Veranstaltungsreihe:Schöner hören

Lesezeit: 2 min

Für Pico Be sind Musik-Alben wichtig wie eh und je

Von Jürgen Moises, München

Das Album ist tot. Das war in den vergangenen Jahren immer wieder mal zu hören. Weil es als Format nicht mehr in unsere kurzlebige Zeit passt, in der sich die Menschen die Musik nur noch als Stimmungsmacher oder Infotainment-Häppchen aus dem Internet ziehen. Der Münchner Sänger, Musiker, Autor, DJ und Kulturveranstalter Federico Sanchez alias Pico Be sieht das anders. Für ihn ist das Album noch immer ein sehr wichtiges Format, gerade weil es dem Alltag und seiner Schnelllebigkeit entgegensteht, es eine Art Entschleunigung bewirken kann, indem es uns eine dreiviertel Stunde lang auf eine Reise einlädt. "Früher haben wir stundenlang komplette Alben wie Drogen inhaliert", erinnert sich Sanchez. "Warum soll das heute nicht mehr funktionieren?"

Gewissermaßen als Verteidigung dieses Formats hat der Münchner deshalb zwei musikalische Reihen initiiert, bei denen es darum geht, gemeinsam öffentlich komplette Alben anzuhören. In sie "hineinzugehen" wie in einen Film und davor oder danach über ihre Entstehung oder ihre musikalischen Besonderheiten zu reden. Die eine Reihe nennt sich "Ghost-Album", wurde bereits vor zwei Jahren gestartet und stellt in loser Folge übersehene oder wiederentdeckte Schätze der Musikgeschichte vor. Beim nächsten Termin am 2. November in der Favorit Bar wird das "Trance" von Kwaku Baah & Ganoua aus dem Jahr 1977 sein. Das erste Album, das die mystische Ritualmusik der Gnawa aus Marokko einfing, ist für Federico Sanchez so etwas wie ein Vorläufer von Techno.

Die andere musikalische Reihe heißt "Die Anhörung" und ist gewissermaßen in die Zukunft gerichtet. Denn hier werden keine historischen, sondern neue Alben angehört, und das meist noch, bevor sie offiziell erscheinen. Die Premiere war am vergangen Sonntag im Köşk mit dem "Grünen Album" von Natalie Ofenböck & Der Nino aus Wien. Der zweite Termin ist an diesem Freitagabend im Kino des Kunstvereins. Gespielt wird dort, und das in kompletter Länge, das neue Live-Album "Superheroes, Ghostvillains & Stuff" der Weilheimer Indie-Größe The Notwist. Dazu gibt es ein Autorengespräch mit Markus Acher, dem Sänger und Gitarristen der Band.

Es ist auch ein weiterer Unterschied zur Reihe "Ghost-Album", dass Federico Sanchez hier nicht nur sein musikarchäologisches Expertenwissen weitergibt, sondern eben auch die Musiker und Musikerinnen selbst zu Wort kommen. Am 25. Oktober werden das in der Kammerspiele-Bar die Münchner Friends of Gas sein, die mit "Fatal Schwach" laut Sanchez "das beste deutschsprachige Album der letzten Jahre" aufgenommen haben. Am 6. November folgen dann wiederum im Köşk Couscous & Boris Hauf, am 15. November ist im Kino des Kunstvereins Leroy mit "Bambadea" an der Reihe und am 15. Dezember Salewski ebenfalls im Kunstverein mit seiner "Musica Povera".

Das öffentliche Anhören eines Albums sieht Federico Sanchez dabei ganz bewusst auch als Gegensatz zur "Album-Tour", auf der die Bands gewöhnlich ihre neuen Alben vorstellen. Eine Rechnung, die laut Sanchez aber nie ganz aufgeht und einen als Musiker nur unter den Druck setzt, die Studio-Songs bestmöglich zu reproduzieren. "Bei einem Film erwartet doch auch keiner, dass man den live nachspielt", so der Musiker, der Konzerte gerade dann am besten findet, wenn sie sich von den Alben unterscheiden. Dass "Studiomusik" etwas ganz Eigenes ist, das hatte Wolfgang Tillmans vor ein paar Monaten schon mit seinem "Playback Room" im Lenbachhaus behauptet. Und dass das stimmt, das sollen nun die "Anhörungen" ebenfalls demonstrieren.

Die Anhörung 2: The Notwist - Superheroes, Ghostvillains & Stuff , Freitag, 14. Oktober, 20 Uhr, Kino im Kunstverein München, Galeriestr. 4

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: