Wagner im tropischen Dschungel:Wenn nichts mehr geht, kommt Schlingensief

Lesezeit: 4 min

Christoph Schlingensief hat scheinbar einen Narren an Wagner gefressen - oder er hat etwas wiedergutzumachen. Jedenfalls hat es das ewige "enfant terrible" nach Bayreuth nun an den Amazonas verschlagen, um dort den "Holländer" mit Samba-Frolleins zu inszenieren.

bgr

Mit einer bunten Mischung aus Oper, Feuerwerk, Samba und regionalen Tänzen ist im brasilianischen Regenwald das 11. Festival Amazonas de Opera eröffnet worden. Rund 25.000 Menschen verfolgten in der Provinzhauptstadt Manaus ein Freiluftkonzert von 400 Musikern und Sängern aus Deutschland, Japan, den USA, Russland, England, Österreich, Argentinien und Brasilien. Unter anderem gab es eine erste "Open-Air-Kostprobe" von Richard Wagners Oper "Der fliegende Holländer" (O Navio Fantasma/Das Geisterschiff).

(Foto: Alle Fotos: dpa)

Deren Neuinszenierung durch den Berliner Regisseur Christoph Schlingensief sollte über die Bühne des ebenso legendären wie prunkvollen Teatro Amazonas gehen. Eine weitere Vorstellung soll am 25. April folgen.

Zuschauer, Musiker, Angehörige von Sambaschulen und Politiker zogen in einer "Prozession" mit Karnevalswagen singend und tanzend zum Hafen. Dort wagte Schlingensief an der Seite von Tänzerinnen in knappen Bikinis begeistert Sambaschritte.

Der Regisseur fuhr mit seiner Truppe - ein internationales Sängerensemble, einheimische Darsteller aus den Armenvierteln von Manaus und auch die kleinwüchsige Karin Witt und Klaus Beyer aus Schlingensiefs Berliner Mannschaft - mit einem Schiff auf dem Rio Negro weiter.

Später wurde dann bei Fackelschein in einem zugewachsenen Dschungelkloster Musik aus dem "Holländer" intoniert. "Es ist der helle Wahnsinn, wir haben Kinski, Wagner und Artaud beerdigt, es ist der größte Traum meines Lebens, der hier möglich wurde", sagte Schlingensief. "Es war, als hätte von ganz oben jemand noch mitgeholfen."

Die dabei gedrehten Filmaufnahmen verwendet der Regisseur bei seiner Operninszenierung. An der "Prozession" nahm auch die Witwe von Allan Kaprow teil. Der 2006 gestorbene amerikanische Künstler gilt als Begründer des Happenings in Malerei, Theater und Musik. Schlingensief hatte ihm im September eine Inszenierung an der Berliner Volksbühne gewidmet ("Kaprow City").

Für Schlingensiefs abenteuerliches Opernprojekt hat sich das Kultursekretariat des Bundesstaates Amazonas mit dem Goethe-Institut und der Bundeskulturstiftung zusammengetan.

Musikalischer Leiter ist Luiz Fernando Malheiro, der vor zwei Jahren mit einer ersten brasilianischen Gesamtaufführung von Wagners "Ring des Nibelungen" im Teatro Amazonas weltweit Furore machte. Das Festival in Manaus dauert bis zum 26. Mai. Die Organisatoren investierten 400 Millionen Real (etwa 150 Mio. Euro) für das Spektakel im Dschungel. Neben Schlingensiefs Inszenierung wird auch die Weltpremiere der brasilianischen Oper "Poranduba" des Komponisten Edmundo Villani Côrtes am 20. Mai mit Spannung erwartet.

"Für mich hat die Amazonas-Region etwas Mystisches", sagte Schlingensief dem Nachrichtenportal Amazonia. Er habe erstmals Bilder des zur Zeit der Kautschukbarone 1896 fertig gebauten und 1929 restaurierten Amazonas-Theaters in Werner Herzogs Film "Fitzcarraldo" gesehen und seit Jahren dort arbeiten wollen. Zwei Monate war der 46-jährige Schlingensief im Dschungel mit seinen Mitspielern unterwegs, um Filmaufnahmen für die Inszenierungen zu machen. Neben einem internationalen Sängerensemble und einem ganz in Weiß gewandeten Orchester sollten bei der Premiere auch "typische Vertreter" der einheimischen Bevölkerung auftreten, etwa eine 84-jährige Sambatänzerin.

Richard Wagner, Samba, und die archaische Götterwelt Brasiliens treffen bei Christoph Schlingensiefs Inszenierung von Wagners romantischem Frühwerk "Der fliegende Holländer" (1843) aufeinander, das als "O Navio Fantasma" (Das Geisterschiff) im Opernhaus von Manaus Premiere hatte.

Es war Schlingensiefs zweite Wagner-Inszenierung nach seinem spektakulären Bayreuth-Debüt 2004 mit Wagners Spätwerk "Parsifal".

Es gab viel Beifall in Brasilien für das internationale Sängerensemble und die Musiker unter der Leitung von Luiz Fernando Malheiro. Der Regisseur musste allerdings auch einige "Miniproteste" hinnehmen, wie er es später selber nannte.

Doch diese seien "von deutschen Wagnerianer mit ihrem Reinheitsgebot" gekommen, "die meinen, dass Wagner mit Samba nichts zu tun hat".

Auch seine Filmeinspielungen zum Beispiel aus Pasolinis "Die 120 Tage von Sodom" (1975) irritierten einige Zuschauer. "Eine Gesellschaft befriedigt sich selbst und zerstört das Glück des anderen", meinte Schlingensief dazu. Erste Kritiker wie in der ARD-Sendung "titel thesen temperamente" meinten zur Manaus-Premiere, Schlingensief habe "mit diesem skurrilen, barocken Unternehmen ein kleines Wunder bewirkt - Manaus tanzt den Wagner".

In Bayreuth habe er "ein Stahlgewitter erlebt, in Manaus aber ist mein Herz berührt worden", sagte Schlingensief.

Das "Weib der Zukunft" und ihr Zusammenprall mit der von Ehrgeiz und Unruhe getriebenen Männerwelt ist für Schlingensief der "klassische Fall" für die vergebliche Suche unserer Gesellschaft nach Erlösung. Daland tritt in seiner Version als Kolonialherr, Mädchenhändler und Sektenführer auf, "mit der ganzen Perversion der Europäer, die mal ein bisschen Spaß haben wollen", wie der Regisseur erläutert.

Senta will die ganze Welt und den Holländer retten, der selber nicht weiß, woher und wohin, und verschwindet am Ende in einer Art "Kokonkapsel", in eine "Stille der Verpuppung" (Schlingensief). Es seien alles Schizophrene, sagt Schlingensief. "Jemand, der alle sieben Jahre zurückkommt um erlöst zu werden, der kann ja eigentlich nicht ganz dicht sein."

Der 46-jährige Berliner Regisseur arbeitete zwei Monate lang bei nahezu unerträglichen tropischen Temperaturen. Außerdem belasteten ihn private Sorgen schwer: Sein Vater starb vor kurzem, seine Mutter erkrankte während seiner Arbeit in Manaus ernsthaft. Dennoch ist für ihn im brasilianischen Regenwald ein persönlicher Traum in Erfüllung gegangen: "Das ist ein handgreiflicher Wagner, der lange überfällig war."

Die in Brasilien entstandenen Filmaufnahmen, unter anderem mit dem Orchester im Regenwald, will er demnächst im Münchner Haus der Kunst zeigen. Aber er hat fast Angst, wieder nach Deutschland zurückzukehren. "Ich arbeite gerne im Ausland, fern von aller Kleingeisterei in Deutschland."

Allerdings hätten sich auch Landsleute gemeldet, wie zum Beispiel die Intendantin der Deutschen Oper Berlin, Kirsten Harms, die in Manaus ein kritisches Auge auf die Arbeit Schlingensiefs warf. "Ich habe keine Lust mehr, immer nur am Prenzlauer Berg oder an der Volksbühne vor lauter Leuten, die ich kenne, herumzutoben. Und außerdem ist toben auch gar nicht mein Ding", sagte der 46-Jährige.

© Quelle: sueddeutsche.de /dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: