Vorschlag-Hammer:Hirnschmalz

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Wir finden einen Song oder einen Film oder ein Bild manchmal auch deshalb gut, weil wir denjenigen gut finden, der es erschaffen hat. Das ist völlig legitim

Von Jakob Biazza

Natürlich liegt der Verdacht nahe, dass das spannend wird. Popkultur funktioniert ja, indem der Schöpfer in sein Werk hineinstrahlt. Wir finden einen Song oder einen Film oder ein Bild manchmal auch deshalb gut, weil wir denjenigen gut finden, der es erschaffen hat. Ist völlig legitim. Es gibt ja tatsächlich Künstler, die können eine Zeile wie "A man of words is a man of lies" wie eine mit schartigem Werkzeug an Weltbau und Seele schürfende Erkenntnis klingen lassen. Charisma ist da wohl ein ganz großes Thema. Den Rest erledigt das Gehirn des Hörers oder Lesers oder Betrachters. Zack, rechnet es unsere Annahmen über den Künstler dem Werk zu, und wir denken etwas wie: "Wow, tiefsinnig!"

Deshalb ein eiliges Wort der Warnung an alle Fans von "Californication". Die US-Serie hat ja viel von dem, was guten Rock 'n' Roll ausmacht - die schnoddrige Wurschtigkeit, die Obszönität, die exaltierte, in ein paar Staffeln auch etwas ins musicalhafte hinüberlugende Künstlichkeit. Aber eben auch die tiefe Leidenschaft echter Liebe. Das Fan-Gehirn überträgt das bestimmt leicht auf den Hauptdarsteller. Und denkt dann, dass dieser David Duchovny (18. Mai, Freiheizhalle) emotional Erschütterndes über lügende Männer singen kann (siehe oben). Kann er aber nicht. Wirklich! So überlegen die amerikanische Unterhaltungsindustrie sonst noch immer ist, auch bei ihr gilt, was uns "Tatort" und "Alarm für Cobra 11" lehren: Finger weg von singenden Schauspielern. "Hell or Highwater", das Debütalbum des Amerikaners, ist ein stumpfes Stück Folk- und Americana-Musik, in dem Duchovnys Stimme liebevoll, aber sehr sperrig herumtapert.

Lieber zu Mobile Ethnic Minority gehen. Selber Tag, aber im Maria Passagne. Ist ein Soloprojekt des Münchners Mario Knapp - Indie-Pop im weitesten Sinne, aber mit viel Folk-Habitus und trotzdem Klangforscherdrang. Hat viel gesehen der Mann. Hört man. Mumford & Sons (17. Mai, Olympiahalle) wären sonst auch noch eine Alternative. Da wäre allerdings zu hoffen, dass sie mehr von dem wunderbar breitbeinigen Stampf-Folk spielen, den sie auf den ersten Alben gemacht haben.

Wie das sonst so funktioniert mit dem Gehirn, das Bedeutung hinzurechnet, kann man ein bisschen auch an den Udo-Lindenberg-Festspielen sehen, die gerade überall gefeiert werden: Wird bald 70 der Mann. Ein neues Album hat er auch. Dazu gibt es eine Tour durch sehr große Hallen und Stadien (hier: Olympiahalle, 24./25. Mai). Und dann ja auch noch dieses Buch - "Panikherz". 902-mal, die Kollegen von jetzt haben das gecheckt, benutzt Benjamin von Stuckrad-Barre (bei dem einige ja auch die Frage stellen, wie viel bei ihm Charisma ist und wie viel wirklich geniales Schriftstellertum) darin das Wort "Udo". Und wenn man das alles jetzt zusammenrechnet, das hohe Alter und diese wahnwitzige Lindenberg-Comeback-Geschichte der vergangenen Jahre und die absolute Heldenverehrung im Buch - dann überblendet das Gehirn bestimmt leicht, dass man zwar stimmlich gerade den vielleicht besten Udo aller Zeiten erleben kann, vor allem seine Band auf dem neuen Album aber schon ein paar gehörige Banalitäten hinachtelt. Aber da wäre das auch sehr viel weniger schlimm.

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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