Vorschlag-Hammer:Asketen und Augenweiden

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Ich wünschte mir, ich hätte das komplette Werk von Tolstoi und Marcel Proust gelesen, sowie Jane Austen im Original. Hab ich aber nicht. Viel zu anstrengend. Wie viel einfacher ist es da, abends mit dem Smartphone vor der Nase hängen zu bleiben und Bild um Bild, Kommentar um Kommentar zu konsumieren wie trockenes Popcorn

Von Christiane Lutz

Hier kommt ein sehr hübscher Satz: "Ich möchte lieber Gelehrte sein, nur ohne die anstrengende Leserei oder ich möchte Asketin sein, aber ohne den ganzen Verzicht." Ich würde sehr gern behaupten, er stammt von mir. Ich wünschte auch, ich hätte das komplette Werk von Tolstoi und Marcel Proust gelesen, sowie Jane Austen im Original. Hab ich aber alles nicht gelesen. Viel zu anstrengend. Wie viel einfacher ist es hingegen, abends mit dem Smartphone vor der Nase hängen zu bleiben und Bild um Bild, Kommentar um Kommentar zu konsumieren wie trockenes Popcorn. Oft schon habe ich den abendlichen Griff zum Buch wegen dieses Dings erst viel zu spät geschafft. Dann also lieber Asket? Also einer, der ohne unnötige Dinge wie das Smartphone auskommt. Klingt in der Theorie sehr befreiend, aber sind wir ehrlich: die Größe hat kaum jemand. Gut aber, dass wir mit diesen kleinen Kämpfen nicht allein sind. Zumindest Stefanie Sargnagel kennt sie und gibt das auch zu, von ihr stammt eingangs genannter Satz. Am 18. Oktober tritt die Autorin in den Kammerspielen auf, sie liest Texte und wird von den Rapperinnen Klitclique begleitet. Wenn ich an Sargnagel denke, denke ich auch an Ronja von Rönne, auch eine Autorin, die kluge Sätze raushaut und von der (männlichen) Öffentlichkeit nicht immer richtig verstanden wird. Ob es möglich ist, dass die beiden mal was zusammen machen? Ronja von Rönne jedenfalls liest am 24. Oktober im Volkstheater aus ihren Kolumnen "Heute ist leider schlecht."

Deutlich subtiler als Sargnagel und von Rönne ist die Kitschnudel, Entschuldigung, der Musiker Scott Matthew s. Der singt mit solch herzzerreißendem Schmerz in der Stimme, dass man sofort auf die Bühne stürmen und ihn in einen dicken Schal einwickeln möchte, sofern er den wegen all der Kälte in der Welt nicht schon längst trägt. Er sieht mit seinem Rauschebart auch immerhin schon mal so aus wie ein Asket, vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, ihn zu fragen, wie er das hinkriegt, ohne zu verzichten. Scott Matthews singt gemeinsam mit Rodrigo Leão in den Kammerspielen am Donnerstag, 5. Oktober.

Zum Schluss, weil es so schön ist, noch eine kleine Lebensweisheit von Stefanie Sargnagel: "Je älter ich werde, desto bewusster wird mir, dass es Zeitverschwendung ist, sich über das eigene Aussehen Gedanken zu machen. Viel wichtiger ist es, dass die Menschen, mit denen man sich umgibt, eine Augenweide sind."

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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