US-Fernsehserie "Kid Nation":Klos putzen in Bonanza City

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Der amerikanische Sender CBS bricht ein Tabu: Für eine Reality-Show setzt er Kinder in einer Geisterstadt aus. Dort machen sie Politik und bewirtschaften einen Saloon. Kritiker sprechen von Kindesmissbrauch.

Viola Schenz

Teenagergeplagte Eltern kennen das: So entnervt zu sein vom pupertierenden Nachwuchs, dass sie ihn am liebsten in die Wüste schicken würden. Bei den Xhosa, der zweitgrößten schwarzen Bevölkerungsgruppe Südafrikas, machen die Eltern das tatsächlich: Die halbwüchsigen Söhne müssen vorübergehend in den Busch und sind dort auf sich selbst gestellt. Überstehen sie das Exil, gelten sie als tauglich für die Welt der Erwachsenen.

Kinderarbeit vor der Kamera: In der US-Serie "Kid Nation" versuchen 40 Kinder, sich zu einer Mini-Gesellschaft zu organisieren. (Foto: Foto: dpa)

Der amerikanische Sender CBS macht das jetzt auch: Für seine neue Reality-Serie "Kid Nation" haben die Programmplaner 40 Kinder sowie eine Fernsehcrew 40 Tage lang in eine Geisterstadt im amerikanischen Bundesstaat New Mexico geschickt. Bonanza City heißt das Minenkaff, das seit einem Jahrhundert verlassen ist, aber hin und wieder für Dreharbeiten genutzt wird.

Es gibt dort weder Strom noch fließend Wasser noch Erwachsene - mal abgesehen von den Produzenten und Kameraleuten sowie einem Ärzte- und Psychologenteam, das einsatzbereit im Abseits steht.

Die Kinder im Alter zwischen acht und 15 müssen sich und ihren Alltag in einer Art basisdemokratischem Jugend-Staat selber organisieren, sich nach "Arbeitern", "Kaufleuten" und einer "Ober-Klasse" aufteilen, einen Gemeinderat wählen, Regeln erlassen und den Saloon - mit alkoholfreiem Ausschank - bewirtschaften. Sie müssen kochen, Wäsche waschen, die Plumpsklos putzen. Alles vor laufenden Kameras.

War es bei bisherigen Reality Shows Erwachsenen vorbehalten, Helden und Opfer zu spielen - egal, ob beim Rumlümmeln im Container oder beim Insektenfuttern im Dschungel - sollen diesmal Minderjährige für höhere Einschaltquoten und einen neuen Tabubruch sorgen. Allerdings: Im Gegensatz zum gängigen Jeder-gegen-jeden-Spektakel wird hier niemand abgewählt oder rausgeekelt. Stattdessen wählt die Kinder-Gemeinde nach jeder Episode eine Art Held des Tages, der einen symbolischen Goldstern im Wert von 20.000 Dollar überreicht bekommt.

"Wer hat die Verantwortung?"

Für junge Amerikaner ist das Konzept gar nicht mal so neu: Anders als ihre deutschen Altersgenossen sind sie es von der Grundschule an gewohnt, Funktionen und Verantwortung zu übernehmen. Dennoch erhitzt "Kid Nation" in den USA seit Wochen die Gemüter.

Die Mutter einer Zwölfjährigen beschwerte sich, weil sich ihre Tochter während der Dreharbeiten an spritzendem Fett verbrannt hatte. Andere Eltern zogen nach - wegen sonnenverbrannter Kinderhaut oder versehentlich getrunkener Seifenlauge. Damit war zu rechnen - Amerikaner sind berüchtigt für ihre Beschwerde- und Prozesswut.

"Wer hat hier letztlich die Verantwortung?", fragt der Kommunikations- wissenschaftler Matthew Smith von der Wittenberg University in Ohio, "der Sender, der mit dem 20.000-Dollar-Preis vor den Eltern hin- und herwedelt, oder die Eltern, die ihren Kindern erlaubt haben, sich in eine solche Situation zu begeben?" Andere sprechen glatt von Kindesmissbrauch.

Die Kritik wendet sich gleichermaßen an quotenhungrige Produzenten wie an die medien- und geldversessenen Eltern - CBS zahlt auch jedem Teilnehmer ein "Stipendium" von 5000 Dollar. Produzent Tom Forman, selbst Vater von zwei Kindern, wiegelt ab: "Tatsächlich haben wir ein Sommerlager veranstaltet. Die Kinder sind Teilnehmer in einer Reality-Show. Sie arbeiten nicht. Sie leben, und wir nehmen auf, was passiert." Und wenn einer der jungen Stadtgründer Heimweh nach Mum und Dad verspüre, könne er jederzeit gehen.

Medienpädagogen aufgepasst

Der Trailer verspricht das, was sich alle von einer Reality-Show versprechen: Emotionen, so hautnah wie möglich. Er vermisse seinen Bruder, der daheim im Rollstuhl sitze, schluchzt ein Knirps mit Nickelbrille. Die anderen trösten ihn mit spontanen Umarmungen. Auf einer tumultartigen Gemeinderatsversammlung sorgt der 14-jährige Michael pathosreich für Ruhe: "Wir sind hier, um zu beweisen, dass Kinder aller Alterstufen in der Lage sind, eine Gesellschaft zu organisieren!!" Vermutlich bringt ihm so viel Altklugheit einen Goldstern ein.

Am 19. September ist Start, zur abendlichen Hauptsendezeit. 13 Folgen wurden im April und Mai gedreht. Inzwischen muss sich CBS mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass die Dreharbeiten während des Schuljahrs stattfanden und sich an manchen Tagen so lange hinzogen, dass sie New Mexicos Gesetze über die Beschäftigung von Minderjährigen verletzten. Produzent Forman kann das nur recht sein. So viel Aufgeregtheiten im Vorfeld werden die Quoten nach oben treiben.

Und wo eine erfolgreiche Show läuft, da ist nach den Naturgesetzen des Fernsehens auch bald RTL oder Sat 1 zur Stelle, um sie zu kopieren. Deutsche Medienpädagogen können schon mal ihre Bedenken und Warnhinweise in Stellung bringen.

© SZ vom 6.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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