Vorschlag-Hammer:Ausgelassen

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Richtet sich die Zeitung eigentlich noch nach der Realität oder formt sie diese - "layoutgetrieben" - nach ihren Artikelmustern? Und was muss ein Autor dementsprechend in seinen Artikeln weglassen? Ein Beispiel soll dies beleuchten - und leitet zu Musikern über, die vor ähnlichen Problemen stehen

Von Oliver Hochkeppel

Heute wird es mal wieder introspektiv, es soll zunächst um ein Phänomen des journalistischen Schreibprozesses gehen. Wer eher ergebnisorientiert Zeitung liest, der möge also vielleicht gleich zum letzten Absatz springen.

Für die, die jetzt noch bei mir sind (danke dafür): Es geht ums Auslassen, ums Überspringen. Gerne wird übersehen, dass uns die moderne Technik nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch Beschränkungen beschert hat - auch in meinem Job. Passten früher Redakteure und Setzer die Zeitung der Wirklichkeit an, also dem Gegenstand der Berichterstattung, so ist es heute eher umgekehrt. "Layout-getrieben" heißt dieses Arbeitsprinzip, bei dem Format und Länge eines Artikels von vorneherein feststeht - und nur wieder umgeschmissen wird, wenn es gar nicht anders geht, etwa weil sich die Realität partout gegen die Vision eines Layouters sträubt.

Zumeist weiß man also, wie viel (oder wenig) man zu einem Thema schreiben darf (beziehungsweise muss). Erstaunlicherweise formatiert einen das: Fast immer komme ich ungefähr bei der vorgegeben Länge raus, selbst wenn ich nicht in der Redaktion ins Artikelmuster, sondern zu Hause ins Blaue schreibe. Allerdings muss man sich meist auf bestimmte Aspekte konzentrieren - was den Ton eines Textes stark verändern kann. Ein Beispiel: Neulich habe ich das "Sister Act"-Musical im Deutschen Theater sehr wohlwollend besprochen. Womöglich hätte die Rezension etwas kritischer geklungen, wenn ich das Kernproblem angesprochen hätte, dass die deutsche Sprache nicht wirklich geeignet für Soul und Gospel ist. Doch für derart Grundsätzliches ist bei 50 Zeilen kein Platz.

Ähnlich geht es - und jetzt begrüße ich auch wieder die zielgerichteten Tipp-Leser - vielen Künstlern, insbesondere Jazzmusikern. Besetzung, Personalstil der Begleiter, der Raum, das Publikum - alles beeinflusst das festgelegte Programm wie das spontane Improvisieren. Der spanische Multiinstrumentalist Jorge Rossy etwa wurde als Schlagzeuger (etwa bei Brad Mehldau) bekannt, kann aber jetzt als Vibrafonist (Unterfahrt, 31.5.) seines mit alten amerikanischen Freunden wie Doug Weiss am Bass, Joey Baron am Schlagzeug und dem inzwischen zum heimlichen Star aufgestiegenen Mark Turner am Saxofon besetzten Quintetts das Harte auslassen und ganz sinnliche, melodische Musik machen. Und auch die ruhige israelische Pianistin Anat Fort nimmt sich mit ihrem eingespielten Trio noch weiter zurück, wenn sie jetzt in der Unterfahrt auf die italienische Klarinetten-Legende Gianluigi Trovesi trifft (7.6.)

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© SZ vom 29.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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