Wetterbericht: Autoren zum Klimawandel:Märchen vom Grünen Gott

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Den Planeten retten? Vergessen Sie's, Indien hat noch nie auf die Umwelt geachtet. Jetzt stehen Natur und Städte vor dem Kollaps.

Kiran Nagarkar

Das Klima wandelt sich. Hierzulande merkt man es nur peripher. Andere Gegenden verändern sich jedoch dramatisch. Aber wirkt sich das auch auf den Alltag aus? Wir haben Schriftsteller, Publizisten und Wissenschaftler in aller Welt gefragt, inwieweit sie den Klimawandel schon heute spüren. Heute setzen wir unsere Serie fort mit einem Stück aus Indien, das einmal mehr beweist, dass die Inder am Tag des allgemeinen Weltuntergangs dank ihres grimmen Humors den würdevollsten Abgang hinlegen werden.

Das Wasser sinkt, die Abwässer steigen: Ein Junge sucht im Chemiedreck des indischen Yamuna-River nach Münzen. (Foto: Foto: AFP)

Heute Nacht hatte ich eine Vision. Ich war tot, mausetot und klopfte an ein goldenes Tor inmitten bauschiger Wolkenbänke. Die Tür sprang auf und eine Stimme sprach zu mir: "Was willst Du denn, mein Sohn, warum nervst Du hier rum und klopfst so penetrant an unsere Tür?"

Ich sah die strahlende Erscheinung mit einem güldenen Schein um den Kopf und fragte: "Seid Ihr der Einzige, Anfang und Ende, Urgrund des Seins, der Boss der Bosse?" - "Sind wir. Was willst Du?"

Ich sprach mit stark texanischem Akzent, anscheinend war ich als evangelikaler Christ wiedergeboren worden. "Ich möchte ein compassionate conservative sein. Ich wollte immer schon Euer Apostel sein, ein Messias." - "Okay. Was noch?" - " Ich wär gern Gott um Gutes zu tun." - " Ist das alles?"

Ich wurde ein wenig rot, als ich sagte: "Und ich würde gern richtig viel Geld machen." Er lachte: "Ich hab mich schon gefragt, wann Du endlich damit rausrücken würdest. Nun, die gute Nachricht ist, dass sich das nicht widerspricht. Los, mach einfach beides."

Das grüne Menschenopfer

Dann war ich plötzlich in Indien, im August 2008. Ich konnte gar nicht fassen, wie viele Leute gekommen waren, nur um mich zu hören.

Ich meine, ich weiß selber, dass hier bald schon zwei Milliarden Leute rumwuseln werden. Aber dass 700 Millionen Leute kommen würden, nur um von mir Gottes Wort zu hören - nicht mal Billy Graham, ach was sag ich, nicht mal Jesus hatte es so gut.

Das einzige Problem war, dass sie alle so schrecklich dünn und hungrig aussahen. Es stank, als hätten sie sich alle seit Monaten nicht gewaschen. Unzüchtig angezogen waren sie auch noch, sie trugen nur Fetzen voller riesiger Löcher. Und das Land war staubtrocken und unfruchtbar, obwohl sie nur genmanipuliertes Zeug anbauten.

"Oh Gott", sagte ich, als ich wieder an die himmlische Pforte klopfte, "was soll das? Du hast mich in die falsche Gegend geschickt, ins falsche Indien." Gott sagte: "Halt den Mund. Wer von uns beiden ist der Allwissende? Wenn Du nur für fünf Pfennig Geschäftssinn hättest, dann wüsstest Du, dass die Reichen fett, kaltherzig und brutal sind. Die Armen sind viel leichtgläubiger und freigiebiger."

So ging ich denn zurück und sie sahen mich erwartungsvoll an, einen Glanz von Hoffnung und Glaube auf dem Gesicht. "Ich bin gekommen, um euch den neuen Gott zu bringen. Den Grünen Gott. Er wird die Erde und die Menschheit retten. Ihr müsst nur den Gürtel enger schnallen. Esst weniger, atmet weniger, trinkt weniger. Kauft nicht so viele Autos. Und verbraucht nicht soviel Energie."

