Videokunst auf YouTube:Schnitt, Pornoszene, Schnitt

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Vezzoli, Barney, Aitken: Wie Youtube inzwischen sogar den Museen mit Videokunst Konkurrenz macht.

Holger Liebs

Das geht ja schon mal gut los: ,,Es gibt nur drei wirklich große Menschheitsgeschichten'', dröhnt unheilschwanger die Stimme aus dem Off. ,,Die erste ist die Geburt Christi''. Schnitt, Pornoszene, Schnitt. ,,Die zweite ist der Tod Christi.'' Wieder folgt eine kurze Sex-Einblende. ,,Und die dritte und bei weitem größte gehört ... diesem Mann''. Nun sieht man einen blasierten Typ in Toga, umgeben von Nackten. Er seufzt gelangweilt. Dann, in Großeinstellung, Milla Jovovich, mit träumerischer Miene hauchend: ,,Caligula''.

Das ist natürlich eine Parodie. Der mit überkandidelten, parodistischen Sexszenen gespickte ,,Trailer for a Remake of Gore Vidal's Caligula'' des italienischen Künstlers Francesco Vezzoli, mit Staraufgebot von Milla Jovovich über Courtney Love bis hin zum politischen Autor Gore Vidal selbst, nimmt die Skandalisierungslust der Filmbranche, den Celebrity-Wahn im Kunstbetrieb und die gegenwärtige Pornomode gleichermaßen auf die Schippe. Und die römische Dekadenz ist unschwer als Kritik der Machtverhältnisse im gegenwärtigen Amerika zu erkennen. ,,Jeder Augenblick der Geschichte ist düster'', so darf Vidal selbst den Film einleiten.

Piraten im Netz

Dieser grandiose, fiktive Fünf-Minuten-,,Trailer'', zu dem es natürlich keinen abendfüllenden Film geben wird, war der Überraschungserfolg der venezianischen Kunstbiennale 2005. Seit Mitte vergangener Woche ist er auf der Internet-Videobörse Youtube zu sehen, wenn man sich dort angemeldet hat - was insofern erstaunt, als das Werk für den Kunstbetrieb mittlerweile von beträchtlichem Wert ist.

Das Guggenheim-Museum bekam es 2006 von Vezzoli selbst als Schenkung übereignet, am kommenden Donnerstag wird der Film in Anwesenheit Gore Vidals und des Künstlers im Kölner Museum Ludwig vorgeführt, und auch auf der Berlinale wird er im Februar vorgestellt, diesmal vom Kunstmagazin Monopol. Im Juni schließlich bekommt Vezzoli erneut einen Auftritt im italienischen Pavillon der Lagunen-Biennale.

Ist die Youtube-Kopie des ,,Trailers'', bereitgestellt von der Netzexistenz ,,Schismorz'', ein Akt der Piraterie? Normalerweise wird um das Copyright von Videokunst ein großes Gewese gemacht. Aus durchaus nachvollziehbaren Gründen: Ähnlich wie bei der Fotografie wird im Kunstmarkt die potentiell unendliche Reproduktionsmöglichkeit von Videokunst auf nur wenige Kopien begrenzt, damit Künstler und Galerien an ihren oft aufwendigen Produktionen auch etwas verdienen. In der Münchner Privatsammlung von Ingvild Goetz gibt es eine Art begehbaren Kühlschrank, wo ,,Masterbänder'' und ,,Vorführkopien'' bedeutender Video-Kunstwerke konserviert und wie Reliquien gehütet werden.

Manche Videokassetten sind sogar signiert. Die junge Videokunst-Sammlerin Julia Stoschek, die im Juni in Düsseldorf eigene Räume eröffnet, sieht in den Youtube-Postings allerdings ,,gar kein Problem'': Die Flut von Kopien verweise auf die Gründungsjahre des Mediums; damals habe es Videokunst auch unlimitiert gegeben. ,,Es dürfte aber schon schwierig sein, eine Drei-, Vier- oder Fünf-Kanal-Projektion zu kopieren.''

