Volksbühne:Gesicht wahren

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Chris Dercon erhält sein Gehalt noch bis Jahresende. Weitere Ansprüche, heißt es, bestehen nicht. Schon melden sich jede Menge Möchtegern-Nachfolger zu Wort.

Von Peter Laudenbach

"Nun ist Chris Dercon schon ein ganzes Wochenende weg, und die Volksbühne ist noch immer nicht gerettet", spottete der Berliner Theaterkritiker Ulrich Seidler am Montag. Kann man so sagen. Wie am Donnerstag bekannt wurde, haben sich Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und der entlassene Intendant Chris Dercon auf einen für beide Seiten gesichtswahrenden Auflösungsvertrag verständigt. Dercon erhält sein Gehalt bis Jahresende, weitere gegenseitige Ansprüche bestünden nicht. Das ist für einen nach nur sieben Monaten Laufzeit beendeten Fünf-Jahres-Vertrag eine für das Land Berlin vergleichsweise kostengünstige Lösung. Einen Arbeitsrechtsprozess zu vermeiden dürfte im Interesse beider Seiten sein, schon um Dercons Finanzgebaren nicht öffentlich erläutern zu müssen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), der Dercon 2015 berufen hat, hält sich derweil mit sehr vernehmlichem Schweigen auf Sicherheitsabstand zum Theaterkrisengebiet.

Die von Dercon engagierten Volksbühnen-Angestellten wie die Programmdirektorin Marietta Piekenbrock und diverse Kuratoren, Produzenten und Marketing-Mitarbeiter haben Verträge bis Ende kommender Spielzeit. Wie sie ihren Status sieht, demonstrierte Piekenbrock nach der Personalversammlung am vergangenen Freitag, bei der der Kultursenator die Entlassung Dercons bekannt gegeben und Klaus Dörr als kommissarischen Intendanten vorgestellt hatte. Als wäre nichts gewesen, berief Piekenbrock unmittelbar im Anschluss in ihrem Büro eine Spielplansitzung ein. Sie schien nicht realisiert zu haben, dass ihr neuer Vorgesetzter ab sofort für die Planung des Programms zuständig ist.

Inzwischen bringen sich viele Möchte-gern-Intendanten in Stellung. Der Jungregisseur Ersan Mondtag erklärt öffentlich, er stehe "selbstverständlich" zur Verfügung. Sebastian Hartmann, als Regisseur der lautstärkste aller Castorf-Imitatoren, ruft ihm flüchtig bekannte Theaterkritiker an und fragt, ob man sich nicht mal auf ein Bier treffen könne. Die Kulturverwaltung wird mit guten Ratschlägen, Vorschlägen und Bitten um vertrauliche Gespräche schier geflutet.

Theater wird übrigens auch noch gespielt. Gestern zeigte P 14, das Jugendtheater der Volksbühne, ein Stück mit dem Titel "Betrunken am Highway". Und weil das Theater schon immer klüger als die Wirklichkeit war, klingt der Text wie eine Direktschalte in den Kopf von Chris Dercon: "Ich wünschte mir, dass ich noch geblieben wäre. (...) Jetzt wünschte ich ganz fest, dass ich wieder Ich wäre. Und dass sich alles wieder so drehen würde wie vorher."

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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