Werk der Wahl:Aufstieg, Abstieg, Fortschritt

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Der Architekt Amandus Sattler ist inspiriert von Ólafur Elíassons Treppenskulptur

"Betreten Verboten" - steht auf dem Schild, das an der Absperrkette am Zugang der sich verzahnenden Doppelspiraltreppe angebracht ist. Ob das der Künstler weiß, der doch die Skulptur im Zugangshof des Gebäudes der KPMG in München eingebaut hat, um dem Betrachter eine Raumerfahrung beim Besteigen zu ermöglichen. Sicherlich, ganz einfach läuft sich die Treppe nicht, mit ihren sich verändernden Steigungshöhen, wenn man sich im Endlos-Loop in Form einer Doppelhelix hinauf und hinunter schraubt.

Wahrnehmung, Wirklichkeit und Bewusstsein spielen im Werk von Ólafur Elíasson, der in Kopenhagen und Berlin lebt und arbeitet, eine tragende Rolle. Die meisten seiner Werke beschäftigen sich mit physikalischen Phänomenen in der Natur, wie Licht, Wasser, Bewegung und Reflexion.

Das Begeisternde an Ólafur Elíasson und seiner Kunst ist für mich, wie er mit sehr einfachen aber auch konkreten Aussagen, wie zum Beispiel der großen künstlichen Sonne in der Tate Modern oder der isländischen Steinwüste mit einem Bach im Louisiana Museum, die Menschen zu gemeinsamen Bewusstseinsprozessen führt. Er sperrt Naturschauspiele in Räume und zeigt uns damit, wie subjektiv unsere Wahrnehmung ist, dass die Wirklichkeit überhaupt nicht wirklich ist, sondern nur unsere Auseinandersetzung mit ihr.

Die Form der Doppelhelix erinnert natürlich an das Bild der DNA: Seit elf Jahren steht Ólafur Elíassons Skulptur im Hof des KPMG-Gebäudes. (Foto: Amandus Sattler)

Eliassons Ausstellungen sind von einer überwältigenden Sinnlichkeit, aber auch außerhalb der bekannten Museen wirkt er mit Dingen für den täglichen Gebrauch. Wie viele andere, habe auch ich sein Crowdfunding-Projekt "Little Sun Charger" unterstützt. Der Solar Akku ergänzt die von ihm gestaltete Solar-Led-Lampe mit der er Licht in Gegenden zum Beispiel in Afrika bringt, die keinen Strom haben. Ein perfektes Beispiel, wie Design die Gesellschaft verändern kann. ("Every lamp sold makes a difference.")

"Umschreibung", die Skulptur von Eliasson, steht bereits seit elf Jahren am Eingang des Gebäudes auf der Theresienhöhe und ist trotzdem noch kaum bekannt. Ich habe sie auch nur durch einen Hinweis einer Freundin entdeckt, die in der Nähe ihr Büro hat. Architekten beschäftigen sich sehr viel mit Treppen, meist unter strengen Anforderungen der DIN-Normen und des Brandschutzes. Wie herrlich ist es dann zu sehen, wie spielerisch ein Künstler die neun Meter hohe, auf einem Punkt aufgelagerte und frei durch den Raum schwingende Konstruktion entworfen hat. Künstler sind die neuen Architekten. Sie zeigen uns, wie sehr die Ästhetik verloren gegangen ist beim zeitgenössischen Bauen. Die Räume der Erschließung der Häuser mit ihren Treppen wurden traditionell zelebriert und mit wertvollen Materialien und expressiven Formen inszeniert. Heute sind sie oft nur noch karge Zweckräume ohne gestalterische Qualität. Heute fährt man lieber Aufzug.

Amandus Sattler ist Architekt und Senior Partner des 1993 gegründeten Architekturbüros Allmann Sattler Wappner Architekten in München. (Foto: oh)

In Form einer Doppelhelix, dem Bild der DNA, die alle Informationen und Gene der Lebewesen in sich trägt, wird die Endlostreppe zum Sinnbild des menschlichen Lebens, der tägliche Versuch nach vorne oder oben zu kommen und dabei aber auch genauso wieder nach unten zu geraten. Elíasson will den Betrachter in sein Werk mit einbeziehen, das Rauf und Runter ändert den Blickwinkel auf die Dinge und schärft die Wahrnehmung. "When you don't move, nothing changes."

Stahl-Skulptur am Bürogebäude der KPMG Deutschen Treuhandgesellschaft AG, Ganghoferstaße 29

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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