Wettbewerb:Höllische Ferien

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Unrecht im Detail - Michael Winterbottoms "The Road to Guantanamo" schildert das Schicksal der "Tripton Three" in einer Mischung aus Dokumentation und Spielfilm.

Susan Vahabzadeh

Das Konzerthaus am Gendarmenmarkt ist ein wunderschönes altes Gebäude, eines, in dem es einem ganz natürlich vorkommt, wenn über den roten Teppich zur Cinema-for-Peace-Gala eine Frau schwebt mit einem Mobile-artigen Gebilde auf dem Kopf.

Gefängnisrealität in "Guantanamo" (Foto: Foto: Berlinale)

War das nicht das Ding, das in Michel Gondrys "Science of Sleep" eine zentrale Rolle spielt? Ein selbstgebasteltes Bäumchen, das Charlotte Gainsbourgh und Gael García Bernal in einem kleinen Spielzeugboot pflanzen, mit dem sie irgendwann davonschippern über die Zellophanpapiersee hinüber ins Reich der Träume.

Alles nur geträumt?

Vielleicht hat die Cinema-for-Peace-Gala gar nicht wirklich stattgefunden, sondern ist nur eine Phantasie von Michel Gondry, der zwar auf der Gästeliste stand, sich aus dem ganzen Event aber doch hinausgeträumt hatte.

Er hat auch geträumt, Richard Gere, der eigentliche Gastgeber, sei wegen eines Schneesturms nicht aus New York weggekommen, und Milla Jovovich musste allein die Veranstaltung eröffnen; und der Hauptpreisträger George Clooney, dessen "Good Night, and Good Luck" eigentlich dort geehrt wurde als wertvollster Film des Jahres, sei zurück nach L.A. zum Lunch der Oscar-Nominierten.

Alles die Schuld von Michel Gondry, der stattdessen Christopher Lee herbeiphantasierte und John Hurt und Sir Bob Geldof. Und, auch das wirkt etwas surreal, Milo Radulovich - mit der Geschichte über seine Kündigung brachte die Fernsehsendung, um die es in Clooneys Film geht, den Senator Joe McCarthy zu Fall.

Ein alter Mann ist er inzwischen, weit über achtzig, aber wenn er dasteht und erzählt, wie das damals war - dann holt einen das auf sehr angenehme Weise in die Realität zurück.

Das Schicksal der "Tipton Three"

Diese Veranstaltung ist eben ein perfektes Festivalgeschöpf, eine Kreuzung aus schillerndem Event und ernsthaftem Engagement. Michael Winterbottom wurde hier für sein Werk geehrt, das schloss die Verbeugung vor seinen neuen Film, "The Road to Guantanamo", der erst danach im Wettbewerb der Berlinale Premiere hatte, prophylaktisch mit ein.

Die Filme, die Winterbottom gemacht hat, sind sehr unterschiedlich - bodenständig politisch wie "Welocome to Sarajevo", edel wie der Science-Fiction-Film "Code 46", underground-komisch wie "24 Hour People".

In "Road to Guantanamo" geht um die Tipton Three, und die hat sich Winterbottom keineswegs ausgedacht: Drei pakistanischstämmige Jungs, zwischen 19 und 21 Jahre alt, nicht besonders religiös, aus Tipton bei Birmingham, wurden Ende 2001 in Afghanistan festgenommen und US-Truppen ausgeliefert. Bis März 2004 wurden sie unter Terrorverdacht in Guantanamo festgehalten - wäre eine Anklage erhoben worden, wäre sie in sich zusammengefallen.

Natürlich ist es immer einfach, am Beispiel von Unschuldigen zu erzählen, wie Recht nicht funktioniert, aber die Kategorisierung "böse", die George Bush zu Beginn von Winterbottoms Film einführen darf, ist sowieso zu schlicht.

Winterbottom erzählt die Geschichte von drei Jungs, die sich in einer Mischung aus Naivität und Abenteuerlust in eine ausweglose Situation hineinmanövriert haben: Einer sollte in Pakistan heiraten, da machen sie ein paar Tage Urlaub, kriegen, weil sie an Pizza und Burger gewöhnt sind, furchtbaren Durchfall und folgen dann dem Aufruf eines Geistlichen, der notleidenden Bevölkerung in Afghanistan zu helfen - die Reise kostet schließlich nur etwas über zwei Pfund, und vor Ort können sie dann herausfinden, was für eine Sprache die Typen da sprechen.

"Holiday from hell" endet in Gunatanamo

Winterbottom mengt Interviewsequenzen mit nachgestellten Szenen und Archivmaterial von damals, schnell geschnitten. Was dabei herauskommt, ist ein Bilderrausch, der eine Ahnung vermittelt, wie die drei Jungs in einen Strudel geraten und plötzlich im Bombenhagel in Afghanistan festsitzen.

Der Film wird ruhiger, wenn sie in amerikanischer Gefangenschaft sind, aber dann wird die ganze Geschichte auch erst so richtig unfassbar - im Detail nachzuvollziehen, wie der Rechtsstaat zur Seite geschoben wird und Donald Rumsfeld achselzuckend bemerkt, die Camps auf Kuba hielten sich "in weiten Teilen an die Genfer Konvention", das ist schon faszinierend.

Die Jungs erzählen wie von einem Abenteuertrip - ""holiday from hell", sagt Winterbottom. Sein Film bleibt völlig nüchtern - auf Willkür antwortet man am besten mit einer pedantisch verfassten Anklageschrift.

© SZ vom 15.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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