Vorschlag-Hammer:Nichts erwarten

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So eine Buchmesse ist eine seriöse Angelegenheit. Eine Leistungsschau der Verlage. Man begegnet dort allen

Von Susanne Hermanski

So eine Buchmesse ist eine seriöse Angelegenheit. Eine Leistungsschau der Verlage. Geballter Intellekt, wortgewaltig, ja sogar ein bisschen trocken bei all dem Papier. Man begegnet dort allen - von den großen Geistern unserer Tage bis hin zum kleinen Buchhändler von nebenan. So jedenfalls war meine Erwartungshaltung, als ich am Samstag nach Frankfurt gefahren bin. Und ich habe nicht schlecht gestaunt, als mir dort auf der Rolltreppe der erste Mensch entgegenkam: eine Frau, die ihre Unterhose über dem Kopf trug. Baumwolle. Feinripp, mit feinem Spitzenrändchen. Den Zwickel hatte sie über Nase und Mund gezogen, die Beinöffnungen boten ihr Durchblick für je ein Auge. Und sie schaute mich an. Durchaus freundlich.

Auch der Rest ihres Aufzugs erschien mir eher ungewöhnlich für jemanden, der auf der Suche nach geistiger Nahrung war: schwarzes Mini-Röckchen, Overknee-Strümpfe und ein kleines, blitzsauberes Dienstmädchen-Schürzchen. Wäre die junge Frau nicht dicht gefolgt gewesen von einem großen grünen Drachen, der vor sich einen Kinderwagen schob und hinter sich einen langen, dicken Zackenschwanz herzog - ich hätte gedacht, ich habe wieder einmal was in meinem Terminkalender verwechselt und in Frankfurt hätte klammheimlich schon eine Messe mit ganz anderer Ausrichtung begonnen.

So aber schob ich die Selbstzweifel beiseite und ließ mir die Sache erklären: Die Höschen-Dame war auf dem Weg in die Halle mit den Comic-Büchern und Teil eines Manga-Rollenspiels. Die Schwertkämpfer, Blauhaar-Amazonen und Zyklopen ebenfalls. Die Ringelantilopen, Riesenhasen und schwitzenden Kinder in Biene-Maja-Stramplern dagegen hatten damit gar nichts zu tun. Sie waren in Kostümen gekommen, weil Verkleidete am publikumsoffenen Wochenende keinen Eintritt zahlen müssen. 18 Euro gespart, pro Hase. Ich könnte mich schon anfreunden, das auch in München einzuführen im Kulturbetrieb. Ich geh' dann also am Donnerstag als Hamster ins Kino in Arend Agthes neuen Kinderfilm Rettet Raffi!, am Samstag als Teufelchen zu Mefistofele ins Nationaltheater und dazwischen, am Freitag, in den Kunstb au. Als Klee natürlich. Vierblättrig.

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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