Web-Blogging:Die fünfte Gewalt

Lesezeit: 4 min

Wie Webtagebücher in Amerika Politik machen.

Von Petra Steinberger

Sie sitzen vor ihren Schreibtischen, irgendwo in Amerika, das Gesicht bläulich schimmernd hinter der Brille, die inzwischen nötig geworden ist - ständig vom Bildschirm zu lesen, ist anstrengend.

Doch durch die Brille, in ihrem Computer, erkennen sie die Welt. Sie lesen für den Rest Amerikas. Sie lesen die Wahlkampfprogramme und Berichte sämtlicher Kommissionen und Gerichtsurteile und internationale Zeitungen, sie durchkämmen das Netz nach Fakten und Informationen.

Sie sind selbstlos und eitel zugleich und teilen uns ihre Gedanken zu dem, was sie entdeckt haben, sogleich schriftlich mit, nach der Formel "Web link + Zitat + Kommentar", wie sie irgendwann einer dieser einsamen Männer aufgestellt hat, der wohl immer noch irgendwo vor dem Bildschirm sitzt.

Und so schaffen sie das, was man einen "Blog" nennt, ein Web Log - ein Tagebuch im Internet. Mindestens einmal täglich werden solche Blogs mit den neuesten Statements ihrer Schöpfer versehen. Manchmal stündlich.

Wäre dies nur die ganz gewöhnliche Selbstentblößung einer Randgruppe verbaler Exhibitionisten, eine Selbstdarstellung, wie sie in jedem Medium auf seine Art üblich geworden ist, dann wären diese Blogs, dann wäre das "Blogging" nicht weiter erwähnenswert. Und dann wäre ein Titel wie der des US-Magazins Newsweek, "Werden die Blogs die Alten Medien vernichten?", höchstens kurios zu nennen, gewidmet einer jener endlosen Kommunikationsmoden, die das Internet immer wieder ausgestoßen und sogleich wieder verschlungen hat.

Ende der Alten Medien

Doch dass Blogs nicht mehr übergangen werden können, haben Amerikas Politiker, Demokraten wie Republikaner gleichermaßen, inzwischen eingesehen. Große Tageszeitungen leisten sich schon längst eigene Blogger.

Und auf den beiden großen Wahlversammlungen der Demokraten in Boston und der Republikaner in New York wurden in diesem Jahr zum ersten Mal Dutzende von Blogger akkreditiert; die Nachrichtenagentur AP schickt dafür gar einen Pulitzer-Preisträger der alten journalistischen Schule an den Computer.

In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob Blogs die Pixel wert sind, die über sie bereits ausgeschüttet wurden: Schon heißt es, dass sie die politische Berichterstattung, ja den gesamten Journalismus radikal verändern würden, dass sie ein neues, ein urdemokratisches Forum bieten würden, welches den allzu vielen passiven, desillusionierten Wählern wieder Lust auf Mitbestimmung und Demokratie machen würde.

Dass der Blog zu einem derartigen Ereignis wurde, kam vielleicht eher zufällig zustande - wie es manchmal passiert, wenn eine technische Innovation und ein historisches Ereignis, so wie Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks und Luthers Thesenanschlag in Wittenberg, zeitlich so zusammenfallen, dass daraus exponenziell mehr und qualitativ etwas ganz anderes entsteht.

Die neue Macht der Blogs

Diesmal war es die neue Form des Blogging, das mit 9/11 und dem Krieg gegen den Irak zusammenfiel: Aus vielen politischen unter den Blogs wurden damals "Warblogs", einige von ihnen stiegen aus der Bedeutungslosigkeit auf und hatten Hunderttausende von Lesern. Inzwischen glauben Liberale wie Konservative, dass Blogger, als Informationsvermittler wie als Meinungsmacher, einen ungewöhnlich großen Einfluss hatten auf die Wahrnehmung des Krieges, ja vielleicht sogar der gesamten amerikanischen Politik, so, wie es einst nur den etablierten, den "Big Media" zugestanden wurde. Zumindest erklären das diejenigen, die selbst bloggen.

So wie Glenn Harlan Reynolds, in seinem alten Leben Juraprofessor an der etwas abgelegenen Universität von Tennessee, ein begeisterter Verteidiger der Waffenlobby und nun mit seinem Web Log "InstaPundit" einer der Großblogger Amerikas.

