Verfilmung: "Tintenherz":Herr Doktor, Herzmassage!

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Cornelia Funke ist Koproduzentin der Leinwandadaption ihres Weltbestsellers "Tintenherz". Doch auch die Autorin konnte den filmischen Infarkt scheinbar nicht verhindern.

Rainer Gansera

Von Romanfiguren, die lebendig werden, handelt Cornelia Funkes Buch. Iain Softleys Verfilmung aber ist von Figuren bevölkert, die dringend eine Herzmassage nötig hätten. Dieses "Tintenherz" pulsiert nicht richtig, von Anfang an sind deutliche Anzeichen von erzählerischem Herzflattern zu bemerken, etwas Ängstliches, das durch Schnitt-Hektik und Überversorgung mit Aktions-Ideen den allzeit drohenden Infarkt bekämpfen will.

Zwei "Zauberzungen": Meggie (Mirabel O'Keefe) und ihr Vater Mo (Brendan Fraser). (Foto: Foto: ddp)

Als Koproduzentin des Films hat Cornelia Funke die Umsetzung ihres Fantasy-Weltbestsellers im Detail begleitet und überwacht, hat mitgesprochen bei Drehbuch, Besetzung und Motivsuche, hat sich die täglichen Drehs vorführen lassen.

Den Faden verloren

Etwas Entscheidendes muss sie dabei übersehen haben, denn in ihrem Buch stimmt alles zusammen: der Erzählfluss, der Figurenpuls, die Hommage an den Zauber alter Bücher, die Lust am "Herauslesen" von Romanfiguren in die Wirklichkeit, diese Urlust von Leseratten und Geschichtenverschlingern.

"Es fiel Regen in jener Nacht, ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später musste Meggie bloß die Augen schließen und schon hörte man ihn, wie winzige Finger, die gegen die Scheibe klopften." So tastet sich der Roman wie auf Katzenpfoten in die Empfindungswelt der 12-jährigen Meggie vor. Er schürt die Ahnung von Gefahr und Abenteuer, legt Meggie ein Buch unters Kopfkissen und schildert das innige Verhältnis, das sie zu ihrem Vater, dem Buchrestaurator Mo Folchart, hat. Schön, wie Meggies Entdeckung vorbereitet wird, dass Mo eine "Zauberzunge" ist, die Romanfiguren durch Vorlesen ins Leben rufen kann. Eine magische Fähigkeit, die sie auch an sich selbst entdeckt.

Softleys Erzählung fehlt all dies: die Atmosphäre, das Hineintauchen in die Zauberzungen-Magie, die Einfühlung in Meggies Perspektive. Sie addiert Motive und Ideen, vergisst aber den Faden der Gefühlsbewegungen, der daraus eine Melodie formen könnte. Alles geschieht wie aus launenhafter Willkür. Mit der Notwendigkeit, das weitverzweigte Handlungsgeflecht des Buches für die Verfilmung zu verdichten, kann das nicht begründet werden.

Blasse Protagonisten

Immerhin: An prächtigen Schauwerten hat der britische Regisseur, der mit der Henry-James-Adaption "Die Flügel der Taube" bekannt wurde, einiges zu bieten. Von der wildromantischen mediterranen Berglandschaft über hoch aufragende mittelalterliche Burgen bis zu Altstadt-Flohmärkten und herrlich grünen, von Schmetterlingen übersäten Wiesen; von allerlei Fabelgetier (Einhorn, fliegende Affen, gehörnte Marder) über Feuerschlucker bis zu einem Wirbelsturm als bedrohlichster Inkarnation des Bösen.

Die interessantere Abteilung des Personals umfasst eine schrullige, Motorrad fahrende Tante, den mysteriösen Gaukler Staubfinger (Paul Bettany), der unbedingt wieder in das Buch, dem er entstammt, zurückkehren will; und den aus der 1001-Nacht-Märchenwelt importierten kecken Draufgänger Farid (Rafi Gavron). Fatalerweise bleiben ausgerechnet die beiden Zentralfiguren, Meggie (Eliza Hope Bennent) und ihr Vater (Brendan Fraser), am blassesten. Also galoppiert die Story ohne Fokus dahin und sabotiert die Grundidee - das Vexierspiel von Wirklichkeit und Fiktion.

Wenn fiktive Figuren aus Büchern in die leibhaftige Erscheinung gerufen werden, dann müssen sie auch wirklich ein eigenmächtiges Leben erhalten, eine Subjekthaftigkeit, wie die Flaschengeister arabischer Erzählungen oder Shakespeares Ariel. Hier aber erscheinen die Regeln, nach denen sie herbei- und wieder fortgezaubert werden können, allzu beliebig.

Das nimmt bisweilen unfreiwillig parodistische Züge an. Wenn Meggie zum Finale höchste Gefahr abwenden will, verfügt sie plötzlich über einen magischen Füllhalter und kann das Geschehen bequem so umschreiben, dass das Böse schnurstracks zu Staub zerfällt. Das hebelt die ganze Geschichte aus. So flattern die Kolibris und geflügelten Pegasus-Pferdchen, die dunklen Krähen und überhaupt alle Gestalten durch diesen Film wie kurzzeitig animierte, aber doch nur flüchtig vorüberhuschende Schemen auf der Suche nach einer Geschichte, die ihnen Leben verleihen könnte.

Inkheart, USA/GB/D 2008 - Regie: Iain Softley. Buch: David Lindsay-Abaire. Kamera: Roger Pratt. Musik: Javier Navarette. Mit: Brendan Fraser, Eliza H. Bennett, Paul Bettany, Helen Mirren, Warner, 106 Minuten.

© SZ vom 12.12.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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