Volksentscheid zur Rudi-Dutschke-Straße:Roter Teppich der Geschichte

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Die Kochstraße in Berlin ist dicht gepflastert mit Symbolen und Erinnerungsorten der Zeitgeschichte. Ein Teil der Straße wurde in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt - eine umstrittene Änderung.

Lothar Müller

An diesem Sonntag sind in Berlin die Bewohner des Bezirks Kreuzberg-Friedrichshain zu einem Bürgerentscheid aufgerufen. Es gibt 182.592 Wahlberechtigte, und auf den Wahlzetteln steht der Satz: "Das Bezirksamt wird aufgefordert, die Umbenennung eines Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße zurückzunehmen."

Der Name Rudi-Dutschke-Straße ist nicht bei allen Berlinern beliebt (Foto: Foto: dpa)

Dem Bürgerbegehren gegen die 2005 von der Bezirksverordnetenversammlung beschlossene Umbenennung geben die Kommentatoren wenig Chancen. Schon Ende 2006 sind Falk-Stadtpläne erschienen, auf denen der fragliche Teil der Kochstraße bereits Rudi-Dutschke-Straße heißt.

Im Jahr 2004 hatte die taz, die an der Kochstraße residiert, die Umbenennungskampagne begonnen. Damit kopierte sie den schräg gegenüberliegenden Axel Springer-Verlag, dessen Gründer sein Hochhaus in den Sechziger Jahren an der Ecke Kochstraße/Lindenstraße offensiv gegen die Mauer gesetzt hat.

Seit 1996 schon heißt das nördliche Ende der Lindenstraße, die südlich zum Jüdischen Museum führt, Axel Springer-Straße. Die Parole der taz-Kampagne 2004: "Was Axel kann, können wir auch."

Dicht gepflastert mit Symbolen

Man muss nur ein wenig in der Kochstraße spazieren gehen, um zu sehen, wie dicht gepflastert sie ist mit Symbolen und Erinnerungsorten der Zeitgeschichte. Das Teilstück, das in jedem Fall seinen Namen beibehalten wird, mündet dort in die Wilhelmstraße, wo an der gegenüberliegenden Straßenseite die "Topographie des Terrors" beginnt.

Der Teil, der umbenannt werden soll, beginnt an der Kreuzung Friedrichstraße, wo der Checkpoint Charlie war. Wer weiter schlendert durch Zimmerstraße, Schützenstraße, Mauerstraße, Jerusalemer Straße, der läuft durch Straßen, deren Namen alle älter sind als die Zeugen der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sie führen aus der Zeitgeschichte heraus.

Ja, das gilt auch für die Mauerstraße. Ihr Name hat mit dem DDR-Bauwerk nichts zu tun, sie hieß schon so im Jahre 1740, als Friedrich der Große den Thron bestieg, und die Kochstraße trägt ihren Namen seit 1734. Sie markierte 1740 als letzte Querstraße die Zäsur, an der die "Alte Friedrichstraße" mit ihren Häuserzeilen zur "Neuen Friedrichstraße" wurde, die durch vorerst unbebautes Land zum "Rondel" führte, dem Schmuckplatz am Halleschen Tor.

Noch im 19. Jahrhundert, als die Bebauung der südlichen Friedrichstadt voranschritt, scheint die Kochstraße ihren Zäsur-Charakter bewahrt zu haben.

Grenze zwischen Stadt und Vorstadt

So jedenfalls beschrieb sie Theodor Fontane in der "Gartenlaube" des Jahrgangs 1867 im Rückblick auf die Jahre um 1848: "Mancher, der das alte Berlin noch gekannt hat, wird sich entsinnen, wie still plötzlich die große Friedrichstraße wurde, wenn man nach dem Halleschen Tore zu, eine, eine bestimmte Linie passiert hatte.

Die Kochstraße zog eine Grenze zwischen Stadt und Vorstadt, diesseits lag der Lärm, jenseits die Stille. Und dieser Wechsel tat unendlich wohl. Die plötzlich beruhigten Nerven ließen erkennen, dass man aus der Zone des Rollwagens in die der schlafenden Droschke geraten war, auf dem Bürgersteig lagen die Marmelspieler, und auf dem Fahrdamm lag die Sonne."

In den Jahren, von denen Fontane erzählt, kam Leopold Ullstein nach Berlin, der erste der drei Männer, die im 19. Jahrhundert das Berliner Zeitungsviertel aufbauten. Schon im 18. Jahrhundert war Berlin Zeitungsstadt gewesen, nun wurde es eine europäische Hauptstadt der Presse, der Druckmaschinerie und des Endlospapiers.

Aus der Vorstadtchiffre "Kochstraße" wurde ein Symbol des modernen Journalismus und damit eben jener Beschleunigung und Nervosität, deren Abwesenheit Fontane gefeiert hatte.

Beliebtes Nachspielen der Vergangenheit

Wie immer der Bürgerentscheid am Sonntag ausgeht, die Siegerin steht schon vorab fest: Es ist die Zeitgeschichte. Sie hatte die Debatte fest im Griff. Das zeigte sich schon daran, dass sie im wesentlichen als Debatte pro oder contra Rudi Dutschke geführt wurde.

Aus einem historisch tief gestaffelten Stadtraum, in dem sich das friederizianische, das industrielle und das historische-politische Berlin vom 18. bis ins 21. Jahrhundert überlagern, wurde eine Bühne für das in Berlin so beliebte Nachspielen der jüngsten Vergangenheit.

Durch die Umbenennung entsteht eine Kreuzung, auf der die Axel-Springer-Straße auf die Rudi-Dutschke-Straße trifft. Denn eben hier hatten sich nach dem Attentat auf Rudi Dutschke 1968 die Demonstranten versammelt, um gegen die Springer-Presse als Mitschuldige zu protestieren.

Ohne, dass jemand dies bemerkt hätte, steht zu dieser Symbolgier die alte Kochstraße in stiller, aber fundamentaler Opposition. Gewiss, Friedrich Wilhelm I. hat 1734 den stellvertretenden Bürgermeister Johann Jacob Koch dafür geehrt, dass er für die Straße sein Terrain abgab.

Stummes Straßentheater

Aber wer der Namensgeber war, war längst verblasst, als die "Kochstraße" zum Synonym für die Berliner Presse wurde. Sie konnte es nur werden, weil sie gerade nicht Ullstein-, Mosse- oder Scherl-Straße hieß. Auch bei der "Fleetstreet" in London war die Unscheinbarkeit des Namens der Symboltauglichkeit zugute gekommen.

Springer wie taz reicht es nicht, ihre Häuser nach ihren Heroen zu benennen. Es muss die ganze Straße sein, zumindest ein Straßenstück. Das Reststück, das von der alten Kochstraße bleibt, ist nur noch der rote Teppich, auf dem ein paar hundert Meter weiter die Kreuzung Axel-Springer/Rudi-Dutschke-Straße ihre zeithistorische Pointe als stummes Straßentheater aufführt. Berlin schließt sich immer enger in seine jüngster Vergangenheit ein.

© SZ vom 20.01.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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