Vorschlag-Hammer:Grund zur Klage

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Im anbrechenden postfaktischen Zeitalter nimmt anscheinend auch im Kulturbereich die Lust auf juristische Gefechte zu

Von Oliver Hochkeppel

Auf 1000 Einwohner kommen in den USA vier Anwälte, bei uns weniger als zwei, ein Spitzenwert in Europa, in Irland etwa sind es nur 0,2. Es gibt also nicht nur ein vages Gefühl, sondern harte Indikatoren dafür, dass gewisse Gesellschaften streitsüchtiger sind als andere. Wobei der Gang zum Gericht in den USA sicher durch die Tatsache erleichtert wird, dass man seinen Anwalt zumindest zivilrechtlich nur im Erfolgsfall bezahlen muss. Bei uns werden die Prozesshanseln von "Advocard" und anderen Rechtsschutzversicherungen ermutigt.

Es sieht so aus, dass im offenbar anbrechenden postfaktischen Zeitalter auch im Kulturbereich die Lust auf juristische Gefechte zunimmt. Soeben hat der Leiter des Kölner Stadtgartens gegen Till Brönners Pläne eines "Jazzhauses" in Berlin Klage eingereicht - weil sie wohl weitgehend deckungsgleich sind mit jenen, die dieser einst für Hamburg ausgearbeitet hatte. In München hat nun immerhin ein gewisser Sebastian Schnitzenbaumer davon Abstand genommen, die Stadt zu verklagen, weil ihr krachbayerisches CSU- und Oktoberfest-Image die Umsätze seines Musik-Labels bedrohe. Dies überlässt er jetzt den Musikern. Klingt dies lächerlich, so gäbe es doch anderswo gute Gründe für eine Klage. Nur denkt da leider keiner daran: Den Bayerischen Rundfunk etwa sollte man angelegentlich seiner Programm- und Wellentausch-Politik jede Woche wegen Brechung des Rundfunkgesetzes vor den Kadi zitieren. Gerade wurde bekannt, dass der Ausbildungskanal M 94,5 seine Frequenz verlieren könnte, womöglich an den Dudelfunk der "Rockantenne". Liebe Bayerische Landeszentrale für Medien: Das schreit dann nach (Selbst-)Justiz.

Wir aber, dies ein vorweihnachtlicher Vorschlag zur Güte, sollten erst mal weniger klagen und mehr lauschen, solange es noch keine einstweiligen Verfügungen dagegen gibt. Zum Beispiel den drei jungen Frontmännern des europäischen Jazz Marius Neset (8.12.), Emile Parisien (15.12.) und Kalle Kalima (20.12.), die zu Act-Nights in die Unterfahrt hereinschneien. Oder bodenständiger den dortigen Weihnachtskonzerten dreier exzellenter (und exzellent begleiteter) hiesiger Sängerinnen: Natalie Elwood (13.12.), Jenny Evans (17.12.) und Veronika Zunhammer (22.12.).

© SZ vom 07.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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