USA: Haute Couture zum Wohnen:Heute das kleine Erhabene

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Steckt Amerika nicht in einer dramatischen Immobilienkrise? Geht man durch New York, erlebt man eher einen Bau-Boom: New Yorks Superreiche entdecken die Star-Architektur.

Jörg Häntzschel

Amerikas Immobilienkrise nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Selbst in New York fallen jetzt die Preise. Geht man durch die Stadt, würde man allerdings schwören, man sei Zeuge eines der größten Booms ihrer Geschichte.

New York ist, seiner Skyline zum Trotz, architektonisch alles andere als fortschrittlich. (Foto: Foto: dpa)

Türme mit Luxuswohnungen schießen an jeder Ecke aus dem Boden. Und anders als früher, wo die risikoscheuen New Yorker Developer zuverlässig auf den banalsten Schick setzten, auf Marmor, Gold und Vulgärklassizismus, wurden viele der neuen Condominium-Türme von den besten Architekten der Welt entworfen.

Monumente der Erhabenheit

Jean Nouvel, Rem Koolhaas, Ben van Berkel, Herzog und de Meuron - sie und alle, die sonst Rang und Namen haben, wurden engagiert, um statt bloße Wohnhäuser Monumente des Stils und der Erhabenheit ihrer Bewohner zu bauen.

New York ist, seiner Skyline zum Trotz, architektonisch alles andere als fortschrittlich. Außer Norman Fosters Hearst-Tower, dem neuen Wolkenkratzer der New York Times, dem New Museum und dem einen oder anderen Restaurant ist in den vergangenen 20 Jahren wenig Nennenswertes entstanden.

Am konservativsten war immer der Wohnungsbau. Doch nun findet ausgerechnet dort eine kleine Revolution statt. All die Architekten, die in Paris, London, Peking, ja selbst in der amerikanischen Provinz längst große Bauten entworfen haben, in New York aber noch als die Avantgardisten galten, die sie vor 15 Jahren waren, werden auf Manhattan losgelassen.

Alles begann, als der New Yorker Architekturveteran Richard Meier 2002 den ersten seiner drei supercleanen Glastürme am Westrand von Greenwich Village baute. Wirklich neu war nichts an diesem Modernismus-Destillat. Doch Meiers Name, die architektonische Qualität und der Glamour, erzeugt durch prominente Bewohner wie Martha Stewart, Nicole Kidman und Calvin Klein, genügten. Ein neues Wohnbaumodell war am Markt eingeführt.

Neues Hobby der Superreichen

In den Augen der Investoren war es "ebenso vielversprechend wie die langweiligen, billigen Kästen in den Achtzigern", so der Architekt Neil Denari. Die Reichen wurden seitdem nur noch reicher, und Architektur wurde immer stärker mit Kunst und Mode assoziiert, zwei Hobbys der neuen globalen Oberklasse. Die Bilder von den neuen Stadien und Museen weckten die Lust auf prominente Bauten.

Der unerwartete Architekturboom findet vor allem im Galerienviertel Chelsea und entlang der Highline sein natürliches Setting, der stillgelegten Hochbahntrasse, die zur Zeit zum Park umgebaut wird. Wie man umgeht mit dieser spröden Lagerhaus-Landschaft, das zeigt etwa Denaris "HL23".

Der ehemalige Direktor der legendären kalifornischen Architekturschule Sci-ARC hat das Glück, ein an drei Seiten offenes Grundstück bebauen zu dürfen, das direkt an der Hochbahntrasse liegt. Die Freiheiten nützt er für ein weit über das Gleisbett ragendes und fast rundum verglastes Gebäude, dessen High-Tech-Dramatik durch die diagonalen Stahlstreben der Fassade auf die Spitze getrieben wird.

Immerhin nicht langweilig

Was bisher von Rem Koolhaas' erstem Manhattaner Gebäude bekannt ist, klingt ebenfalls vielversprechend: Jede der 22 Etagen wird etwas weiter hinter einem gerade im Bau befindlichen 60-Stockwerke-Wolkenkratzer desselben Developers hervorlugen. Auch die Zusammenarbeit von Anish Kapoor mit Herzog & de Meuron für ein neues Wohnhaus wird trotz des zu erwartenden Sublimitäts-Chichi immerhin nicht langweilig werden.

Die phantastischste Bereicherung für die Stadt wäre jedoch Jean Nouvels geplanter "Tower Verre" direkt neben dem Museum of Modern Art, das dessen untere Etagen als Ergänzung nutzen will. Noch versuchen allerdings die selbst in Manhattan aktiven Hochhausgegner das Projekt zu kippen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie sich die Superreichen ihre Fünftwohnung einrichten.

Nicht immer kommt Interessantes heraus, wenn berühmte Architekten sich auf das Diktat des spekulativen Wohnungsbaus einlassen. Viele der neuen New Yorker Wohnprojekte beschränken sich im Grunde auf eine so opulente wie sterile Selbstfeier. Nirgends ist das deutlicher als bei "40 Bond", für das der Hotel-Mogul Ian Schrager Herzog & de Meuron engagierte, deren paradoxer barocker Minimalismus den Geschmack der Zielgruppe wohl am besten trifft.

