Vorschlag-Hammer:Wiederaufarbeitung

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Fast so massiert und überwältigend wie damals in den Achtzigern findet derzeit die Wiederaufarbeitung statt. Im Haus der Kunst nimmt die Ausstellung "Geniale Dilletanten" gleich das gesamte Lebensgefühl des Jahrzehntes ins Visier

Von Christoph Wiedemann

Es gibt so etwas wie eine museale - sagen wir mal - Halbwertszeit. Ein zeitgenössisches Kunstwerk kommt im besten Falle marktfrisch in eine öffentliche Sammlung. Dort kann man es bestaunen, sich dafür begeistern oder auch es ablehnen. Eine Zeit lang sorgt es jedenfalls für Gesprächsstoff bei den Kunstenthusiasten. Irgendwann aber ebbt das Interesse ab. Der Reiz der Neuheit verschwindet. Der nächste Eyecatcher muss her. Das sind die Regeln - auch und ganz besonders - des zeitgenössischen Kunstkonsums. Nicht ganz jedoch die des Museumsbetriebs. Zumindest dann nicht, wenn sich das Haus noch immer im traditionellen Sinn als Hort zur Pflege des Kulturgedächtnisses begreift. Dann nämlich wird das einstmals Erworbene mit zeitlichem Abstand noch einmal auf den Prüfstand gestellt, um zu erfahren, ob die Qualität hoch genug ist, dass ein Werk weiterhin Museumsweihen genießen darf. In der Regel lässt man für diese Revision drei Jahrzehnte vergehen. Das ist, wenn man so will, die eingangs angeführte "museale Halbwertszeit."

Einfache Rechnung also: Drei Jahrzehnte zurück, und wir befinden uns Mitte der Achtzigerjahre, als in Deutschland eine junge Generation von Malern mit exzessiven, stark farbigen und scheinbar spontan hingeworfenen Gemälden die Gegenständlichkeit wieder in ihre Darstellungen zurückholte. Die "Jungen Wilden", wie man sie damals nannte, wegen ihres teilweisen Rückbezugs auf die Maler des Expressionismus vor dem Ersten Weltkrieg, stürmten Ende der Siebzigerjahre den Kunstmarkt. Ihre Bilder waren sinnlich ansprechend, exaltiert, rauschhaft. Genau das verführerische Gegenteil also von Minimal- und Concept-Art, die mit ihrem Purismus angefangen hatten, die Leute zu langweilen. Und ein auch nicht ganz zu vernachlässigender Faktor für den Erfolg dürfte gewesen sein, dass die Jungen Wilden endlich wieder verkaufsfreundliche "Flachware" produzierten, die jeder Galerist gern über seinen Ladentisch gehen sah. Fast so massiert und überwältigend wie damals in den Achtzigern findet derzeit die "Wiederaufarbeitung" statt. Im Haus der Kunst nimmt die Ausstellung Geniale Dilletanten gleich das gesamte Lebensgefühl des Jahrzehntes ins Visier. Die von jeher auf die Jungen Wilden spezialisierte Galerie Pfefferle (Reichenbachstr. 47-49 Rgb.) zeigt unter dem vertrauten Titel Gefühl und Härte alte und neue Schätzchen. Im Augsburger Glaspalast beginnt am 2. Juli die etwas unglücklich betitelte Ausstellung Aufruhr in Augsburg mit 40 Gemälden. Und wer sich schließlich ganz tief zurück versetzen lassen will in die Achtziger, sollte nach Frankfurt fahren, wo im Städel mehr als 100 Werke von 27 Künstlern aus jener Zeit zu sehen sind.

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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