Vorschlag-Hammer:Winterwunderwut

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Wo suchen wir Ruhe, Liebe und Hoffnung, sobald sämtliche Hühnchen mit den Kollegen gerupft und die Gänsebrüste mit der Familie gegessen sind? Richtig, in der kulturellen Erbauung

Kolumne von Susanne Hermanski

Fuchsteufelswild könnte ich gerade werden, weil ich mich über jemanden ärgern muss, der an dieser Stelle gar nichts zur Sache tut. Er ist nur insofern von Bedeutung, als unsereins in diesen Tagen doch gern das Gegenteil fühlen würde: Ruhe, Liebe, Hoffnung. Wo also suchen wir die drei, sobald sämtliche Hühnchen mit den Kollegen gerupft und die Gänsebrüste mit der Familie gegessen sind? Richtig, in der kulturellen Erbauung. Doch wo ist die zu finden, in diesem diffusen Zeit-Raum-Kontinuum, genannt die Tage zwischen den Jahren?

Wer bei Bergen nicht nur ans Skifahren denkt oder gar Musikgenuss damit verbinden möchte, kann den Weg nach Erl antreten. Denn während sonst überall die üblichen Weihnachtsoratorien und Neujahrskonzerte georgelt werden, feiert man dort bei Kufstein, gleich hinter der bayerisch-österreichischen Grenze, von 26. Dezember bis 7. Januar die Tiroler Festspiele, eine Erstaufführung, zeitgenössisches Musiktheater und viele Opern inklusive.

Mise en Abyme ist der Titel einer Kammeroper (27. und 28. Dezember), die Lucia Ronchetti 2015 komponiert hat. Der Ausdruck beschreibt das Phänomen, wenn ein Bild innerhalb seines eigenen Bildes noch einmal dargestellt wird. Die römische Komponistin reflektiert darin über eine Barockoper aus dem Jahr 1742: "Didone abbandonata". Ronchettis Dido singt die Sopranistin Maria Radoeva, und was sie ankündigt, klingt gut: "Die Musik ist gespickt mit schönen Melodien, lustigen Ideen und unglaublich herausfordernden Überraschungen." Die Komponistin verspricht sogar noch mehr: "die Implosion der Operngalaxie."

Wer nun doch Angst hat vor umherfliegenden Tontrümmern, für den habe ich einen anderen Vorschlag: die marmornen Charakterköpfe in der Glyptothek. Denen fehlt lediglich hie und da eine Nase - durch den Äther fliegt die aber garantiert nicht mehr. Die Ausstellung, zu der auch ein gewichtiger Katalog bei Hirmer erschienen ist, läuft nur noch bis zum 14. Januar. Als Besucher ist man erstaunt, wie viele der zwei Jahrtausende alten Gesichter einem unfassbar vertraut vorkommen. Mein eigenes schaut übrigens immer noch so grimmig aus wie das des Sulla. Und der Mensch, der mich derart in Rage versetzt, ließe sich sicher auch irgendwo unter den Dickschädeln dort finden.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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