Volker Schlöndorff im Interview:"Man trampelt sich gegenseitig tot"

Der Filmemacher Volker Schlöndorff spricht über Sozialismus und seine Scheußlichkeiten, das Kino und seine Zukunft.

Interview: S. Vahabzadeh, F. Göttler

Kein Altmeister, nein, es ist junges deutsches Kino par excellence, deutsche Nouvelle Vague, die Volker Schlöndorff macht. Der "Päpstin", die die Constantin ihm wegnahm, trauert er nicht nach.

Volker Schlöndorff im Interview: Volker Schlöndorff im Mai 2007 in Cannes.

Volker Schlöndorff im Mai 2007 in Cannes.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Mit am schönsten im Film ist das Wiedersehen mit David Bennent, der den Oskar spielte in der "Blechtrommel" ...

Volker Schlöndorff: Ich bin mit den Schauspielern, mit denen ich drehte, oft Jahrzehnte befreundet. Mit David wollte ich immer einen zweiten Teil der "Blechtrommel" drehen. Er betrachtet das bis heute als einen Fluch, dass er diese Rolle gespielt hat. Wie es auch für Günter Grass ein Fluch ist - egal welches Buch ich schreibe, sagt er, es wird immer mit diesem verglichen, und es ist nicht so gut. Natürlich ist er dann doch froh über diesen Fluch ... Für Grass ist ja die Nachkriegszeit genauso wichtig wie Oskars Jugendzeit, nach der mein Film endete. Alle zwei, drei Jahre haben wir uns also hingesetzt und ein Drehbuch geschrieben. Die Leute dachten, jetzt käme etwas genauso Verrücktes wie der erste Film. Aber es war alles plötzlich ganz normal. Keine glaszersingende Kraft mehr in der Stimme. 1991 war der letzte Versuch, das sollte bis zum Fall der Mauer gehen. Du kannst beweisen, was für ein guter Schauspieler du bist, sagte ich zu David, wenn du nun bewusst spielst, was dir damals als Kind so entlockt worden ist.

SZ: Die Rolle, die er in "Ulzhan" spielt, kommt einem sehr oskarnah vor.

Schlöndorff: Jean-Claude Carrière hatte erst an einen indischen Schauspieler gedacht, den er von Peter Brooks "Mahabharata" kannte, ein großer Schlanker, der eher an einen Weisen aus dem Morgenland erinnerte ... Wir wussten, wir brauchten einen Buddy für diesen verschlossenen Mann, der sich nicht äußert - es rumort in seinem Innern, aber es artikuliert sich nichts. Da kam Jean-Claude mit diesem Wortehändler. Ich habe dann das Motorrad aufgebracht. Und dann saß er da und sah auf einmal aus wie Beuys - das war nicht geplant. Und dass der Kojote durchs Bild lief!

SZ: Die Arbeit war diesmal wohl lockerer als sonst bei Ihnen?

Schlöndorff: Unser Team war so lahm, dass ich viel Zeit zum Nachdenken hatte. Wir haben nach und nach Leute aus dem Westen nachgeholt - erst war da nur der Kameramann, Tom Fährmann. In den Studios von Alma Ata wird ja immer noch damit Reklame gemacht, dass "Iwan der Schreckliche" dort gedreht wurde - so wie man in Babelsberg immer noch mit Marlene Dietrich wirbt. Aber danach ist die Zeit stehengeblieben. Vor zwei Jahren haben sie eine große Produktion mit den Amerikanern versucht, sie hatten das feinste Equipment von Arri dafür, aber es gab keinen, der damit umgehen konnte. Als wir kamen, lag das zum Teil noch originalverpackt da. Und das im siebtreichsten Land der Erde, dank Öl und Gas, Platin, Gold, Kupfer.

SZ: Diese futuristische Stadt Astana schaut ja schrecklich neureich aus ...

