Mehrere deutsche Historiker halten es für möglich, dass jemand als Mitglied der NSDAP geführt wurde, ohne selbst einen Aufnahmeantrag gestellt zu haben. "Solche massenhaften Rekrutierungen gab es ganz unbezweifelbar", sagte der Historiker Hans Mommsen am Montag. Auch Norbert Frei hat keinen Zweifel an der Existenz von unwissentlichen NSDAP-Mitgliedschaften. "Es hat Sammelanmeldungen gegeben, und es kann und muss auch Fälle gegeben haben, in denen die Betroffenen nichts davon wussten".
Am Wochenende waren Unterlagen aus dem Bundesarchiv zur NSDAP-Mitgliedschaft des Kabarettisten Dieter Hildebrandt sowie der Schriftsteller Martin Walser und Siegfried Lenz bekannt geworden ( Siehe SZ vom 2. Juli 2007). Alle drei bestreiten vehement, als 17- oder 18-Jährige einen entsprechenden Aufnahmeantrag unterschrieben oder von der Mitgliedschaft gewusst zu haben.
"Über die Praxis in den einzelnen Gauen wissen wir wenig oder nahezu nichts", sagte der Freiburger Historiker Ulrich Herbert. Das gelte besonders für die Übernahme der HJ-Jahrgänge 1926 und 1927, denen auch Walser, Lenz und Hildebrandt angehören. Hier musste ein HJ-Führer die Anträge sammeln und gebündelt weiterleiten, außerdem sei das Eintrittsalter auf 17 Jahre abgesenkt worden. Es sei durchaus möglich, dass einzelne NS-Führer hohe Eintrittszahlen auch ohne die entsprechenden Unterschriften meldeten; etwa zu "Führers Geburtstag".
Auch der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler bezeichnete die Aussagen Hildebrandts und seiner Altersgenossen als "glaubwürdig". Zugleich kritisierte er die "lüsternen Medienaufwallungen". Alle drei hätten durch ihr gesamtes Leben bewiesen, dass sie "mit den Nazis nichts im Sinn" gehabt hätten.