Walser und der Rowohlt-Deal:Die literarische Quadratur des Kreises

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Walser will und darf mit all seinen Suhrkamp-Titeln zum Rowohlt-Verlag wechseln.

Ijoma Mangold

Fünf Jahrzehnte hielt die enge Symbiose zwischen Martin Walser und dem Suhrkamp Verlag. Jahr für Jahr erschienen im hochangesehenen Frankfurter Verlagshaus die Bücher des Schriftstellers vom Bodensee. Fünf Jahrzehnte Verbundenheit, die auch auf der Männerfreundschaft zwischen Walser und seinem Verleger Siegfried Unseld gründete. Als im Frühsommer 2002 die Aufregung um Walsers Roman "Tod eines Kritikers" losgetreten wurde, da war Unseld bereits schwer krank und abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Von der Medienschlacht um Walsers Buch bekam er nichts mit, konnte sich nicht schützend vor seinen Autor stellen, der dem vernichtenden Vorwurf ausgesetzt wurde, mit antisemitischen Klischees zu arbeiten.

Auch im Verlag waren die Meinungen gespalten. Sollte man dem Druck der Vorverurteilung nachgeben und die Veröffentlichung des Romans zurückziehen? Für einen kritischen Moment war alles in der Schwebe: Es war die erste Krise, die der Verlag ohne Unselds Autorität und Rat bewältigen musste. Doch Günter Berg, damals noch Verlagsleiter und in dieses Amt von Unseld eingesetzt, stand zu Walser und gab ihn nicht auf. "Tod eines Kritikers" erschien. Und obwohl es bereits im Verlag erheblich knirschte, war doch noch einmal umgesetzt, was stets Unselds Leitdevise gewesen war: Immer zu seinen Autoren zu stehen.

Doch wenige Wochen später ergriff Unselds Ehefrau Ulla Berkéwicz das Wort in der Zeit. In einem bewegenden Artikel über Ignatz Bubis erwähnte sie wie beiläufig die Debatte zwischen Walser und dem damaligen Zentralrats-Vorsitzenden und ging so auf Distanz zu ihrem Autor. Indirekt war dieser Artikel ein eindeutiges und heftiges Statement: Sie, die künftige Erbin des Verlages, möchte mit "Tod eines Kritikers" und seinem Verfasser nichts zu tun haben.

Spätestens da war klar, dass Walser sich im Suhrkamp Verlag nicht mehr zu Hause fühlen konnte. Im vergangenen Herbst übernahm dann Ulla Berkéwicz, seit dem Tod Unselds faktisch Mehrheitsgesellschafterin am Verlag, auch die Geschäftsführung. Damit degradierte sie Günter Berg, den Walser-Getreuen, so dass dieser seinen Hut nahm und auch Walser sich nach einem neuen Verlagshaus umschaute. Seither kursierten die Gerüchte: Würde er zum Kölner DuMont Verlag gehen, zu Rowohlt oder zu Hoffmann und Campe, wo Günter Berg demnächst als Verlagsleiter seine Arbeit aufnimmt? Nun ist es entschieden: Walser wird zum Rowohlt Verlag wechseln.

Doch ist diese Nachricht nur das Ende einer überschaubaren Spekulation. Weit erstaunlicher ist etwas anderes. Wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr, hatte Walser im Jahre 1997 mit Unseld eine Regelung getroffen, wonach er die Rechte an seinem Gesamtwerk zurückfordern kann, sobald Unseld nicht mehr Geschäftsführer des Verlages ist. Eine solche Regelung ist beispiellos. Während sich ein Verlagswechsel sonst in erster Linie auf die künftigen Bücher eines Autors bezieht, kann Walser nun auch alle bisher erschienenen Werke von Suhrkamp zu Rowohlt transferieren. Es wirft dies ein merkwürdiges Licht auch auf den Verleger Unseld, der ohne Not eine Entscheidung fällte, die Suhrkamp in der Nach-Unseld-Zeit erwartbar in der Substanz treffen musste.

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