Werk der Wahl:"Das ist Natur pur"

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Der Schönheitschirurg Werner Mang über die Fotografie "White Shirts" von Peter Lindbergh

Protokoll: Evelyn Vogel

Das Bild von Peter Lindbergh hat für mich eine große Bedeutung, weil Christy Turlington an prominenter Stelle im Besprechungszimmer in meiner Klinik hängt. Ich bin ja durch meine Nasen berühmt geworden. Und anhand der Nase von Christy Turlington habe ich bestimmt schon Tausenden von Patienten die Ästhetik erklärt. Dass hier die Augenabstände ideal zu den Lippen sind, dass die Nase in den Hintergrund rückt und trotzdem jugendlich-erotisch wirkt. Sie kann durchaus auch eine kleine Unebenheit haben. Aber diese Verhältnisse strahlen eine große Natürlichkeit aus.

Bei Tatjana Patitz, die auf dem Foto gleich daneben steht, fallen die etwas unterschiedlich hohen Augenbrauen auf. Bei ihr sind mir die Augenabstände zu eng, und der Blick ist etwas zu düster. Die Abstände zwischen Kinn, Mund, Nase, Augen ist bei Patitz länger als bei Turlington, das ist mir etwas zu hart. Und bei einer weiteren Schönheit in der Reihe der "White Shirts", bei Linda Evangelista, da ist mir eindeutig der Mund zu negativ. Der wirkt ein bisschen schmollend, gelangweilt. Ein Mundwinkel hängt etwas herunter, den könnte man anheben. Und natürlich sehe ich als Schönheitschirurg auch, dass der Flügelknorpel der Nase etwas zu stark ausgebildet ist. Aber sie ist natürlich ein Charakterkopf.

Würde eine von den dreien bei mir vorstellig werden, ich würde sie wieder nach Hause schicken. Ich würde bei keiner irgendetwas ändern, sondern sie so natürlich belassen. Und ich schicke auch etwa acht bis neun Prozent der Patienten, die zu mir kommen, wieder weg - oder zum Psychologen, weil sie ein ganz anderes Problem haben, als eine zu große Nase oder zu kleine Brüste. Weil die Dinge wollen, die unseriös sind. Als Schönheitschirurg muss man nicht nur fachlich gut ausgebildet und künstlerisch-kreativ sein, man muss auch Psychologe sein.

Schöne Frauen in blütenweißen Hemden: Estelle Lefébure, Karen Alexander, Rachel Williams, Linda Evangelista, Tatjana Patitz und Christy Turlington (v. l.) auf Peter Lindberghs Fotografie "White Shirts", das 1988 in Malibu entstanden ist. (Foto: Peter Lindbergh, Paris/Gagosian Gallery)

Die Schönheitschirurgie ist ein Spiegel der Gesellschaft. Sehr oft kommen Patienten zu mir und wollen genau so aussehen wie . . . Früher waren das Schauspielerinnen oder Models. Das waren meist Menschen, deren Schönheit im wesentlichen doch natürlich war. Natürlich hängen bei mir solche Vorbilder wie Christy Turlington oder Grace Kelly - für mich eine der schönsten, ebenmäßigsten Frauen. Zum Glück kommt man wieder zurück zur natürlichen Schönheit, dass man nicht zu viel macht. Der Schönheitswahn von Amerika, mit diesen aufgespritzten Lippen und den Riesenbrüsten, der flacht zum Glück ab.

Wenn heute ein junges Mädchen kommt und will einen Po wie Kim Kardashian haben, dann sag' ich: Man muss auf einem Po nicht zwingend ein Sektglas abstellen können. Das ist nicht meine Form von Ästhetik und deswegen mach' ich da keine Silikonimplantate oder Fettinjektionen. Es kommen teilweise Jugendliche, 15- oder 16-Jährige, die beeinflusst durch das Internet solchen Frauen nacheifern, die mehrfach operiert sind. Weil das nicht mehr die unerreichbaren Schönheiten von früher sind, sondern oft das Mädchen von nebenan, halten die Jugendlichen alles für möglich. Da muss man schon mal nein sagen. Nur wenn jemand so sehr leidet, dass er keine Freunde hat, sich nicht aus dem Haus traut, dann kann man da verantwortungsvoll eingreifen und korrigieren. Die Freudsche Theorie, dass man Mängel aussitzen muss, ist überholt.

Im Übrigen kommen auch immer mehr Männer zu mir. 1990 lag der Männeranteil in Deutschland bei 3,8 Prozent, die sich verschönern ließen. Heute ist jeder vierte, der sich unters Messer legt, ein Mann. Schlupflieder, Tränensäcke, Fett abgesaugt, Haartransplantation, Nasenkorrekturen, Faceliftings - die ganze Palette. Bei Frauen steht immer noch die Brustvergrößerung an erster Stelle. Aber Schönheit muss meiner Meinung nach zeitlos sein. Man sollte sich an der Antike orientieren. David von Michelangelo, die Venus von Milo. Ein guter ästhetischer Chirurg sollte sich nicht dem Zeitgeist unterwerfen. Bis 1945 gab es praktisch nur ein Schönheitsideal. Erst danach hat es sich durch die Medien gewandelt. Erst kam Brigitte Bardot: große Lippen, kleine Nase, große Brüste. Dann kam Twiggy: Da haben alle wieder abgenommen. Dann kam die Ära Claudia Schiffer, jetzt kommen die ganzen jungen Models wie Hadid.

Werner Mang ist in Lindau am Bodensee aufgewachsen, wo er auch eine Klinik für ästhetische Chirurgie unterhält. Bekannt wurde Mang vor allem durch seine Nasen-Operationen. (Foto: oh)

Ich habe hier leider keine alten oder gebrechlichen Gesichter gesehen. Die vermisse ich in der Ausstellung. Hier sind nur schöne Menschen zu sehen. Ich mag Kontraste bei einem Künstler. Trotzdem finde ich dieses Foto sehr gut, weil hier so eine Natürlichkeit zum Ausdruck kommt. Ich sehe hier kein Silikon, keine aufgespritzten Lippen, keine verlängerten Wimpern - das ist frische Jugendlichkeit und Natürlichkeit. Ich muss eingestehen, dass ich das Altern auch nicht schön finde. Altern heißt ja auch Gebrechlichkeit. Altern und ein paar Falten stören mich nicht, im Gegenteil. Ich sage oft Patienten, man muss nicht alles glatt bügeln. Je länger ich den Beruf mache, umso humaner werde ich.

Die "White Shirts" von Peter Lindbergh aber strahlen die pure Jugendlichkeit aus und die hat man im Alter nicht mehr. Das kann man auch durch ästhetische Chirurgie nicht mehr so perfekt wiederherstellen. Auch deshalb fasziniert diese Ausstellung so sehr: Das ist Jugend pur, Natur pur. Leben, zeitlose Schönheit, Glück und Zufriedenheit.

Peter Lindbergh - From Fashion To Reality , noch bis 27. August, täglich 10 bis 20 Uhr, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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