Vorschlag-Hammer:Verkrassungen

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Komplexität oder Reduktion: Im Wesentlichen gibt es zwei Arten außergewöhnlicher Musiker

Von Jakob Biazza

Auf die Frage, was denn einen außergewöhnlichen Musiker ausmacht, gibt es - sehr grob gerastert - in aller Regel zwei Antworten: hohe (technische) Komplexität oder möglichst fokussierte Reduktion. Verschwenderischer Quantitätswahn also, vertrackt arrangiert und auf die beeindruckende Überforderung des Publikums ausgelegt. Oder überall so wenig wie irgend möglich. Aber eben vom richtigen Zeug. Oder, noch etwas freier interpretiert: Virtuosentum vs. genialer Dilettantismus. Ersteres wird entweder - meist von einer etwas kleineren Gruppe von Spezialisten - als genial verehrt oder als unhörbar empfunden. Letzterer gilt schnell als seicht - oder führt eben zu einem dieser halbmagischen Zufallstreffer, die Jahrzehntsongs hervorbringen. Man kann das Konzept in etwas schwächerer Ausprägung zum Beispiel beim fiebrigen Mathcore (Hardcore, der etwas wirkt, als habe man ihn nach komplexen mathematischen Formeln konzipiert) von The Dillinger Escape Plan (20. Februar, Backstage) sehen. Und im Gegensatz dazu zum Beispiel bei Friedrich Liechtenstein (23. November, Milla), bei dem man ja nie genau weiß, was er jetzt eigentlich wirklich gut kann. Aber in Summe steht dann eben doch dieses tanzende und maunzende und irgendwie beinahe unerträglich souveräne Gesamtkunstwerk ("Supergeil"), dem man sich so schwer entziehen kann. Nach München kommt er mit seinem Trio.

Die beiden Kunstpole sind übrigens deshalb so relevant, weil man ja leicht dazu neigt, sich bei Hörgewohnheiten und -überzeugungen auf eine der Seiten zu schlagen. Und der Appell hier wäre nun, genau das nicht zu tun. Und es vielleicht in den kommenden Tagen mit diesen Idealtypen zu probieren: dem Metal-Jazz-Musikkabarett-Projekt Panzerballett (1. Dezember, Unterfahrt) zum Beispiel. Gitarrist Jan Zehrfeld zerhackt und zerflext bei diesem Irrwitz von einer Band Songgut aus quasi allen Genres und setzt sie zu wahnhaft zickigen Nervereien wieder zusammen. Er selbst spricht gerne von "Verkrassungen", was letztlich meint: technische und vor allem rhythmische Hyperangebereien, die klingen, als würde Eddie Murphy auf Crystal Meth ein Streitgespräch mit sich selbst führen - während er gerade einen Schlaganfall hat (Anspieltipps: der Muppet-Song "Mahna Manah" oder die Eigenkomposition "Mit weißglühendem Morgenstern in Omas frischgebackene Rüblitorte"). Groß!

Und das absolute Gegenstück dazu wäre jetzt zum Beispiel "Guiding Light", ein Stück des irischen Singer-Songwriters Foy Vance (28. November, Strom). Der Song basiert auf drei sehr herkömmlichen Akkorden, über denen aber im Refrain eine so unendlich schöne Melodie gen Unendlichkeit weht, dass man schon einen porösen Schwamm dort haben muss, wo die Seele sitzen sollte, um nicht sofort in hoffnungsfroher Verzückung davonzuschwelgen. Und nein: Dass der Song gemeinhin noch nicht als Jahrzehntwerk gilt (und Vance nicht längst weltberühmt ist), spricht nicht gegen das oben genannte Konzept. Die Welt ist nur manchmal schlecht.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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