Vorschlag-Hammer:Zum Weinen

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Natürlich sollte man von jungen wie alten Autoren nicht erwarten, dass ihr Werk unbedingt Frohsinn verbreitet. Im Gegenteil verspüren permanent irre gut gelaunte Menschen womöglich keinen großen Drang, überhaupt Literatur zu produzieren

Von Antje Weber

Wer das liest, möchte nicht jung sein. "Durch die Tränen schaue ich aus dem Fenster", schreibt Julia Zange in ihrem Roman "Realitätsgewitter", und weiter: "Ich weiß, dass Ben jetzt auch in seiner Wohnung sitzt und aus dem Fenster schaut. Wahrscheinlich weint er." Das klingt nicht gut, denn: "In den letzten Monaten ist etwas passiert. Etwas ist verschwunden und etwas anderes ist aufgetaucht. Das ganz große Versprechen, das immer in mir schlummerte, etwas, das auf Erlösung hoffte, ein Wunder, ein unsinniger und irrsinniger Antrieb, eine naive Hoffnung, eine Frage - das gibt es nicht mehr. Es wurde ersetzt durch eine blanke tiefe Traurigkeit, ein seltsames Wohlgefühl und eine Art Langeweile."

Was ist bloß los mit dieser Ich-Erzählerin, die in ihrem äußerlich coolen Berliner Leben in Selbstmitleid ertrinkt? Und die der Autorin derart zu gleichen scheint, dass die Eltern eine einstweilige Verfügung gegen ihr Wortgewitter eingereicht haben? Vielleicht wird Zange das bei ihren Münchner Lesungen erklären, am 26. Januar in den Kammerspielen, am 16. März bei "Wortspiele". Vielleicht war alles gar nicht so gemeint. Oder genau so.

Natürlich sollte man von jungen wie alten Autoren nicht erwarten, dass ihr Werk Frohsinn verbreitet - im Gegenteil verspüren permanent irre gut gelaunte Menschen womöglich keinen Drang, überhaupt Literatur zu produzieren. Interessant wird in dieser Hinsicht der Große Tag der jungen Münchner Literatur am 28. Januar im Einstein. Wo 60 junge Menschen lesen, wird doch nicht alles nur düster sein? Gewiss nicht - schlägt man allerdings als Stichprobe das Buch "Nachts" von Mercedes Lauenstein auf, ist vor allem eines herauszulesen: Einsamkeit, nachts noch größer. Und wie sieht es beim Winter-Mix im Literaturhaus aus, der am 24. Januar vier Autoren vorstellt? Darunter Yi Luo mit ihrer Graphic Novel "Running Girl", deren Hauptfigur, eine chinesische Studentin in Bayern, leider ebenfalls nicht gut drauf ist: Am Ende weint sie bitterlich.

Was tun bei so vielen Tränen? Vielleicht hilft es ja trübseligen jüngeren Menschen, sich Realitätsgewittern anderer Art zu stellen. Sich zum Beispiel von den Alten inspirieren zu lassen, der einst auch sehr coolen Schriftstellerin Gertrude Stein etwa, über die Swantje Lichtenstein am 25. Januar im Lyrik Kabinett spricht. Oder sich Höherem zuzuwenden, wie am 26. Januar in der Kunsthalle, wo Poetry Slammer die Frage "Was glaubst du?" umkreisen. Oder aber am selben Abend den Haidhauser Buchladen Lentner aufzusuchen: Dort stellt Silke Kleemann den Autor Fouad Yazji vor, der seit seiner Flucht aus Syrien in München lebt. Von blanker tiefer Traurigkeit wird er ebenfalls zu berichten wissen. Allerdings sicher nicht von Langeweile.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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