Im angesehenen Politjournal National Interest verkünde er, man habe sich getäuscht, als man in der unschuldigen Zeit vor 911 dachte, die Hauptaufgabe der neuen Kommunikationstechnologien sei es, der Kontrolle von Regierungen über den Informationsfluss zu entkommen. Ganz im Gegenteil, "tatsächlich ist es zur Hauptaufgabe dieser neuen Technologien geworden, die professionellen Nachrichtenmedien zu umgehen und ihre Rolle als Gatekeepers zu unterminieren." Nicht die Regierungen werden entmachtet, sondern die Medien.

Ähnliches über die neue Macht der Blogs glaubt auch der New Yorker-Journalist und Schriftsteller George Packer zu entdecken, politisch eher auf der anderen Seite. "Blogging", schreibt er im altlinken Journal Mother Jones, "Blogging öffnet den politischen Journalismus für einen weiten Markt von Wettbewerbern, es erinnert an jene früheren Zeiten, in denen Pamphlete geschrieben wurden. Und es gibt, im Guten wie im Bösen, der unverblümten Meinungsäußerung wieder einen zentralen Platz innerhalb der politischen Berichterstattung."

Packer weiß, wie so viele andere, nicht recht, wie er sich dazu stellen soll. Er hasst sie, schreibt er, und er ist süchtig nach ihnen, im wahrsten Sinne. Blogs "sind zugleich angenehm und destruktiv. Sie sind so leicht zu konsumieren und so endlos verfügbar." Blogs gibt es für alles und jeden. Sie sind die persönliche Meinung eines Autors, den man nach kurzer Zeit zu kennen glaubt.

Blogs ordnen die Welt für uns ein; für jede Aussage gibt es eine Antwort irgendwo da draußen, jedes Argument wird irgendwo zerlegt und neu zusammengesetzt. Sogar ein eigenes Wort wurde für diese Blog-typische Auseinandersetzung erfunden: "Fisking" - nach dem Nahost-Korrespondenten Robert Fisk der britischen Zeitung Independent, dessen israelkritische Berichte den Hass vieler Warblogger auf sich gezogen haben, die nun seine und die Argumente anderer politischer Opponenten jeweils Punkt für Punkt dekonstruieren.

Lockstoff für politikmüde Amerikaner

Es ist jedoch nicht die Dekonstruktion an sich, die verantwortungsbewussten Liberalen Sorgen bereitet - es ist die politische Orientierung viel gelesener Blogger wie Andrew Sullivan oder Glenn Reynolds. "Wie Talk Radio", die reinen Wortsender, so die britische Zeitschrift New Statesman, seien Blogs "von der politischen Rechten dominiert" - rechts, konservativ, kriegsbefürwortend. Was von der anderen Seite keineswegs geleugnet wird.

Der Grund dafür, schreibt Glenn Reynolds im National Interest, sei jedoch eher zufällig. "Die Menschen und Organisationen, die hier beiseite gedrängt werden, tendieren dazu, gegen den Krieg zu sein und manchmal auch antiamerikanisch. Diejenigen, die sie ersetzen, haben eher die entgegengesetzte Meinung." Womit Reynolds jene beliebte Stereotype der Rechten wiederholt, wonach die etablierten Medien sowieso alle links stehen.

Aber selbst das, beruhigen sich die ewigen Optimisten unter den Beobachtern des so genannten Kulturkrieges zwischen Liberalen und Konservativen, selbst das sei zu verkraften angesichts der Tatsache, dass Blogger viele politikmüde Amerikaner wieder ein bisschen aus ihrer Lethargie herausgelockt hätten.

Überhaupt seien sie eigentlich nur Nachfolger jener zornigen jungen Männer, die im England und Amerika des 18. und 19. Jahrhunderts mit Pamphleten, mit Streitschriften auf teilweise recht rüde Art ihre Gegner in Politik und Kultur zu vernichten suchten.

Blogging ist eine Bereicherung, nicht unbedingt ein Ersatz für die Journalisten der Alten Schule des 20. Jahrhunderts, die sich gerne weiterhin dem Unterschied zwischen Fakt und Meinung widmen dürfen. So verweilt der Blog-Süchtige stundenlang in den Weiten der "Blogosphäre", lässt sich von einem Link zum nächsten treiben, trudelt eine Cyberkaskade nach der anderen hinab, kommt zurück und fühlt sich etwas ausgelaugt.

Immerhin, gut für die allgemeine demokratische Verfassung ist es wieder mal gewesen, denkt sich der Journalist und schreibt es auf.

© SZ vom 16.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: