Wie Militär Mode macht:Der Ninja von nebenan

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Der Laufsteg ist ein Kriegsschauplatz. Ein Symposium über den Reiz von Uniformen.

Von Titus Arnu

Der Laufsteg ist ein Kriegsschauplatz. Auf Bildschirmen explodieren Bomben. Tarnkappenbomber nehmen ihr Ziel ins Visier. Aus unterirdischen Silos starten Raketen. Models marschieren auf. Sie tragen Gasmasken, Tarnjacken und schwere Lederstiefel. Eine attraktive Frau in Admirals-Uniform kommandiert die martialische Bühnenshow: Madonna.

Einfach schick! Der spanische Kronprinz Felipe. (Foto: Foto: AP)

Die Pop-Ikone benutzt in ihrem Videoclip "American Life" die Ikonographie der militärischen Supermacht USA. Schwer zu sagen, ob der Minifilm ein Statement für oder gegen den Krieg ist oder nur Pop-Propaganda in eigener Sache - zumal "American Life" kaum in der Öffentlichkeit zu sehen war.

Ein Video am falschen Tag

Madonna zog das Video einen Tag nach dem Start zurück, angeblich aus Respekt vor den im Irak gefallenen amerikanischen Soldaten. In Deutschland lief es eine Weile auf Viva. Bei einem Symposium über "Uniformen in Bewegung" in Karlsruhe war das Video jetzt noch einmal zu sehen - als Beweis für die ästhetische Kraft militärisch inspirierter Mode.

Menschen in Uniformen haben oft eine starke Wirkung. Einem Mann in Polizeiuniform bringt man mehr Respekt entgegen als einem Mann in lila Latzhosen. Einem Koch in weißer Arbeitskleidung traut man ein höheres Maß an Hygiene zu als einem Freak im Batik-Shirt. Und eine Stewardess wirkt beruhigend, schon weil sie diese angenehme blaue Uniform und so ein nettes Hütchen trägt.

Uniformen suggerieren, dass alles unter Kontrolle ist. Warum eigentlich? Wieso ist man geneigt, einem Menschen den letzten Quatsch zu glauben, nur weil er einen einfarbigen, streng geschnittenen Anzug mit glänzenden Emblemen trägt? Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Universitäten Dortmund und Frankfurt hat zwei Jahre lang die Ästhetik sowie die gesellschaftlichen und kulturellen Funktionen verschiedener Uniformen untersucht.

"Uniformen erleichtern das Zusammenleben"

Forschungsgegenstand war die Berufskleidung von Stewardessen, Nonnen oder Polizeibeamten. Untersucht wurde auch der Einfluss von Uniformen auf die Alltagsmode, die Kunst, Pop-Videos und Werbung. Auf einem Symposium im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) wurden jetzt die Ergebnisse vorgestellt.

Die Textil-Wissenschaftler zeichnen ein überraschend positives Bild der Uniform. "Uniformen erleichtern das Zusammenleben, denn jeder weiß, was der andere darstellen soll", sagt Gabriele Mentges, Professorin für Kulturgeschichte der Kleidung an der Uni Dortmund. "Uniformen sollen die Gesellschaft stabilisieren," sagt Efrat Tseelon, Sozialpsychologin aus Dublin.

Valerie Steele, Direktorin des Fashion Institute of Technology in New York und Autorin des Werkes "Fetish: Fashion, Sex & Power", betont die eindeutig erotische Wirkung der Uniform. Lederstiefel und Handschellen "regen Phantasien von Dominanz und Unterwerfung an, sowohl bei Homosexuellen als auch Heterosexuellen", sagt sie.

Dolce & Gabbana lieben Uniformen

Stilelemente aus der Welt des Militärs und der Polizei gehören vor allem wegen ihrer erotischen Aspekte fest zum Repertoire von Modemachern wie Thierry Mugler, Jean Paul Gaultier oder Dolce & Gabbana. Diese lustvolle Verwendung von Uniformen in der Mode ist bemerkenswert, denn militärische Kleidung ist in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg und in den USA seit dem Vietnamkrieg überwiegend negativ behaftet.

Die Uniform gilt als Mittel der Unterdrückung. Sie verweigert die Individualität, demonstriert Macht und degradiert den Menschen zum Teil einer Gesamtordnung. Das Prinzip der Uniform ist Disziplinierung, Normierung, Erkennbarkeit. Klassische Uniformen sind Schutzanzüge gegen das Ungeordnete, Böse, Fremde.

Individuelle Mode bedeutet dagegen: Freiheit, eigene Meinung, bunte Vielfalt statt olivfarbene Einheitskluft.

Auch Nonnen finden sich schön

Der Begriff Uniform ist aber ambivalent: Uniformen sind zunächst eine Art Panzer, ein künstlicher Schutzschild, der den weichen Körper gegen die Außenwelt schützt. Sie schaffen Ordnung und Sicherheit. Und sie ermöglichen gerade durch ihre Gleichmacherei einen höheren Grad an Individualität.

So gaben Nonnen in einer Untersuchung über ihr Verhältnis zur Ordenstracht an, das Tragen der Uniform führe auch dazu, dass man mehr auf persönliche Eigenschaften der Mitmenschen achte. Eine Nonne kann eine andere Nonne nicht beschreiben, indem sie sagt: "Das ist die mit dem roten Pullover." Sie muss sagen: "Das ist die mit der hellen Stimme und den blauen Augen."

Dagmar Konrad, Ethnologin an der Universität Dortmund, hat Nonnen über ihr Modebewusstsein befragt. Wie gehen die Ordensfrauen damit um, dass sie sich nicht auch mal so schick anziehen können? Das Ergebnis: Schönheit ist für sie nicht irrelevant. Die meisten fühlen sich schön, körperlich wohl und sogar ausgesprochen weiblich in dem Habit.

Schon Kleidergrößen stammen aus dem Militär

Mit der Ordenstracht verbinden sie eine bestimmte Ästhetik, die Ästhetik der Uniformität. Viele empfinden ihre Kleidung als angemessen, sie genießen die Symmetrie und die ornamentale Inszenierung der Nonnen in der Kirche. Ordentlich bedeutet hier schön.

Ordnung ist auch ein Grundprinzip der Massenmode, selbst wenn die Standard-Freizeit-Kluft der westlichen Gesellschaften - Jeans, Turnschuhe, T-Shirt - auf den ersten Blick wie das Gegenteil einer Uniform wirkt. Doch schon die Standardisierung der Kleidergrößen stammt aus dem Militär. Sie wurde eingeführt, um verschiedene Größen für Rekruten vorrätig zu haben.

Der durchschnittliche Konsument holt sich seine Alltags-Uniform bei H & M, Benetton oder Gap. Auf den ersten Blick feiern diese Ketten die Individualität. Aber nach gründlicher Analyse stellten die Forscher fest, dass das Versprechen der bunten Pluralität ("United Colors") in Wirklichkeit eine Nivellierung des individuellen Geschmacks zu Folge hat.

Geschmacks-Globalisierung

Weltweit bieten die großen Hersteller von Massenmode die gleichen Produkte an. Diese Geschmacks-Globalisierung hat nicht zu mehr Individualität, sondern zu mehr Gleichförmigkeit geführt. Den Wunsch nach mehr Individualität wollen Markenartikelhersteller nun ausnutzen und bieten "customized massproduction" an, auf den Leib geschneiderte Massen-Mode.

Durch moderne Herstellungstechniken wie der industriellen Maßanfertigung von Kleidung mit Hilfe von Bodyscannern und Internet-Bestellsystemen könnte der Massenzwang zur Uniformität etwas abgemildert werden, vermutet Heike Jenß vom Institut für Kulturgeschichte der Textilien in Dortmund. Allerdings hat das seine Grenzen. Bei Nike kann man sich einen Schuh statt mit "Nike" mit "Heike" signieren lassen und die Lieblingsfarbe wählen - für über 200 Euro.

Wer nicht als angepasst auffallen will, muss sich schon etwas Neues überlegen. Zum Beispiel im Ninja-Look ins Büro stürmen, mit Nachtsichtgerät ausgehen, mit dem Hummer-Geländewagen vorfahren oder mit Gasmaske durch den Park spazieren. Andrew Bolton, Kurator am Costume Institute des Metropolitan Museum of Art und Autor mehrerer Bücher über Mode, hat beobachtet, dass sich der Military-Look längst nicht mehr auf Cargohosen und Tank-Tops beschränkt.

"Und wie wasch ich das mit der Elektronik darin?"

Avantgardistische Designer wie das Londoner Label Vexed Generation sind dazu übergegangen, auch funktionale Elemente aus Polizei- und Militäruniformen in Alltagskleidung zu integrieren. Diese "supermoderne Kleidung", wie Bolton sie nennt, verfügt über Kommunikationstechnik und besteht aus wetter- und schusssicheren Materialien wie Kevlar.

Die Firma CP Fashion hat einen Kampfanzug für die Stadt erfunden, der seinen Besitzer gegen Smog und Giftgasangriffe wappnet. Das "Metropolis Jacket" bietet eine Kapuze, die eine Gasmaske und ein Funkgerät enthält . Ob solche Hightech-Klamotten etwas für den Massengebrauch sind, ist zweifelhaft.

Nicht zuletzt sind sie zu kompliziert, zu teuer und zu hässlich für den Alltag. Eine pragmatisch-weibliche Frage aus dem Publikum brachte den spannenden Vortrag zu einem schönen Schluss: "Okay, und wie wasche ich das mit der ganzen Elektronik drin?"

© SZ vom 16.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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