Wim Wenders im Interview:Das amerikanische Vakuum

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Der deutsche Regisseur von "Land of Plenty" über physische Sehnsucht, die Paranoia der Amerikaner und den Zorn eines Christenmenschen.

Interview: Rainer Gansera

Als Wenders mit "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" oder "Der amerikanische Freund" in Amerika bekannt wurde, hieß es dort: "Wenders-Filme handeln von Angst, Entfremdung und Amerika". Der "Amerikanische Traum" sollte sein großes Thema bleiben ...

SZ: In Ihren frühen Filmtexten priesen Sie das amerikanische Kino als eines, das die physische Realität in besonderer Weise wahrnimmt und zur Geltung bringt. Wim Wenders: Schon weil mir das europäische Kino damals so kopflastig vorkam, und das amerikanische Kino von Anthony Mann und Howard Hawks zum Beispiel diese Lust hatte am Gehen, Laufen, Reiten, Handeln. Das war für mich, der ich damals ja auch noch Philosophiestudent war, die Offenbarung: diese Lust an physischen Bewegungsabläufen, an der physischen Präsenz der Dinge.

SZ: Dann haben Sie Amerika kennen gelernt und 1984 einen Text verfasst: "Der Amerikanische Traum", der vom Ende dieses Traums handelt. Wenders: 1984, nach "Paris, Texas", habe ich meinen Wohnsitz in New York aufgegeben und bin zurück nach Berlin gegangen. Der Grund dafür war letztlich die Politik Ronald Reagans. Plötzlich lagen da vor dem Haus, in dem ich in New York wohnte, Hunderte von Obdachlosen, Menschen, die keine Chance mehr hatten, die zu Aussätzigen geworden waren - direkte Folge einer Politik, die ich als absolut verantwortungslos und unmenschlich empfand. Ich wollte da nicht leben. In meinem Abschiedsschmerz habe ich diesen Text damals geschrieben, weil ich vom Vakuum in Amerika sprechen wollte, diesem Mangel an Offenheit für die Welt, von dieser Politik, in der Amerika seine eigene Religion geworden ist. Was heute ganz offensichtlich wird.

SZ: Die Bilder aus dem Obdachlosen-Asyl in "Land of Plenty" wirken wie ein Schock ... Wenders: Ich hatte die Hoffnung, dass das wie ein Schock wirkt. Dieses Land des Überflusses ist innen ein Vakuum, ein Land der Dürre, der Armut: geistiger, seelischer, sozialer, politischer Armut.

SZ: Paul verkörpert aktuelle amerikanische Paranoia, in seinem Wagen, mit seiner Unfähigkeit zu kommunizieren. Wenders: Die Amerikaner glauben mehr als alle anderen an Maschinen, an technisches Gerät. Aber alles, was der Kommunikation dienen soll, macht sie letztlich abstrakter und unmöglicher.

SZ: Der Gegenpol zu Paul ist die junge, christlich erzogene Lana, die auf die Menschen zugeht. Wenders: Ausgangsidee für "Land of Plenty" war es, diesem fundamentalistischen Christentum der Bush-Ära, also dieser God-bless-America-Nationalreligion eine andere, radikal konträre Idee von Christsein entgegenzuhalten. Ich glaube, dass man diesen Politikern, die Bibelstunden im Weißen Haus abhalten und sich christlich gebärden, das Feld nicht überlassen darf. Als Christ habe ich keine andere Möglichkeit, als gegen den Krieg zu sein und mich mit den Armen zu solidarisieren.

Aus dem Zorn darüber, dass das Christentum so pervertiert und so perfide benutzt wird für politische Interessen, ist der Film also entstanden. Deswegen war die Figur der Lana von Anfang an eine, die so ein kindliches Gottvertrauen verkörpern sollte, ein kindliches Vertrauen auch in die Kraft der Liebe ... Dieser Film ist spontaner entstanden als alles andere, was ich je gemacht habe. Er wurde auch schneller gedreht, nur 16 Drehtage, bis zu 60 Einstellungen pro Tag, mit einer neuen digitalen Technik. Ich habe den Film mit ganz jungen Leuten gemacht. Und eigentlich für alle, die mitgemacht haben, war der Film eine Entdeckungsreise ins Filmemachen überhaupt.

© SZ vom 7.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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