von der eskapistischen Seite der Popmusik, derer sie ständig und richtigerweise verdächtigt wird. Eskapismus kann, muss aber nicht der größte Spaß des Pop sein.

Interessant an Wir sind Helden ist, dass sich die Band gleichzeitig in den Texten ihrer Sängerin Judith Holofernes und in ihren außermusikalischen Aussagen zu Gott und der Welt bewusst und freiwillig in das ewige Spannungsfeld begibt zwischen privat und politisch. Das ist heute außergewöhnlich für einen jüngeren Pop-Act dieser Gewichtsklasse, denn üblicherweise wird heute im Pop strikt getrennt zwischen Kunst und Leben. Es hat wohl seit den Vor-68er-Jahren keine deutsche Pop-Generation mehr gegeben, die so unbedingt gute (aber auch sogenannte "kritische") Staatsbürgerschaft vorgelebt hat.

Ihren Ausdruck findet diese bewusst vorbildhafte verantwortungsethische Gesinnung jedoch selten in Songtexten, in denen allzu häufig Lyrizität mit Vagheit verwechselt wird. Sondern fast immer außerhalb der Musik, in der mehr oder minder gesetzten öffentlichen Rede und einer regen Wohltätigkeit. Kein Popstar, der jenseits seiner Bühnentätigkeit nicht ein Herz für Kinder, Umwelt, Rentner entwickelte. Und vor allem, natürlich, für die Fans. Das gilt sogar für professionell rüpelnde Gossen-Hip-Hopper.

Eigentlich, ja eigentlich

Da sind Wir sind Helden anders, auf der neuen Platte geht es explizit um bedeutende Themen der Zeit, die andere Bands noch nicht mal in ihrer Freizeit diskutieren würden: Krieg und Vergangenheitsbewältigung, den modernen Arbeitsbegriff und die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft, Angst als Mittel der Politik. Aber es gibt auch intime Texte über die Sehnsucht nach dem eigenen Verschwinden, über die Unzulänglichkeit, richtige Worte zu finden, über die Vergeblichkeit, die Welt verstehen zu wollen.

Das ist sehr viel Stoff, gerade im Vergleich zu den Bands, die nach dem Vorbild von Wir sind Helden (Frontfrau und Männer dahinter) von Plattenfirmen in den letzten Jahren unter Vertrag genommen wurden - Juli, Silbermond, Mia, aktuell Karpatenhund. Doch eine Haltung ergibt sich daraus noch nicht. Dass die Texte von Holofernes Befindlichkeitsäußerungen bleiben, spricht zunächst nicht gegen sie. Allgemeingültigkeit ist kein Modus der Popmusik, dafür gibt es Essayisten. Selbst Holofernes' kabarettistische Neigung zu Wortspielen mit Betonungs-Pointe ("Endlich ein Grund, los - Panik!") ließe sich ertragen. Bei der Benennung von Friseursalons, Bars und Kulturevents passieren in Deutschland größere verbale Verbrechen.

Das offensichtlichste Problem von Wir sind Helden bleibt die musikalische Form, die instrumentale wie die gesangliche. Die Musik will gar nichts, außer bitte nicht stören, nett sein, egal mit welchen Mitteln. Sie ist nur ambitioniert in ihrer ausgestellten Unambitioniertheit, ihrer Rock-und-Pop-und-so-Haftigkeit, und dass auf "Soundso" erstmals bei Wir sind Helden verstärkt Bläser auftauchen und manchmal der Ansatz eines geschmacklosen Gitarrensolos, dafür weniger geschmacklose Keyboardsounds, erscheint zufällig.

Diese Band hat keinen Stil, also bemüht sie sich auch um keinen. Ärger noch ist Holofernes' Mädchengekiekse, aber nicht einfach, weil es auf Dauer nervt. Schlimmer, es dementiert alle Schärfe in den Texten, so die nicht eh zur Verniedlichung neigen: Die Lyrics schon des ersten Liedes "(Ode) An die Arbeit" sind pures Kinderfernsehdeutsch. Es ist dieses Eigentlich, das Wir sind Helden so ungreifbar macht: Eigentlich haben wir was mitzuteilen. Eigentlich ist die Welt schlecht. Eigentlich müssten wir was tun. Eigentlich sollten wir erwachsen sein.

Das Prenzlauer-Berg-Paradoxon

Holofernes' Gesang will nichts ironisch brechen, sondern nur alles Gesungene relativieren. Und das ganze Gebaren von Wir sind Helden, deren Mitglieder die nettesten Menschen sein mögen, teilt verschämt nichts anderes mit als: Es geht uns gut, wir wollen doch nur unser kleines Stück vom großen Glück. Was an sich ein Menschenrecht ist, doch dieses leise Alles-in-Maßen-Wollen wird mit dem Preis bezahlt, sich bloß auf nichts festlegen zu wollen.

Man könnte dies das Prenzlauer-Berg-Paradoxon des Deutschpop nennen, der damit nur in Tönen nachvollzieht, was sich lebensweltlich besonders in Berlin entwickelt hat: Je unüberschaubarer die Welt angeblich ist, desto größer die Neigung zum Rückzug in althergebrachte Strukturen, in Familie und eherne Werte - doch das äußert sich nicht wie früher symbolisch in Stadtflucht, im Gegenteil. Man verbarrikadiert sich stattdessen in den luxussanierten Kulissen urbaner Vergangenheit, schafft sich seine eigenen Idyllen der Gründerzeit-Vormoderne, wird gefühlspolitisch und grünkonservativ, kauft im Biomarkt, gibt seinen Kindern altdeutsche Namen und engagiert sich in Bürgerinitiativen gegen zeitgenössische Architektur.

Das ist gut und schön. Aber was als Musik hinten rauskommt, ist das Gegenteil von Pop im emphatischen Sinne. Wenn der wahr ist und ganz er selbst, dann versetzt er Berge, tröstet oder euphorisiert, bedröhnt oder verspricht dreist tollen Sex und viel Geld. Was Popmusik aber wie alle Kunst braucht, das ist ein Standpunkt, und sei es ein obszöner, dummer, größenwahnsinniger.

Wir sind Helden haben jedoch wie der Rest des Deutschpop keinen, sie sind ja nicht mal antihedonistisch, sie leiden nur an den Symptomen jenes falschverstandenen Romantik-Remixes, der in vielen Köpfen ihrer Generation als Dauerloop läuft: Ach, täte es nur mal richtig weh, ach, wären wir mal so richtig high, ach, würde es mal richtig existenziell - klappt aber leider nicht. Für den Schmerz dieser vom modernen Leben Betäubten scheint es keine ästhetische Form zu geben außer die der unbedingten Beliebigkeit, der ständigen Relativierung. Das verleiht ihnen eine ganz eigene Tragik, und doch: Ihre Klage klingt sterbenslangweilig.

© SZ vom 29. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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