Winter-Festival:Jahrmarkt der Grundwerte

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Der Weltsalon bei Tollwood hat sich als künstlerischer Ort für gesellschaftliche Debatten etabliert. 14 Installationen gibt es zu entdecken, darunter einen "Shop der Menschenverachtung"

Von lena lanzinger

Seit zehn Jahren ist er Schauplatz der Demokratie. Er beleuchtet unsere Grundwerte und wirkt dieses Jahr wie ein aus der Zeit gefallener Jahrmarkt. Grundidee des Weltsalons auf dem Winter-Tollwood ist es, die schwierigen gesellschaftlichen und ökologischen Themen künstlerisch so aufzubereiten, dass sie für jeden zugänglich sind. Über die Jahre mussten die Veranstalter lernen, was die Besucher im Kontext annehmen und was nicht. 14 Installationen, aufgebaut wie ein Parcours, gibt es in diesem Jahr zu entdecken. Alle sind grundunterschiedlich, beschäftigen sich jedoch mit der gleichen Frage: "Was macht unser Miteinander aus, und wofür sind wir bereit einzustehen?"

33 Fragen hat der Integrationstest, den alle Flüchtlinge bestehen müssen, um in Deutschland aufgenommen zu werden. Dieser Test ist nicht nur das erste, was sie in Deutschland sehen, es ist auch die erste Installation im Weltsalon. Besucher können ihr demokratisches Basiswissen unter Beweis stellen, und der eine oder andere wird bei Fragen wie "Durch was wurde Claus Schenk Graf von Stauffenberg bekannt?" möglicherweise ins Wanken kommen - dass dabei eine Kamera auf einen gerichtet ist, macht es nicht einfacher. Politik und das Rechtssystem zu verstehen, ist wichtig. Auf der anderen Seite sei der Test absurd, sagt Stephanie Weigel, Kuratorin des Weltsalons: "Welche Relevanz hat der Test für das Miteinander, das Akzeptieren der demokratischen Grundwerte?" Videospiel-Begeisterte können sich auf das VR-Spiel "Destroyed News" freuen, entwickelt von Maxim Kloster und seinen Kollegen. Nach dem Aufsetzen einer Virtual-Reality-Brille befindet man sich in einem Maschinenraum, in dem aktuelle Nachrichten und Fake News auftauchen. Aufgabe ist es, die falschen Nachrichten zu erkennen und sie mit einer virtuellen Laserpistole abzuschießen. "Wir versuchen, einen emotionalen Fußabdruck zu hinterlassen, der zum Nachdenken anregt", sagt Weigel. Neben dem Spaßfaktor und Highscore soll das Spiel hinterfragen, wie wir mit Medien umgehen. Besonders die junge Generation soll darauf aufmerksam werden.

Das menschliche Miteinander symbolisiert der Weihnachtsbaum am Eingang des Festivals. (Foto: Robert Haas)

Die Installation des österreichischen Künstlerkollektivs "God's Entertainment" ist eine von Stephanie Weigels Lieblingen, da "die Künstler da unter die Haut gehen, wo es weh tut". Wer Carl Spitzwegs Gemälde "Die gefährliche Passage" kennt, wird das Werk auf Anhieb verstehen: Über einem Bach liegt ein Brett, das als Brücke dienen soll. Jeder, ob arm, reich, jung oder alt, muss diesen Weg nehmen, um zur anderen Seite zu gelangen. So hat das Kollektiv ein zwei Meter tiefes Becken gebaut, darüber ein schmaler Holzbalken, über den man balancieren muss, und der den schmalen Grat der Demokratie symbolisiert, so God's Entertainment. "Wir wollen in unserer Arbeit die eigene Entscheidungskraft deutlich machen. Gerade in der wackeligen Mitte muss man sich für das Umkehren oder Weitergehen entscheiden."

Wer fällt, landet nicht in weichem Schaumstoff oder bunten Plastikkugeln aus dem Kinder-Bälleparadies, sondern in blauer Tinte und ist damit gezeichnet - oder gar abgestempelt. Der Begriff Demokratie kann also auch gefährlich werden, findet God's Entertainment: "Das Prinzip ist ähnlich wie beim Nationalsozialismus, der wurde damals demokratisch gewählt. Diese Flecken kann man auch nicht mehr aus der Geschichte auswaschen."

Der "Shop der Menschenverachtung" ist aufgebaut wie ein kleiner Laden mit alten Holzkisten als Regal und Kleiderstangen; Produkte werden hier allerdings nicht verkauft. T-Shirts mit rechtsextremen Parolen, Tigerpanzer-Aufdrucke und Emoji-Aufnäher mit Hitlerbart. Diese subtile Form des Rassismus und Sexismus, der Demütigung und Herablassung hat sich gesellschaftlich über Jahrzehnte verfestigt - und florierte zu einem Millionengeschäft.

Eine Besucherin probiert eine Mitmach-Installation im Weltsalon aus. (Foto: Robert Haas)

Der rechte Flügel der Gesellschaft hat die Veranstaltung bereits wahrgenommen. "Wir werden auf Facebook bereits angegriffen, wir würden das letzte christliche Fest, das noch ernst genommen wird, in den Dreck ziehen mit unserer Islamismus-Freundlichkeit", sagt Stephanie Weigl. Ob Terrorgefahr von links oder rechts - das Festival gibt sich gewappnet, und Taschenkontrollen sind nur eine von vielen Sicherheitsmaßnahmen. Das alles gehöre aber zur gesellschaftlichen Debatte,;Tollwood wolle ein Forum eröffnen, dem müsse man sich auch stellen. "Demokratie mussten wir noch nie verteidigen und jetzt merken wir erst, dass wir gar nicht wissen, wie das eigentlich geht", sagt Weigel.

Neben dem Weltsalon bietet das Winter-Tollwood gastronomische und künstlerische Vielfalt. Es stimmt ein auf die Weihnachtszeit und erinnert den einen oder andern an die Werte unserer Gesellschaft.

Weltsalon auf dem Winter-Tollwood , täglich bis Samstag, 23. Dezember, Mo.-Fr. 14-1 Uhr, Sa./So. 11-1 Uhr, Theresienwiese, www.tollwood.de

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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