Verwandlungskunst:Das kann er im Schlaf

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Der Künstler Rodney Graham ist ein Chamäleon: Mal tritt er als Countrysänger, mal als Renaissancemusiker auf. Oder er improvisiert auf der Gitarre zu berühmten Sexszenen der Filmgeschichte.

Eva Karcher

Rodney Graham, 1949 in Vancouver geboren, gilt als Virtuose der Aneignung und Abschweifung, als Künstler, der unaufhörlich Rollen, Perspektiven und Medien mixt, ob Fotografie, Film, Musik, Malerei, Skulptur oder Installation. Für seine tragikomische Video-Endlosschleife "Vexation Island" gewann er 1997 auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen. Zusammen mit Jeff Wall, Ken Lum und Ian Wallace zählt Rodney Graham zu den Stars der kanadischen "Vancouver School". In der Ausstellung "Renaissance Man" zeigt die Züricher Galerie Hauser & Wirth nun bis zum 22. Dezember neue Arbeiten des Künstlers, und das Sprengel Museum Hannover widmet ihm anlässlich der Verleihung des Kurt-Schwitters-Preises bis zum 14.Januar ebenfalls die Schau "Rodney Graham - How I became a Ramblin' Man".

Esoterischer Flötenbarde. Hier ist Rodney Graham der "Renaissance Man". (Foto: Fotos: Rodney Graham, 2006. Courtesy Hauser & Wirth Zürich London)

SZ: Sie sind als Künstler mit Fotoserien und Filmen bekannt geworden. Aber Sie komponieren auch, spielen Gitarre und haben drei Alben veröffentlicht. In welchem Bereich fühlen Sie sich wohler?

Rodney Graham: Musik war immer ein Hobby. Als Student in den späten siebziger Jahren begann ich, in einer Band zu spielen. Mit Jeff Wall und Ian Wallace gründete ich die Punkband UJ3RK5. Aber wir waren nicht sehr erfolgreich und haben uns deshalb auf unsere Künstlerkarrieren konzentriert. Der erste Film mit einer Komposition von mir entstand 1999, es war "How I became a Ramblin' Man".

SZ: Sie reiten da als einsamer Cowboy in einen orange glühenden Sonnenuntergang hinein und zitieren alle Klischees melancholischer Westernromantik.

Graham: Haben Sie bemerkt, dass ich keine Flinte trug, sondern nur die Gitarre auf dem Rücken? Das ist eine Hommage an Gene Autry, den ersten singenden Cowboy, aber auch an Sterling Hayden, der in der Anfangsszene des Westerns "Johnny Guitar" mit nichts als seinem Instrument auf dem Pferd in die Stadt reitet.

SZ: Sie eignen sich Klänge und Posen der Countrymusik an - warum?

Graham: Weil sich meine Stimme für dieses Genre am besten eignet. Anfangs mischte ich verschiedene musikalische Standards, von House bis zu Bubblegum Pop, so in der Art. Aber allmählich bin ich beim Typus des Troubadours à la Bob Dylan oder Donovan gelandet.

SZ: Diese Charaktere verkörpern Sie immer mit einem Hauch von Ironie.

Rodney Graham als Outlaw in seiner "Paradoxical Western Scene". (Foto: N/A)

Graham: Ja, aber es ist nicht die Ironie, die Sie in der Popmusik selbst finden. Ich mache mich nicht lustig, dazu habe ich viel zu großen Respekt. Meine Ironie ist eher ein Versuch, die unzähligen Referenzen zu bewältigen, die meine Arbeit ausmachen. Sie ist eine philosophische Haltung. Nach dem Refrain eines meiner Songs: "What's so funny, I don't get it".

SZ: In der Dia- und Soundinstallation "Aberdeen" aus dem Jahr 2000 geht es um Aufstieg und Fall der Grunge-Ikone Kurt Cobain. Auch eine Hommage?

Graham: Die kleine Küstenstadt Aberdeen, in der Cobain geboren wurde, liegt gar nicht so weit von Vancouver entfernt. Es war eine vierstündige Pilgerfahrt zu seinen Wurzeln, eine Expedition an den Geburtsort eines großen Künstlers aus einer kleinen, eigentlich tristen und spießigen Stadt. Darüber habe ich einen Fotoessay gemacht und dazu mit Hardrock-Musik experimentiert.

