Werk der Wahl:Philosophie und Eros

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Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger ist dem dionysischen Reiz des Barberinischen Fauns verfallen

Protokoll von Susanne Hermanski

Wer den Faun betrachtet, den zieht es augenblicklich in eine andere Welt. Eine, die nicht altmodisch, sondern zeitlos ist, eine Welt der Sinnlichkeit und des Eros. Schon bald wird dem Betrachter klar: Dieser Faun, der da so somnambul vor dir liegt - der sich irgendwo zwischen Schlafen und Wachen befindet - bewegt sich in einer weiteren, nochmals anderen Welt. Man kommt ins Überlegen: Was denkt der Faun wohl? Denkt er bloß: "Na, dann macht mal. . ."? Ist er erschöpft von einem Bacchanal mit Dionysos? Ruht er sich aus für den nächsten Akt? Wo beginnt die Philosophie? Wo löst diese den Eros ab? Oder ist dieser Faun schlicht ein Sinnbild für beides, Eros und Thanatos?

Erst bei genauerem Hinsehen merkt der Betrachter, dass der Faun unvollständig ist. Sein Penis ist angeschlagen. Sein rechtes Bein ist abgeschlagen. Und besonders interessiert mich die zwingende Frage: Was macht die fehlende linke Hand? Wäre sie so entspannt wie seine rechte? Oder hielt der Faun darin vielleicht noch eine üppige Weintraube? Oder hat er damit vielleicht sogar noch die Hand eines anderen Fauns oder einer Elfe gehalten? Er lässt mich immer an ein Zitat von Lichtenberg denken: "Träume sind der Mut zu einer Phantasie, den man im Wachsein nicht hat." Vielleicht war es auch dieser Faun, der Debussy zum Teil inspiriert hat zu seinem "Nachmittag eines Fauns", seinerzeit ein herrlicher Skandal am Balletttheater.

Ludwig I. kaufte den Faun aus der Sammlung Barberini für die Glyptothek, entstanden ist er etwa 220 v. Chr. (Foto: Johannes Simon)

Mir gefällt auch, dass dieser Faun auf den ersten Blick gar nicht so sehr nach einem Faun, sondern beinah wie ein ungewöhnlich schöner, normaler Mensch aussieht: Der Pferdeschwanz ist zwar noch zu erkennen, nicht aber der Pferdehuf. Zudem ist der Körper makellos und sehr natürlich, er hat eine noble, aber laszive Schönheit. Man bedenke die Zeit, in der er entstanden ist!

Perfekt ist diese Skulptur, weil sie unvollkommen ist, oder: Sie ist vollkommen, weil sie nicht perfekt ist. Denn alles Perfekte erstarrt nur zu einem Museumsstück. Aber beim Barberinischen Faun wartet man, dass er jeden Moment aufwachen könnte. Man kennt das von den Straßenkünstlern, die als lebende Statuen in den Fußgängerzonen stehen. Bei denen wartet man auch, dass sie sich gleich bewegen. Ich empfinde das als eine gesunde Dramatik. Auch die einladende Sinnlichkeit, die er vermittelt, ist für mich als Theatermacher ein Ideal. Ganz gleich in welchem Theatergenre, in welcher Erzählform: So sinnenfroh sollte man beginnen. Dem Faun gegenüber fühle ich mich sofort in mein absolutes Lieblingsstück versetzt: Shakespeares "Sommernachtstraum". In dem ist absolut alles enthalten, was der Mensch so an Irrtümern aufzubieten hat.

Und diese Offenheit ist entwaffnend. Außerdem laufe ich persönlich sowieso lieber in jedes dionysische Messer, als mich selbst nie zu spüren - und mich den anderen auch nie zu spüren zu geben. Die Angst, sich die Blöße zu geben, der Wahn, das eigene Bild in der Gesellschaft kontrollieren zu können, spielt derzeit eine besondere Rolle. Und gleichzeitig geben die Menschen Privatestes doch ungeschützt preis. Das ist paradox. Denn es befördert das Lügen und erstickt jede Offenheit. Wenn wir nicht darauf achten, uns diese Freiheit zu bewahren, dann sind die Zeiten eines wunderbar entspannt schlummernden Fauns bald für immer vorbei.

Josef E. Köpplinger ist seit der Spielzeit 2012/2013 Intendant des Gärtnerplatztheaters. (Foto: Stephan Rumpf)

Antikensammlung, Königspl. 1, Di, Do bis So 10-17 Uhr; Mi 10-20 Uhr

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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