Vogelgrippe im Anflug:Die fiesen Schläfer

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Man kann sie weder sehen, riechen noch schmecken. Das ist gewissermaßen das Markenzeichen der Viren. Und dabei sind sie immer und überall gefährlich. Wie die Macht der Metapher die Angst vor dem Virus schürt.

WERNER BARTENS

Die pragmatischen Fragen sind erörtert: Schützt die Grippeimpfung vor der Vogelgrippe? (Nein.) - Helfen Mittel wie Tamiflu? (Wahrscheinlich.) - Soll man Federvieh wegsperren? (Ja.) - Wann kommt das Super-Virus? (Weiß niemand.) Doch der die Menschen umtreibende Kern bleibt dieser Tage seltsam unberührt: Woher kommt das große Unbehagen? Und was begründet die ansteckende Angst?

Wann kommt das Super-Virus? Weiß niemand. (Foto: Foto: Reuters)

Ein Teil der Antworten liefert die Anatomie der Erreger selbst. Ohne technische Hilfsmittel kann man Viren weder sehen, riechen noch schmecken. Dass sie sich den Sinnen entziehen, aber immer und überall gefährlich werden können, ist eines ihrer Markenzeichen. Die Visualisierung von Viren unter dem Mikroskop erbringt zwar Aufnahmen von farbig schillernder Anschaulichkeit. Das Wesentliche aber bleibt verborgen.

Denn der elektronenmikroskopisch sichtbar gemachte Viruspartikel ist inaktiv. Aktiv und gefährlich wird das Virus erst durch seine Auflösung. Doch all das bleibt unsichtbar - zumindest bis sich neue Viren gebildet haben. Dabei geschieht in der Zwischenzeit Entscheidendes: Wenn das Virus in befallene Zellen eindringt, gibt es seine Struktur auf. Damit beginnt erst die eigentliche Infektion: Das Erbmaterial der Viren in Form von RNS oder DNS wird freigesetzt. Es bleibt - das ist für die Virus-Metapher in der Computerbranche von Bedeutung - in diesem Moment nur pure Information übrig, die sich der Wirtszelle bemächtigt und ihr das virale Programm aufzwingt.

Thomas Bächi, Experte für Elektronenmikroskopie an der ETH Zürich, hat das Bemühen, Viren sichtbar zu machen, als "biologische Archäologie" bezeichnet. Man findet in der Bildgebung zwar statische Hinweise auf die Existenz der Viren. Die viralen und in unserer Phantasie besonders virulenten Aktivitäten der Erreger bleiben hingegen im Dunkeln. Davon, dass sie infektiös sind, parasitär leben und sich außerhalb ihrer selbst durch Ansteckung vermehren, sieht man im Standbild aus dem Labor nichts.

Die Angst vor dem Unsichtbaren kennzeichnet zwar auch das Bedrohungsgefühl vieler Menschen gegenüber Strahlen und mutierten Genen. Deren Merkmale sind jedoch vergleichsweise verlässlicher, berechenbarer. Das einzig Stetige der Viren hingegen ist ihr Wandel. Denn Viren haben Überlebensstrategien entwickelt, die ihnen die Existenz auf dem Planeten sichern werden, wenn es schon längst keine Menschen mehr gibt. Dazu wahren Viren den eigenen Vorteil auf Kosten anderer. Sie tarnen sich und machen sich nahezu unangreifbar, indem sie in die Haut eines Fremden schlüpfen, in die Haut ihres Wirtes. Zum Überleben sind sie auf Zellen angewiesen, die sie entern und unter ihr Kommando bringen. Das fremde Erbgut der Wirtszelle zwingen sie binnen kurzem dazu, weitere Viren herzustellen. Sie installieren ihr Programm und bemächtigen sich des wehrlosen Zellopfers. Bei ihrer Vervielfältigung nehmen es die Viren nicht so genau. Ständig passieren Ablesefehler im Erbgut. Immer wieder basteln sie sich ihre Gen-Ausstattung neu zusammen.

Die Rolle des genialen Verwandlungskünstlers gelingt Viren zwar nur unter völliger Aufgabe ihrer äußeren Hülle. Das Innerste, der Kern der Botschaft (die hier schlicht lautet "Vermehre dich selbst") lebt hingegen fort.

Diese Fähigkeiten der Erreger, ihre Wechselspiele zwischen fremd und eigen, ihre Tendenz zum Überwuchern und Beherrschen, sind wohl auch der Grund dafür, dass sich der Begriff "Computer-Virus" so schnell etabliert hat. Wie das biologische Virus Mensch oder Tier infiltriert, so infiltrieren Computer-Viren den Rechner und vervielfältigen sich dann ebenso epidemisch wie exponenziell in ihm. Zwar unterscheidet die Sprache beide Erreger mittlerweile: Das Virus heißt die biologische Variante. Der Virus wütet im Computer. Die Methoden der Ausbreitung sind jedoch die gleichen.

Ironie der jüngeren Erregungslehre: Da viele Menschen die Macht der Computer-Viren aus eigener Erfahrung kennen und wissen, wie die Erreger Netzwerke, Firmen und kurzzeitig sogar die weltweite elektronische Kommunikation lahm legen können, ziehen sie drastische Rückschlüsse auf die Gefahr, die von einer biologisch-viralen Pandemie ausgehen könnte. Sie vergessen dabei, dass es auch etliche Viren gibt, die Menschen nie befallen und solche, die in friedlicher Koexistenz mit dem bewohnten Körper leben. Dass Viren eine wichtige Triebfeder der Evolution sind und waren, indem sie die natürliche Selektion vieler Lebewesen beeinflusst und so zur Entstehung etlicher neuer Lebensformen beigetragen haben, gerät im akuten Bedrohungsszenario ebenfalls aus dem Blick. Die Angst vor dem Unbekannten wächst nun einmal auch aus der Macht der Metapher.

Die Viren-Angst wird aber auch aus der Ungewissheit gespeist, wann, wo und wie ein Virus zuschlägt. Das Stichwort lautet Latenz. Fachleute halten zwar heute die Gefahr nicht für größer als vor fünf oder acht Jahren, dass ein "Super-Virus" entsteht, wenn Vogelgrippe-Viren und Menschengrippe-Viren ihre Erbinformationen mischen und neu sortieren (wobei ein Super-Virus auch durch Mutation aus herkömmlichen Grippe-Erregern entstehen kann). Die Rolle der "Schläfer", die auf unberechenbare Weise plötzlich gefährlich werden, ist jedoch spätestens seit den Terroranschlägen der vergangenen Jahre zum vertrauten Bedrohungsmuster geworden. Es braucht nur einen kleinen Anlass, im Fall der Viren eine kleine Mutation, bis aus der harmlosen Mikrobe ein tödlicher Erreger wird. Mit dem Begriff von terroristischen "Zellen" wurde bereits früher auf ein biologisches Sprachbild zur Illustration einer unheimlichen Bedrohung zurückgegriffen.

Dass Viren ausgerechnet über die altbekannte Grippe Schrecken verbreiten sollen, scheint so gar nicht zu den Eigenschaften der Erreger zu passen. Grippe, das klingt nach Husten und Schniefnase. Doch das passt zu der subversiven Geschicklichkeit der mittlerweile vogelfreien Viren. Am unberechenbarsten sind sie hinter einer harmlosen Maske. Noch aber geht die größte Ansteckungsgefahr von den metaphorischen Eigenschaften aus, die den Viren zugeschrieben werden.

© SZ vom 24.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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