Vorschlag-Hammer:Zwischen Welten

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Als ich T.C. Boyles Roman "América" bei seinem Erscheinen auf Deutsch vor 20 Jahren las, war ich schockiert von der Gnadenlosigkeit, mit der er das Scheitern beschreibt. Jetzt kommt der Romanstoff in den Kammerspielen auf die Bühne

Von Antje Weber

Es beginnt mit einem Knall: Ein Mann fährt auf einer kalifornischen Straße einen illegal eingewanderten Mexikaner an. Zwei Welten prallen damit aufeinander: die der reichen Weißen, die ihren Wohlstand als bedroht wahrnehmen. Und die der armen Einwanderer, die zum Überleben einen winzigen Anteil dieses Reichtums gut gebrauchen könnten.

Als ich T.C. Boyles Roman "América" vor 20 Jahren las, war ich schockiert von der Gnadenlosigkeit, mit der er das Scheitern beschreibt: das Scheitern der Einwanderer an der Härte ihres Lebens, das Scheitern aber auch der Reichen - an sich selbst. Dieser Roman ist unangefochten mein Lieblingsroman von Boyle (wobei ich zugeben muss, dass ich nicht alles von ihm kenne). Das Buch ist auf jeden Fall schrecklich großartig - und hoch aktuell. Es wundert daher nicht, dass Regisseur Stefan Pucher den Stoff nun für die Kammerspiele theatral aufbereitet (Uraufführung an diesem Donnerstag). Eher beschäftigt einen beim Wiederlesen die Frage, ob das funktionieren kann: Gehen dabei nicht unweigerlich wichtige Aspekte des Romans verloren?

Das ist die ewige Frage bei Romanadaptionen, ja bei überhaupt allen Versuchen, ein Kunstwerk in ein anderes Genre zu übertragen. Puristen mögen das grundsätzlich ablehnen; immerhin, so kann man ihnen entgegnen, beweist jede neue Verarbeitung, dass ein Thema offensichtlich immer noch großen Reiz ausübt und somit sehr lebendig ist. So ist das zum Beispiel auch beim Mythos um Ingeborg Bachmann, die ja nicht nur als große Schriftstellerin, sondern auch als große Liebende berühmt ist. Ihre Beziehung zum Dichter Paul Celan, im Briefwechsel "Herzzeit" der Öffentlichkeit bereits in allen Verzweiflungsschattierungen nahegebracht, ist nun verfilmt worden: ein arg ätherisches Zwei-Personen-Kammerspiel, dieses vielleicht vorschnelle Urteil legt der Trailer nahe. Fairer wäre es, den Film "Die Geträumten" beim Dok.fest in Gänze anzusehen und anschließend mit Regisseurin Ruth Beckermann darüber zu diskutieren (Literaturhaus, Freitag, 13. Mai, 19.30 Uhr).

Einen wieder anders gearteten Versuch, aus einem Kunstwerk in einem anderen Medium Honig zu saugen, unternimmt der Germanist Heinrich Detering. Er hat Bob Dylans Songtexte analysiert und darüber das Buch "Die Stimmen aus der Unterwelt. Bob Dylans Mysterienspiele" geschrieben. Sein Versuch, die "Vielstimmigkeit des Zitatengestöbers und der Collagenkunst" Dylans zu beschreiben, kam beim Rezensenten dieser Zeitung nicht gut an. In einem kann man Detering jedenfalls nicht widersprechen: Dylan, so hält er fest, mache "anthropologische Grundsituationen" wie Einsamkeit und Verlust kenntlich; differenzierter wird er das am 23. Mai im Lyrik Kabinett ausführen. Wer dann immer noch glaubt, dass allzu unterschiedliche Welten nicht aufeinander prallen sollten, dem kann man nur gelassen zuraunen: "Don't Think Twice, It's All Right".

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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