Stararchitekten wie der Pariser Jean Nouvel finden in New York reißenden Absatz. (Foto: Foto: dpa)

Eine einzige Idee

Die Fassade mit ihren wulstigen grünen Glasrahmen und dem "Graffiti"-Zaun ist eher Haute Couture denn Architektur. Ben van Berkel, der unter anderem für sein Stuttgarter Mercedes-Benz-Museum bekannt ist und in New York "Five Franklin Place" baut, hält diese Architektur als Mode durchaus für legitim: "Mode ist Teil der Welt, wir bauen das dauerhafte Kleid. Die Architekten waren in den letzten Jahren ohnehin etwas zu theorievernarrt."

Statt von einem Konzept leben viele der Projekte von einer einzigen originellen Idee. Bei Jean Nouvels "40 Mercer" sind es die riesigen Panoramascheiben, die sich zu Seite öffnen lassen; bei Shigeru Bans "Metal Shutter Houses" sind es die von den Ladengittern inspirierten Metalljalousien; bei Bernard Tschumis Monolithen "Blue" ist es die blaue Fassade; bei Enrique Nortens "One York" die Garage, die den Wagen automatisch parkt.

Doch mit Architektennamen, Qualitätshuberei und Technik-Gimicks ist die Condo-Formel noch nicht komplett. Obwohl sich scheinbar alles um die Architektur dreht, sind die Gebäude nur Teil einer von Marken-Spezialisten jeweils sorgfältig gesponnenen Lifestyle-Erzählung:

Die richtigen Knöpfe für Millionäre

Die Websites zeigen neckische Animationen und spielen suggestiven Downtempo-Beat, zu dem eigentlich nur noch Champagner und schöne Menschen fehlen. Auch sonst werden die richtigen Knöpfe gedrückt, um ambitionierte Millionäre zu beeindrucken. Mal wird Mies van der Rohe posthum herbeizitiert, mal Philip Johnson, mal wird die Pariser Sainte Chapelle als Vorbild genannt, mal das Institut du Monde Arabe.

Teil der Geschichte dieser "neuen Art zu leben - sorglos und leicht" (40 Bond) ist aber auch die lange Liste der Dienstleistungen. Sauna, "Badehaus", Yogastudio, Zengarten, temperierter Weinkeller, privates Restaurant und Kino sind Standard. Doch viele der neuen Condo-Türme tun für ihre Bewohner mehr als die besten Hotels. Die livrierten Helfer kümmern sich um Haustier und Auto (Kinder existieren offenbar nicht), bringen Frühstück und Blumen, organisieren Reisen. In Philippe Starcks "Yoo" berät der Designer persönlich bei der Wohnungseinrichtung.

Ein Designer für die Fünftwohnung

Das ist nur konsequent, da ein großer Teil der Wohnungen wie Hotelsuiten mit eingebautem Spekulationsgewinn genützt werden, als Dritt-oder Fünft-Wohnung. Doch das merkwürdig schizophrene Verhältnis zur Stadt ist damit noch nicht hinreichend erklärt.

Während der Service-Apparat tut, was er kann, um den Bewohnern den physischen Kontakt mit der Stadt, ihren Menschen und ihrer Unvollkommenheit zu ersparen, drängt er ihm die Rundum-Stadtansichen geradezu auf und exponiert ihn umgekehrt gnadenlos den Blicken anderer. Da ausnahmslos alle die gläserne Schnittstelle zum Herzstück des neuen Lebens erklären, muss hier auch die Quelle der erotischen Reize zu sein, ohne die wohl niemand bereit wäre, mehrere Millionen Dollar für ein "studio", also ein Zimmer mit Kochnische auszugeben.

"Es ist Leben wie in einem Magazin, wie in einem Film", erklärt van Berkel die Panorama-Manie, die er an seinem Haus mit Metallbändern zu filtern versucht. Wie anders dagegen die zwölfzimmrigen Park-Avenue-Höhlen mit ihren Schießscharten, in denen sich New Yorks alteingesessene Reiche seit jeher vor den Schrecken ihrer Stadt verschanzen! Die neuen transitorischen Downtown-Siedler hingegen genießen, wenn nicht den Geruch, so doch den Anblick der Bestie Stadt. Sie wissen ja, dass das schöne Tier nicht mehr beißt.

Schizophren

Für die Architekten ist die unerwartete Auftragsschwemme hochwillkommen. Schließlich gibt es nicht genug neue Guggenheims und New Museums, um sie alle zu beschäftigen. Dennoch fühlt es sich merkwürdig an, "für jemanden zu entwerfen, dessen Reichtum jenseits meiner Vorstellungskraft liegt", wie Denari unumwunden zugibt.

Doch es ist weniger das Luxusgetue, als das Fehlen eines Begriffs von urbaner Gesellschaft, das einen an diesen Gebäuden so erstaunt. Vorzuwerfen ist es allerdings weniger den Architekten - als den Investoren und Entwicklern. Doch vielleicht finden all die progressiven Architekten bald neue Aufträge, die ihren ideologischen und architektonischen Überzeugungen eher entsprechen.

Einen Lichtblick gibt es schon. Ausgerechnet der zurecht als Dekorateur verschrieene Frank Gehry baut den 270 Meter hohen Beekman Tower. Nicht weit entfernt von der Wall Street. In den 76 Stockwerken ist nicht nur Platz für insgesamt 900 Mietwohnungen (zu Marktpreisen!), sondern auch für eine öffentliche Schule und eine Klinik.

© SZ vom 11.6.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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