Vorbericht:Träumen in den Favelas

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Lia Rodrigues tanzt in der Muffathalle

Von Rita Argauer, München

Lia Rodrigues braucht nicht viel, um ihre Geschichten zu erzählen. Der nackte Tänzerkörper und eine Plastikplane reichen aus, und schon verwandelt sich der Bühnenraum in den reißenden Amazonas. "Pindorama" ist der letzte Teil einer Trilogie, die die brasilianische Choreografin 2013 ihrem Heimatland widmete, die aber nun in Europa angesichts der Flüchtlinge eine weitere Bedeutungsebene für die Künstlerin bekommen hat.

Rodrigues ist in dieser Bedeutungsfindung jedoch weit entfernt von der verkopften Abstraktion, die sich im zeitgenössischen Tanz so häufig findet. Denn die knapp 60-jährige Choreografin sorgt im Vorfeld dafür, dass ihre minimalistischen Inszenierungen Aussagen bekommen. Große Aussagen, solche, die man als bewegend bezeichnen könnte und die etwas bewegen sollen. Auch deshalb verlegte Rodrigues 2004 ihr Probenzentrum nach Maré, eine der Favelas in Rio. In einer ehemaligen Fabrik hat sie in dem Armutsviertel, in dem es weder ein Kino noch ein Theater gibt, ein Kunstzentrum errichtet, das als kostenlose Tanzschule zum sozialen Treffpunkt wurde. Doch auch auf ihre künstlerische Arbeit habe die Verlegung des Probenzentrums in die Favela einen sehr großen Einfluss genommen, erklärt Rodrigues. Doch sie verzichtet dabei auf die plumpe Abbildung, dessen, was sie erlebt hat, und packt ihre Erfahrungen in einen weitergefassten künstlerischen Kontext. "Pindorama" ist der Name Brasiliens in der Sprache der Tupí - vor der Kolonialisierung des Landes durch Portugal. Rodrigues zeigt in diesem Stück die Menschen im Zusammenleben mit dem Amazonas, der zugleich Lebenserhalt und Gefahr bedeutet.

Mit ihren Tänzern (einige leben selbst in den Favelas) erarbeitet sie solche Stücke, die sich auf drastische Art an der Wirklichkeit aufreiben und gleichzeitig als Utopie funktionieren: "Dort zu arbeiten, verbindet uns mit der Realität", sagt sie, doch gleichzeitig könne man dort nur leben, wenn man sich Träume bewahrt. Aus diesem Konflikt setzen sich ihre Stücke zusammen. "Es geht auch darum, die Verletzlichkeit des Körpers zeigen", sagt sie. Der menschliche Körper, der sich, um zu überleben, immer wieder Risiken aussetzen muss. Ein Thema, für das das Zusammenleben mit dem Fluss exemplarisch ist - das sie aber in vielen anderen Bereichen sieht; in den Flüchtlingsströmen in Europa genauso wie in den Favelas Südamerikas. "Der Umgang der Menschen mit dem Wasser und die Verletzlichkeit, der der Körper, auch etwa während einer Migration über das Mittelmeer ausgesetzt ist, finden sich auch in dem Stück."

Pindorama , Mittwoch, 9. September, 20.30 Uhr, Muffathalle, Zellstraße 4

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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