Auf Youtube sind sowohl Filmschnipsel des Konzeptkünstlers John Baldessari, Szenen aus den opulenten ,,Cremaster''-Filmen Matthew Barneys, der Trailer von Douglas Gordons ,,Zidane''-Porträt wie auch Handy-Aufnahmen von Olafur Eliassons großartiger Sonnen-Installation in der Tate Modern 2002, zu der zwei Millionen Menschen pilgerten, zu sehen.

Ein gefilmtes Tagebuch des litauischen Videopioniers Jonas Mekas gibt es dort auch. Mehr Videokunst als bei Youtube findet man derzeit kaum im Netz - wenn auch oft in miserabler Qualität abgefilmt und selten von den Künstlern selbst eingespeist. Und immer noch sind die Beispiele ins Netz gestellter Kunstwerke Einzelfälle.

Dennoch: Auf Youtube scheint sich mit digitaler Hilfe zu formieren, was André Malraux in den Fünfzigern in Bildbänden dank farbiger Reproduktionstechniken bereits verwirklicht sah: ein ,,imaginäres Museum'' jenseits der Kunsttempel. ,,Man stelle sich die Reichweite vor'', schwärmt Laura Cumming im Blog des Guardian - und warnt gleichzeitig davor, dass die Grandezza der räumlichen Video-Projektion, der Zwang, sich ihnen im Museum auszusetzen, ihre zeitraubenden Entschleunigungsmechanismen als ,,fundamentales Etikett des Genres'' auf den Computer-Screens verlorengingen.

Tatsächlich: Welcher Künstler möchte schon gerne, dass bei Betrachtung seines Werks die Pausentaste gedrückt wird? Und dass man es statt in Kinogröße nur als digitale Briefmarke wahrnimmt? Wer aber möchte sich, auf der anderen Seite, Douglas Gordons auf 24 Stunden gestreckte Version von Hitchcocks ,,Psycho'' schon am Stück ansehen?

Videokunst bei Youtube, das ist auch ein zutiefst demokratisches Vergnügen - in einem rechtsfreien Raum. Mehr als zehn Minuten Länge pro Einspielung sind dort aber nicht erlaubt. Klaus Biesenbach, Medienkurator beim MoMA, sieht die Lage denn auch entspannt: ,,Es ist eine Form der Dokumentation, der Reproduktion und Vermittlung'', meint er. ,,Wie bei einem Katalog von Cindy Sherman. Die Bilder sind genauso echt, aber eben in kleinerer Auflösung. Es sind Appetithäppchen. Ich sehe da kein Drama.''

Nur mit Zertifikat

Das Museum of Modern Art, hat die Zeichen der Zeit erkannt und kürzlich einen eigenen Kanal bei Youtube eröffnet, mit einem - in diesem Fall echten - Werbetrailer für die Videosequenzen, die der Künstler Doug Aitken vom morgigen Dienstag an immer abends an die Fassaden des New Yorker Museums werfen wird.

Die aufwändige Mehrfachprojektion ,,Sleepwalkers'', mit der Agentur Creative Time zusammen produziert - es wirken Donald Sutherland, Tilda Swinton und die Sängerin Cat Power mit -, wird öffentlich und kostenlos zu besichtigen sein. Es ist natürlich nur eine Frage der Zeit, bis ,,Sleepwalkers'' seinerseits, von emsigen Digitalfilmern kopiert, bald im Netz auftaucht.

Klaus Biesenbach findet das alles nicht schlimm: ,,Ich sehe im MoMA täglich Leute mit irgendeinem Gerät im Anschlag dicht vor einem Warhol-Video stehen. Bei den Proben zu Doug Aitkens Film ging es schon am ersten Abend los. Ein Kunstwerk wird doch museal erst durch ein Zertifikat, welches es auszeichnet.''

Und was halten die, die es am meisten betrifft, also die Künstler, von der Internet-Streuung ihrer Werke? Francesco Vezzoli hat nichts gegen die Youtube-Kopie seines ,,Trailers'': ,,Ich bin irgendwie erfreut und überrascht'', kommentiert er die Zahl von fast 30000 Zuschauern in nur fünf Tagen. ,,Wenn aber nur einer der Schauspieler sich beschwert, muss ich natürlich offiziell darauf bestehen, dass der Film bei Youtube gesperrt wird.''

© SZ vom 15.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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