Vorschlag-Hammer:Endspurt

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Bevor der Vorhang für die Sommerpause fällt, geben die Theater noch einmal richtig Vollgas. Die Devise in den nächsten Wochen lautet: Alles muss raus

Von Eva-Elisabeth Fischer

Es ist, als hätten sich sämtliche Stadt- und Staatstheater unserer kleinen Stadt zur Sonnwende zu einem Orchester zusammengeschlossen und setzten nun an zu einer Stretta, bevor über der Hochkultur erst einmal der Vorhang fällt und das Bildungsbürgertum nach Salzburg wandelt. Die Spielzeit neigt sich dem Ende zu, unsere Theater haben Großprojekte bezwungen, sozusagen die "Symphonie der Tausend" gespielt, dann aber auch die kleine Form gepflegt, indem sie hin und wieder den "Minutenwalzer" anschlugen. Alle miteinander stellen sie nun fest: Die Zeit drängt, von allem muss noch einmal möglichst viel raus, vielleicht gibt es ja kein Morgen mehr, das üblicherweise Mitte September datiert ist. Für Theatermenschen bringt der August erst einmal die Generalpause, bevor wieder die ersten Proben beginnen.

Stretta also, tempo, tempo zum hurtigen Finale! Der Endspurt soll allen, die die Bühnenkünste lieben, ein paar letzte Male glänzende Augen zaubern. Johan Simons schlägt bald die Stunde des Zapfenstreichs, der ihm allerdings erst nach der Abschiedsrunde in den Kammerspielen am 25. Juli geblasen wird. Bis sich der Kreis schließt und man seine viel gelobte, befremdlich unjüdische Inszenierung des "Hiob" nach Joseph Roths Roman, mit der alles begann, noch ein letztes Mal sehen kann. Bis dahin lässt er gleichsam im Zeitraffer aufspielen, wie sich das für einen Schluss mit Aplomb gehört. In einzelnen Sätzen wird in Münchens Stadttheater Revue passieren, was Simons vor sieben Jahren als Partitur vorlegte - die Kammerspiele endgültig in einen Ort für europäisches Theater zu verwandeln, das nicht nur die Sprache der Literatur anerkennt, sondern auch die des Körpers. Und so nimmt es kaum wunder, dass von diesem Montag an dreimal (vom 15. bis 17. Juni) als Paukenschlag abermals der Welterfolg "Tauberbach" auf dem Programm steht, eine Allianz des belgischen Choreografen Alain Platel und seiner wunderbaren Tänzer mit der Schauspielerin und Intendantengattin Elsie de Brauw sowie einem Müllberg als Metapher für ein glückliches Leben im Irrsinn. Das Bach-Brummen des Gehörlosenchors, es schwingt lange nach, möglicherweise länger als bis zu dem Tag, da Simons gen Ruhrtriennale aufbricht.

Dort begrüßt er wiederum Meg Stuart, die amerikanische Choreografin, die viele Jahre mit ihren "Damaged Goods" in Brüssel wirkte und schon lange in Berlin lebt. Ihr neues Stück "Until Your Hearts Stops" ist also Abschieds- und Willkommens-Ständchen zugleich. Unter Matthias Lilienthal wird es zwar allerlei, aber keinen Tanz mehr geben. Und so ist am 18. Juni wohl für längere Zeit die letzte Tanzuraufführung in der Spielhalle der Kammerspiele, die dann auch nicht mehr Spielhalle heißt. Gleich zwei Tage später läutet Karl Alfred Schreiner, Ballettchef im Gärtnerplatztheater, den zweiten Teil seiner wöchentlichen Dancesoap "Minutemade" in der Reithalle ein (20. Juni, 21 Uhr), einer Reihe von Tanz-Impromptus, heuer ausschließlich von Frauen bestritten. Man könnte diese Woche demnach tatsächlich denken, dass München eine Tanzstadt sei.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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