SZ: Ein Titel Ihres dritten Albums "Getting it together in the Country" heißt "Softcore - more Solo Guitar Music for the Sex Scene, Zabriskie Point". Der Soundtrack für Michelangelo Antonionis gleichnamigen Film stammt von Pink Floyd...

Graham: ..und von Jerry Garcia von The Grateful Dead. Film und Musik waren damals ein Flop, aber immerhin wurde die Schlüsselszene mit dem explodierenden Haus in der Wüste zur Vorlage für eine Reihe von MTV-Clips. Ich habe die legendäre Sexszene in den Dünen zu einem siebenminütigen Videoloop geschnitten und dazu auf der Gitarre improvisiert. Was mich faszinierte, war der Kultstatus von Musik und Film, war diese ganze Geschichte der Ikonisierung und Mythisierung einer zum Scheitern verurteilten Utopie.

SZ: Der Loop, die Endlosschleife einer Bildsequenz oder einer Soundformation, ist ein zentrales Element Ihrer Arbeiten. Verwenden Sie ihn so häufig, weil er die Sisyphos-Struktur der Vergeblichkeit so perfekt veranschaulicht?

Graham: Der Loop hat auch etwas Transzendentes, Meditatives. 2001 habe ich vor dieser Sexszene 108 Minuten lang improvisiert, so lange, wie Antonionis Film dauert. Es war seltsam ambivalent ... einerseits wie eine Übungsstunde, andererseits wie selbstversunkenes Wegdriften in Traumsphären. Das englische Wort "noodling" beschreibt diesen halb bewussten Zustand gut.

SZ: Eine Videoarbeit von 1994 "Halcion Sleep", zeigt Sie in ebenfalls einer Art Traumphase. Haben Sie schon einmal Ihre eigenen Träume analysiert?

Graham: Nein. Als ich mit "Halcion Sleep" begann, war ich in einer sehr depressiven Verfassung. Damals entschloss ich mich, zum ersten Mal selbst in einem Video aufzutreten. Ich liege im Tiefschlaf auf dem Rücksitz eines Lieferwagens, der mich von einem Motel nach Hause fährt, wo mich mein Bruder und ein Freund zu Bett bringen. Für die Szene hatte ich eine doppelte Dosis Schlaftabletten genommen. Die Arbeit war wie eine Therapie.

SZ: Ihr jüngster Filmloop "Lobbing Potatoes at a Gong" simuliert im Stil einer Dokumentation eine Performance von 1969. Ein genialer Fake - spielt er auf das heute gerne verherrlichte Avantgarde-Feeling antiautoritärer Fluxus-Zeiten an?

Graham: Ja, die Arbeit ist eine fiktive Projektion in die Vergangenheit. Sie hat eine nostalgische Komponente. Ich hätte das damals ja tatsächlich auch tun können: mit Kartoffeln auf einen Gong zielen und alle Knollen, die den Gong treffen, später zu Wodka weiterverarbeiten! Inspiriert hat mich die Anekdote über den Drummer von Pink Floyd, der bei einem Ufo-Event in London damals genau diese Performance gemacht haben soll. Ich habe sie nachgestellt - und dabei in den Kunst-Happening-Kontext verschoben.

SZ: Einige neue Gemälde von Ihnen imitieren ziemlich gut die Ästhetik der Abstraktion, zum Beispiel Kubismus à la Picasso. Sind das Parodien?

Graham: Hm, naja, die meisten Künstler beginnen ja als Maler. Ich hole diese Phase jetzt sozusagen nach, aber ich bin natürlich Meistern wie Picasso oder Picabia weit unterlegen. Andererseits versuche ich, das bestmögliche abstrakte Bild zu malen.

SZ: An diesem Dienstag wird Ihnen in Hannover der Kurt-Schwitters-Preis verliehen. Was verbindet Sie mit Schwitters?

Graham: Er war ein Einzelgänger, dessen Karriere erst relativ spät begann. Darin erkenne ich mich wieder. Und wir teilen die gleiche Leidenschaft für die paradoxen Seiten des Lebens. Ich fühle mich bei ihm in guter Gesellschaft. Er hat verstanden, dass es manchmal notwendig ist, der Sache, die man eigentlich ersehnt, dennoch den Rücken zuzukehren.

© SZ v. 7.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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