Speerspitze des Fortschritts

"Wir hatten seit sieben Jahren keinen Regen", sagten sie, "und die Regierung verspricht uns Elektrizität seit der Unabhängigkeit. Kannst Du nicht mit ihnen reden? Wenn wir sie dann haben, verbrauchen wir auch ganz bestimmt weniger. Und richtiges Essen könnten wir dann auch zum ersten Mal sparen, weil wir dann ja zu Mc Donalds gehen und nur noch Burger und anderen Müll kaufen."

"Das ist genau der Punkt. Nur wenn ihr weniger von allem habt, wird die Erde überleben. Habt ein wenig Geduld und der Planet wird wieder ergrünen. Euer totes Land wird wieder fruchtbar sein, ihr werdet Autos haben und alternative Energiequellen und haufenweise zu essen und Hollywoodfilme und I-Pods, J-Pods, K-Pods und in jedem Haus einen Colabrunnen."

"Ist das wirklich wahr," fragten sie, "haben wir dann Nuklearbomben und Exxon und faule Kredite und Bankenzusammenbrüche und Terroranschläge? Wow, wir werden die Speerspitze des Fortschritts sein!"

Und ich sprach: "Zweifelt Ihr etwa an mir?! Zweifelt Ihr am Wort des Grünen Gottes?" Sie sahen mich beschämt an und sprachen: "Nein. Nein. Wir glauben fest an Dich und Deinen Grünen Gott."

"Es reicht nicht, dass ihr es sagt, ihr müsst es beweisen. Legt fünf Dollar in diese Box hier und Gott wird wissen, dass ihr ihn wirklich liebt." Einige, wahrscheinlich wieder mal so ein paar beschissene Linke, protestierten: "Aber das ist mehr als wir in drei Monaten verdienen." "Der Sohn Gottes gab sein Leben für Euch hin," donnerte ich, "und alles woran Ihr denken könnt, sind Eure fünf Dollar? Schämt Euch!" Da verstummten sie.

Und während sie sich in einer Schlange anstellten und nacheinander fünf Dollar in meine Box warfen, versuchte ich vergeblich auszurechnen, wie viel 700 Millionen mal fünf sind, und ermahnte sie: "Um unserer Erde willen, konsumiert weniger, esst weniger, trinkt weniger." Und sie sagten Amen.

Sie schnallten den Gürtel enger und aßen weniger. Es hatte vorher schon nicht viel zu essen gegeben an diesem gottverlassenen Ort und innerhalb von 30 Tagen waren sie tot. Alle 700 Millionen. Oh, was hatten sie doch für ein Wunder vollbracht. Die Erde musste 700 Millionen Menschen weniger ernähren. Sie war wieder grün und Gott war wieder grün.

Millionenstarke Mittelschicht

Meine Arbeit aber hat damit gerade erst begonnen. Washington und der Grüne Gott haben mich auf eine noch grünere Mission geschickt: Jetzt soll ich die frohe Botschaft einer noch grüneren Erde in ganz Afrika verbreiten. . .

Vor 1990 galt Indien immer als hoffnungsloser Fall. Im Westen dachte man bei dem Wort Indien nur an Hunger, Armut und Korruption. Ach, und dann produzieren die doch diese schrecklichen Filme, die drei Tage lang dauern, und so scheußliche Tanznummern drin haben, oder?

Plötzlich aber machten indische Informatiker in Amerika von sich reden, in Indien wurde die restriktive Wirtschaftspolitik quasi über Nacht abgeschafft und der Markt öffnete sich. Natürlich war das Land noch immer zutiefst korrupt, aber hey, wo sonst gab es eine Mittelklasse von 200 Millionen Leuten?

Indien wurde zum neuen Mekka ausländischer Geschäftsinteressen. Mercedes, Samsonite, Armani, alle standen sie Schlange, um mitmachen zu dürfen beim indischen Boom. Plötzlich waren in Europa auch Bollywoodfilme in. Inder kauften Traditionsmarken, Lakshmi Mital schluckte gegen erbitterten Widerstand Arcelor, Tata kaufte Jaguar und bringt im Oktober den Nano, das billigste Auto der Welt, auf den Markt.

Auf Seite 2: Der heilige Gral der Wirtschaftsbosse.

