Vorschlag-Hammer:Tatkraft

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Valery Gergiev verzaubert, und so verzeiht man ihm Vieles, auch die teils kruden Gedanken zum Flüchtlingsdrama, die er im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk entwickelte

Von Egbert Tholl

Wagen wir mal einen Blick in eine weitere Zukunft. Am Donnerstag dirigierte Valery Gergiev die Münchner Philharmoniker zum ersten Mal als deren Chef. Über Feinheiten der Interpretation von Mahlers Zweiter soll es hier nicht gehen, damit muss sich der Kollege Eggebrecht im Feuilleton herumschlagen. Jedenfalls war er nach dem Konzert erheblich enthusiasmiert. Ich wollte über etwas anderes schreiben, über das Danach und die damit verbundenen Verheißungen.

Nach dem Konzert gab es einen Empfang im Foyer vor dem Carl-Orff-Saal, also ein paar Häppchen im Transitraum des Kulturzentrums. Als Christian Thielemann sein Chefdebüt gab, wurde danach gefeiert, als wäre ein König gekrönt worden. Nun war dies anders. Und es passte. Denn die Stimmung war so reizend gelöst, dass sich Intendant Paul Müller zur Äußerung veranlasst sah, man läge Gergiev zu Füßen. Dieser selbst spricht mit einer Nonchalance, als feiere er mit guten Freunden eine Hochzeit und wäre nicht der Chef von dem Ganzen.

Die Musiker sind fröhlich wie selten, selbst wenn sie, angesprochen auf ein paar Wackler im Konzert, meinen, an Gergievs Schlagtechnik sich erst noch vollends gewöhnen zu müssen. Was alle aber mit leuchtenden Augen berichten: Gergievs Art zu proben muss die eines Musikverführers und -erklärers sein. Die technische Brillanz traut er den Musikern von allein zu, er selbst erzählt, wie er sich die Musik vorstellt. Das scheint sehr gut zu funktionieren, die Musiker fühlen sich inspiriert wie lange nicht und blicken freudig in die Zukunft.

Gergiev verzaubert, und so verzeiht man ihm Vieles, auch die teils kruden Gedanken zum Flüchtlingsdrama, die er im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk entwickelte. Da sagte er: "Wo kommt diese Flut von Menschen her innerhalb von zwei Wochen? Man fängt an zu mutmaßen: Ist das spontan? Steckt da ein diabolischer Plan dahinter?" - Aber so wie alles Reden während der Probe sich schließlich im Moment des Konzerts als substantiell erweisen muss, so zählt auch hier die Tat mehr als das wirre Wort: Die Philharmoniker widmeten Gergievs Antrittskonzert den Flüchtlingen.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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