"Vanity Fair"-Blog:Das Ende aller Klagen

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"Er hat mich in seinem Blog zwar beleidigt, aber ich finde ihn großartig": Rainald Goetz feiert den Abschluss seines "Vanity Fair"-Blogs mit einer Party.

Ijoma Mangold

Es ist ein bisschen so wie in den frühen Neunzigern, als im Ostteil Berlins die "illegalen" Clubs blühten. Diesmal aber liegt die Adresse in Kreuzberg.

Genug geklagt: Rainald Goetz lädt zur Abschiedsparty. (Foto: Screenshot: www.vanityfair.de/extras/rainaldgoetz/)

Von der Oranienstraße geht man durch eine Toreinfahrt in den Hinterhof und von dort in den zweiten Stock, in ein helles Atelier. Hierher hat der Schriftsteller Rainald Goetz eingeladen.

Es soll der Abschluss seines großartigen Vanity Fair-Blogs "Klage" gefeiert werden. Die Einladung ist ein Meisterstück der Unschärferelation, wie sie zwischen privat und offiziell, Exklusivität und Tag der offenen Tür, Party und Staatsakt oszilliert.

Am Freitag fanden die Leser von Goetz' Blog auf diesem eine Einladungskarte eingerückt, auf der stand: "klage feiert abschied - und es sind alle herzlich eingeladen - let's dance - schöne grüße, klage".

Sehen und gesehen werden

Und dann steht Goetz tatsächlich, wie er selbst es nennt, "auf der Matte". Ganz manisch-nervöser Gastgeber, begrüßt er anfangs noch alle Gäste mit Handschlag ("Hallo, ich bin Rainald Goetz"), doch dann wird es sehr schnell sehr voll. Dieser Termin gehört offensichtlich zu denen, die nicht verpassen will, wer etwas auf sich hält.

Ulf Poschardt ist da, der frühere Chefredakteur von Vanity Fair. Diedrich Diederichsen ist gekommen und der andere manische Blogger Joachim Lottmann.

Die Zentrale Intelligenz Agentur ist fast in kompletter Mannschaftsstärke angetreten, und aus den versammelten Journalisten könnte man locker ein ausgewachsenes Feuilleton rekrutieren. "Er hat mich", sagt der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, "in seinem Blog zwar beleidigt, aber ich finde ihn großartig."

Für 23 Uhr ist eine Textaktion angekündigt. Goetz hat einen wackligen Tisch aufgestellt, daneben zwei Bierkisten und Zeitungsstapel. Er erklimmt den Tisch, und nun beginnt eine Art hysterische Energie sich zu entfalten - eine Mischung aus Geistesgegenwart, Gehemmtheit und guter Laune.

Und die Menge applaudiert...

Goetz fährt sich immer wieder durch die Haare, springt vom Tisch, ergreift, was er einen "Gegenstand" nennt, meist ein Buch, sagt einen Satz dazu, der sich nie ganz erschließt, und liest eine knappe Passage aus "Klage" vor.

Dann hält er die Fotografie eines Frauenakts hoch und sagt: "Kunst soll unverständlich sein." Immerzu gibt es laute Lacher und Zwischenapplaus. Die Klatsch-Seite von "Klage" tritt nun gemeinschaftsstiftend in den Vordergrund.

Dann sagt Goetz: "Kyritz, wer ist denn dieser Kyritz?", springt wieder vom Tisch, seufzt etwas verloren "jo", greift zu einer Ausgabe des Magazins Cicero, in der wohl ein Interview mit Benjamin von Stuckrad-Barre stehen muss, und als er wieder oben steht, sagt er: "Der alte Stuckrad-Barre hätte sich früher mit mir hier über dies Interview lustig gemacht."

Offenbar wissen alle, dass der heutige Stuckrad-Barre nicht mehr der alte ist und es wird gelacht. Mehr passiert nicht. Aber die Figur Goetz ist längst so kanonisiert und auratisiert, dass selbst das sympathisch-fahrige Gehampel dieser fünf Minuten wie eine Begegnung der besonderen Art in Erinnerung bleibt. Dann sagt Goetz: "Let's dance!" Schön.

Das Leben im Netz jedenfalls wird ohne Goetz' Blog öder.

© SZ vom 23.06.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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