Jahrzehntelang bestand der Traum aller Inder darin, in die USA zu gehen. Jetzt kamen sie alle zurück und bekamen hier Jobs mit schwindelerregenden Gehältern bei multinationalen Riesen. Und dann, Wunder über Wunder, fingen indische Firmen auch noch damit an, europäische und amerikanische Fachkräfte anzuwerben.

Hindus beim rituellen Bad im Yamuna-River. (Foto: Foto: Reuters)

Kein Wunder, dass unsere Wirtschaftsbosse reden, als ob sie den heiligen Gral entdeckt hätten, das Manna unserer Tage, den Tempel des freien Marktes, den großen Gott des ungezügelten Kapitalismus. Hallelujah.

Bis Ende 2007 wuchs die indische Wirtschaft viele Jahre lang regelmäßig um neun Prozent. Allein im letzten Jahr stieg die Zahl der indischen Millionäre um 22 Prozent, die Mittelklasse wuchs weiter und auch ein Teil der Unterschicht profitierte von dem Boom.

Abwärts ging es nur mit der Umwelt. Und das hat zu großen Teilen mit dem verantwortungslosen Treiben der Wirtschaft zu tun. Industrieabfälle haben unser Wasser, unser Land, unsere Luft vergiftet. Die Fernsehsender geben in den Städten wöchentlich schlimmere Kohlenmonoxidwerte durch.

Nur der Regen reinigt noch manchmal die Luft. Dummerweise regnet es aber auch immer seltener und unregelmäßiger. In vielen Teilen des Landes ist alles Grundwasser abgesaugt, und wenn es noch welches gibt, wimmelt es darin von den hässlichsten Lebensformen, Typhusbakterien, Amöben. Selbst eine so moderne Stadt wie Bombay kann ihre Bürger nicht mit einem Minimum an Trinkwasser versorgen.

Aber wer denkt schon gern an den Klimawandel, wenn wirtschaftlich alles so wunderbar läuft? Und wie soll man seiner 25-jährigen Tochter erklären, dass ausgerechnet sie jetzt doch bitte auf den Kauf ihres ersten Autos verzichten soll?

Der Traum ist vorbei

Aber dann kam der Frühling 2008. War es die Natur, das Schicksal oder Gott, die entschieden, dass genug einfach genug sei? Vielleicht ja alle drei zusammen. Jedenfalls war plötzlich das amerikanische Sub-Prime-Rodeo zu Ende, und so begann im Herzland des Kapitalismus das Bankendomino. Gleichzeitig schoss der Ölpreis in die Höhe, und Inflation war plötzlich nicht mehr ein ferner Albtraum sondern bittere Realität.

Wie viele andere Länder hat Indien gar keine Rolle gespielt in dem kurzsichtigen, gierigen Subprime-Spiel, aber es wird natürlich trotzdem seinen Preis dafür bezahlen. Der Aktienmarkt taumelt, die Leute verlieren in Tausenderscharen ihre Jobs, und die Inflation ist bei 12 Prozent. Der Traum ist vorbei. Muss man schon verstehen, dass das letzte, woran die Regierung in solch einer Situation denkt, der Klimawandel ist.

Die indische Regierung regt sich, genau wie der Rest der unterprivilegierten Welt, darüber auf, dass der Westen und allen voran ausgerechnet die USA, die die Ressourcen der Erde seit Beginn der industriellen Revolution ausbeuten und das auch weiterhin mit geradezu fanatischer Verschwendungssucht tun, uns jetzt, da in Indien erstmals eine Konsumkultur aufblüht, Selbstbeschränkung predigen will.

Steppe in der Stadt

Es ist schwer, dieses Argument zu widerlegen. Und angesichts der momentanen Finanzkrise und der galoppierenden Inflation ist es unwahrscheinlich, dass Indien jetzt umweltpolitische Disziplin an den Tag legen wird.

Den Planeten retten? Vergessen Sie's, Indien hat seit der Unabhängigkeit soviel dafür getan, seine Atmosphäre zu verschmutzen, seine Wasserresourcen zu verbrauchen und das Land auszutrocknen, dass die meisten Städte heute vor dem totalen Kollaps stehen.

Nehmen wir als Beispiel Neu-Delhi, das Schaufenster des Landes. Die Hauptstadt kriegt mehr Geld als irgendeine andere Stadt. Das Einzige, was schneller voranschreitet als die Urbanisierung von Delhi ist die Versteppung der Stadt und ihrer Umgebung.

Innerhalb von zehn Jahren ist der Wasserspiegel um mehr als hundert Meter gesunken, man darf offiziell nicht tiefer als hundert Meter bohren, aber da man frühestens in 200 Meter auf Wasser stößt, bohren die Reichen tiefer und tiefer.

Und was ist mit den Armen? Was soll schon mit ihnen sein. Sie heißen schließlich nicht ohne Grund mittellos. Die, die in Laufweite des Flusses Yamunas wohnen, können sich noch glücklich schätzen, wobei man jetzt wieder über die Bedeutung des Wortes glücklich streiten könnte. Und Laufweite kann natürlich auch alles zwischen zehn Minuten und eineinhalb Stunden bedeuten.

Kranke Gottheit

Aber nehmen wir einmal an, die schaffen den Weg, dann übernehmen wir trotzdem keinerlei Haftung, wenn sie in diese Brühe steigen, der Fluss ist nämlich randvoll mit den tödlichsten Krankheiten, die man sich in diesem Land einhandeln kann.

Flüsse wurden in Indien immer als Gottheiten verehrt. Der Ganges ist unser heiligster Fluss, gläubige Hindus sind überzeugt, dass man mit dem Wasser des Ganges seine Sünden abwaschen kann.

Yamuna ist die Schwester des Ganges und fast genauso heilig. Heute zählen der Ganges und der Yamuna zu den dreckigsten Flüssen der Welt. An vielen Streckenabschnitten in der Umgebung von Delhi ist der Fluss nur noch ein Rinnsal.

Das Überleben der Hauptstadt hängt von diesem Fluss ab. Der Sitz unseres Präsidenten, unseres Ministerpräsidenten und des Parlaments liegen ganz nahe am Fluss, aber selbst das hat den Fluss nicht beschützen können, er wird weiterhin hemmungslos angezapft. Jeden Tag kommt die Wüste etwas näher und eines Morgens wird die Stadt aufwachen inmitten der Wüste, ohne Wasser, ohne Strom.

Tiger und Premierminister

Merkwürdigerweise hat Delhi die paar Male, in denen die Stadt sich wirklich etwas vorgenommen hat, das auch relativ gut hingekriegt. Als die Luftverschmutzung vor ein paar Jahren unerträglich wurde, gab es einen Beschluss, dass alle Taxis, Dreirad-Rikshas, Busse und Laster von Diesel auf Gas umsteigen.

Es gab natürlich Zeter und Mordio, aber kaum hatte die Stadt die Regelung umgesetzt, machte Bombay es Delhi nach. Natürlich ist die Luft in Delhi immer noch furchtbar verschmutzt, aber stellen Sie sich vor, wie es erst wäre, wenn all diese ineffizienten uralten Motoren immer noch mit Diesel betankt werden würden.

In der Regel aber sind in Indien Umwelt-News schlechte News. Als bekannt wurde, dass der bengalische Tiger vom Aussterben bedroht ist, weil der Mensch ihm die letzten Rückzugsräume nimmt und weil die wenigen noch lebenden Exemplare weiterhin gejagt werden, intervenierte der Premierminister höchstpersönlich und ließ sich vor vier Jahren zum Ehrenvorsitzenden der Kampagne Save The Tiger ernennen.

Ein Seufzer der Erleichterung ging durchs Land; wenigstens einmal hatten die Umweltaktivisten den mächtigsten Mann Indiens auf ihrer Seite. Aber entweder hat er nicht genug Zeit in die ganze Sache gesteckt oder er hat einen schlechten Job gemacht: Die Tiger sind heute noch stärker vom Aussterben bedroht als damals. Aber wenn nicht mal der indische Premierminister dich retten kann, wer dann?

Kiran Nagarkar ist einer der wichtigsten Schriftsteller Indiens und Autor des großartigen Romans "Krishnas Schatten". Zuletzt erschien von ihm auf Deutsch "Sieben mal sechs ist dreiundvierzig" (A1-Verlag). Er lebt momentan als DAAD-Stipendiat in Berlin.

Deutsch von Alex Rühle

© SZ vom 2.8.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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