Vorschlag-Hammer:Kaffeehauskultur

Lesezeit: 2 min

Es mag in München zwar viele schicke Cafés geben, aber ein richtiges Wiener Kaffeehaus war nie darunter. Was das heißt, wurde mir unlängst klarer denn je

Von Oliver Hochkeppel

Gemessen daran, wie sehr ich es mag, bin ich viel zu selten in Wien. Ein bisschen sind München und Wien ja Schwesterstädte, jedenfalls was die Kultur angeht; ob man die Kunstquartiere nimmt, die Jazzclubs oder die Kabarettszene, die Orchester und Theater, den Heimat-Pop oder die hier wie dort gern versteckte Subkultur. Richtig reizvoll wird der Besuch aber durch die Unterschiede. Die gastronomischen etwa, wie sie eine der gigantischen Schnitzelvariationen im Schloss Concordia am Zentralfriedhof, das Znaimer Gulasch im Schweizerhaus auf dem Prater oder auch nur eine Eitrige am Würstelstand illustrieren. Dann die Mentalität: An der Donau wird professionell geraunzt und gesudert, der Münchner grantelt höchstens, und das Morbide des Wieners ist ihm grundsätzlich fremd. Und schließlich mag es in München zwar viele schicke Cafés geben, aber ein richtiges Wiener Kaffeehaus war nie darunter. Was das heißt, wurde mir unlängst klarer denn je.

Ich durfte nach Wien, um in der Jury des Österreichischen Kabarettpreises mitzuwirken, und nach getaner Arbeit verspürten ein paar von uns noch Hunger. Wir folgten Julia, die mit ihrer Agentur die Veranstaltung betreut, ins Café Engländer in der Postgasse. Große Augen bekam man dort nicht nur wegen des grandiosen Tafelspitz', sondern auch wegen der Gäste, die in einem fort durch die Tür kamen: Der Chefredakteur des reichweitenstärksten Stadtmagazins, der Operndramaturg und TV-Moderator Christoph Wagner-Trenkwitz, der Manager vom Josef Hader, ein Burgschauspieler, ein Kabarettist. Wahrscheinlich auch noch uns unbekannte Maler und Bildhauer, galt das "Engländer" doch als Wohnzimmer des verstorbenen Franz West. Es ist also mehr als ein Klischee, dass in Wien im Kaffeehaus die soziokulturellen Netzwerke geknüpft und gepflegt werden. Vielleicht ist die dortige Kulturszene deshalb viel verwobener.

Plätze, wo man "alle" treffen kann, soll es früher auch in München gegeben haben, zuletzt vielleicht noch das Stadtcafé, als die Pressehäuser noch nah waren. Heute steht am Ende der meisten Kulturtermine die ratlose Frage "Wohin gehen wir denn noch?" Und man landet in der im Wortsinne nächstbesten Kneipe. Das wird man an diesem Donnerstag wieder beobachten können, wenn wohl ein beachtlicher Teil der Kulturprominenz im Alten Rathaus die Verleihung des städtischen Musikpreises an den Trompeter Dusko Goykovich begleitet. Der harte Kern der Jazzer wird dann wohl schlicht in die Unterfahrt weiterziehen, um einem anderen großen Alten Reverenz zu erweisen: Der unerschütterliche und unverbesserliche Freejazzer Peter Brötzmann pustet einem da an der Seite des italienischen Trios Xol mal wieder die Gehörgänge frei. Ach ja, bleibt noch das Vereinsheim, das zumindest für die Kleinkunstszene ein kleiner nächtlicher Kulminationspunkt geworden ist. Bei den jetzt folgenden "Fremdsprachentagen" in der Lach und Schieß - das wienerisch-fränkische Duo Puntigam/Egersdörfer am Freitag darf ein Münchner da durchaus dazurechnen - könnte es sogar eine internationale Runde werden.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: