Vorschlag-Hammer:Politisch

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Was soll die Frage, ob eine Opernaufführung eine politische Relevanz hat? Es gibt genügend Kollegen, auch bei uns in der Zeitung, denen ist diese Frage vollkommen wurscht. Und auch mich treibt sie nicht permanent um

Von Egbert Tholl

Gerade habe ich in sechs Tagen sechs verschiedene Aufführungen aus dem Bereich Musiktheater gesehen, die allesamt so unterschiedlich waren, dass es nun in meinem Kopf noch klingt, tönt und irrlichtert, so sehr, dass ich an dieser Stelle leider überhaupt nichts Kommendes empfehlen kann, da ich ja mit der Bewältigung des Vergangenen noch gar nicht durch bin. Nur eines: Lesen Sie Heiner Müller, und zwar "Die Hamletmaschine".

Gut, diese Empfehlung ist alles andere als ein Geheimtipp, aber ich will doch kurz erklären, wie es dazu kommt. Das liegt nämlich an den Opernabenden. Der erste war David Martons "Sonnambula"-Variante in den Kammerspielen, sehr zauberhaft, sehr klug, garantiert unpolitisch, sieht man vom Aufbrechen der bürgerlichen Kunstform Oper ab. Darauf folgte "Salome" in Stuttgart, sehr heutig inszeniert, tolle Videobilder, Krieg und Macht, fantastisch schauspielernde Sänger, musikalisch eine Wucht - aber doch ein Beispiel dafür, dass es sehr schwierig ist, den alten Operngeschichten eine unmittelbare Aussage für unsere Gegenwart abzuringen und gleichzeitig den Eigenheiten des Werks genüge zu tun. Tags darauf, auch Stuttgart: Der politisch wache Regisseur Calixto Bieito inszenierte Purcells "Fairy Queen", und nach einer Stunde Tohuwabohu schält sich eine harte, böse, auch poetisch-verträumte Substanz heraus. Mithin also auch eine gesellschaftliche Relevanz.

Dann ab nach Zürich, dort Ruedi Häusermanns "piano forte", ein Zauberkunststück über das Wesen des Musikmachens, das sein Untertitel fabelhaft erklärt: "Über das Abschweifen der Gedanken beim Hören der Musik". Den Abschluss der Musiktheatererlebnisse bildete dann erst einmal der kalte Klangrausch von "South Pole" in München, für mich auch eine Reise in die eigene Kindheit, weil ich Abenteuer- und Entdeckerbücher vor vielen Jahren geliebt habe. Politisch ist daran nichts.

Was soll überhaupt die Frage, ob eine Opernaufführung eine politische Relevanz hat? Es gibt genügend Kollegen, auch bei uns in der Zeitung, denen ist diese Frage vollkommen wurscht, und auch mich treibt sie nicht permanent um, sonst wäre ich nicht von Marton oder Häusermann hingerissen. Aber: Dann sieht man in Zürich "Die Hamletmaschine" von Wolfgang Rihm nach Heiner Müllers Text, eine Oper, die 30 Jahre alt ist und vor 25 Jahren zuletzt gespielt wurde. Und nun wirkt sie, in der Inszenierung von Sebastian Baumgarten, wie ein Erkenntnisschock. Ausgerechnet in der Schweiz kriegt man die Erklärung für heutige deutsche Befindlichkeit eingehämmert, radikal hart und suggestiv, mäandernd, schillernd, assoziativ. DDR, BRD, RAF, die Frau als Vehikel und Opfer, ein halbes, unverdautes deutsches Jahrhundert in brutalen Klang gegossen, der Terror in Gänze erklärt, als Zustand, auch als bittere Unausweichlichkeit. Es gibt die politischen Stücke, man muss sie nur machen.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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