Schlöndorff: Die haben einfach eine Stadt vollkommen aus dem Nichts in die Steppe gebaut, nur um sich eine neue Identität zu verschaffen. Das ist eine richtige Scheußlichkeit. Das sind natürlich alles Londoner Architekturbüros und türkische Bauunternehmen, die das machen. Und alles nur Fassade, keine Bausubstanz dahinter. Dieses riesige Gebäude, es heißt "Der Triumph von Astana" - jeder, der was auf sich hält, muss darin eine Eigentumswohnung haben, für drei Millionen Dollar, aber die sind fast unbewohnbar. Das hat nicht genug Fundament - ein Teil des Gebäudes sinkt mehr als der andere in die Steppe, dadurch reißen alle Rohre. Das war das schlimmste Erlebnis von Sozialismus. Dass man daran mal geglaubt hatte ... Nicht nur die Natur ist zerstört und die Städte, die Menschen sind zerstört, heute noch. Es gibt den alten Apparat, die Bürokratie aus der Zeit des Sozialismus, und daneben den Turbokapitalismus. Sie wollen's der Welt beweisen - das Präsidentenpalais ist nach dem Weißen Haus gebaut, nur viermal so groß. Viermal so viel Räume, die alle überflüssig sind.

SZ: Eine düstere Szene spielt in einem ehemaligen Gulag.

Schlöndorff: ... den wir hergestellt haben - aber es basiert auf Beobachtungen. Ich war in zwei Lagern, in dem einen war schon Dostojewksis "Totenhaus". Da gibt es überall kleine Foto-Gedenkausstellungen. Bei der alten Atomversuchsanlage dagegen ist gar nichts zu sehen, das ist alles zugewachsen. Der richtige Ort für diesen Mann, der auf der Suche nach dem Tod ist. Ich hatte immer an die "Searchers" gedacht, ich wollte die Musik der "Searchers" haben, das Lied ...

SZ: What makes a man to wander ...

Schlöndorff: Aber die Rechte waren nicht rauszukriegen, und ich musste darauf verzichten ... Man hätte es einfach stehlen sollen - ist kasachischer Usus.

SZ: Inzwischen geht es dem deutschen Film wieder richtig gut, zum Beispiel Babelsberg, wo Sie einst Direktor waren.

Schlöndorff: Ich habe zehn Jahre gedacht, es war alles umsonst, also bin froh, dass es jetzt richtig brummt. Der Filmfonds hat da sehr geholfen - andererseits ist Prag inzwischen auch so teuer wie Berlin. Was jetzt noch fehlt, ist, dass wir selbst Filme in dieser Größenordnung machen, statt Dienstleister für andere zu sein. Aber das mache ich nicht mehr. Als die "Päpstin" immer wieder verschoben wurde um ein Jahr, konnte ich kleine Filme einschieben, "Der neunte Tag", "Strajk". Das waren Lückenbüßer, bis ich dann eines Tages merkte, die sind das Eigentliche. Das andere ist die Utopie. Ich habe gar nicht den Ehrgeiz, die großen Filme zu machen. Es gibt ja zu viele Filme heute, man scheut sich fast, noch einen weiteren zu machen. Das ist Harakiri, fünfzehn Filme in einer Woche. Da sind sehr gute dabei, aber die haben alle keine Chance. Eine Stampede. Man trampelt sich gegenseitig tot. Eine Folge der Digitalrevolution - die Hälfte der deutschen Filme werden digital gedreht.

SZ: Die Lage der Kinos ist desolat.

Schlöndorff: Die Programmkinos haben die Zeit verschlafen. Wenn man nicht vor zwanzig Jahren die Multiplexe gebaut hätte, wäre der kommerzielle Filmmarkt, mit den alten Kinos, zusammengebrochen. Ein neues Konzept von Programmkino ist notwendig, mit Restaurant und Internetcafé. Das ist überall so, auch in New York dümpeln die Arthauskinos vor sich hin. Aber drei Säle im Multiplex für diese Arthausfilme reservieren, das funktioniert nicht. Das mischt sich nicht, die verschiedenen Gruppen des Publikums. Und DVDs allein ist zu wenig. Die Leute wollen ausgehen - dieses Gemeinschaftserlebnis kann man ihnen Gottseidank nicht austreiben. Und nur essen gehen, das ist auch passé.

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