Umstrittene Aussage Ahmadinedschads:Agitator des letzten Kampfes

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Ist der Gegner erst einmal vernichtet, bricht das einzig gerechte Reich des Mahdi an, heißt es in den Überlieferungen. In diesem Zusammenhang erscheint die Aussage des iranischen Präsidenten in einem neuen Licht. Steht Israel die atomare Bedrohung durch Iran bevor?

Mariella Ourghi

In einem Artikel im Feuilleton dieser Zeitung vom 15. März 2008 verwies Katajun Amirpur darauf, dass die Äußerung, Israel müsse von der Landkarte getilgt werden, vom iranischen Präsidenten Ahmadinedschad so nie gemacht worden sei.

Vielmehr habe er gemeint, das dortige Besatzerregime müsse Geschichte werden. Dankenswerterweise lieferte Amirpur gleich den persischen Originalsatz mit, der da lautet: "In rezhim-e eshghalgar bayad az safhe-ye ruzgar mahv shavad." Der Hauptfehler liege in der Übersetzung des Verbs "mahv shodan".

In der Tat handelt es sich um ein intransitives Verb, und zwar als Pendant zum transitiven "mahv kardan", was soviel wie "ausrotten, vernichten, tilgen" bedeutet. Doch kann "mahv shodan" auch als Passiv verstanden werden. Konsultiert man ein Wörterbuch Persisch-Deutsch, findet sich als erste Übersetzung von "mahv shodan" "vernichtet werden".

Vor den Menschen verborgen

Es ist also wohl eher Haarspalterei, auf gewisse Übersetzungsungenauigkeiten zu verweisen. An Sinn und Zielsetzung des Satzes ändert es wenig. Dies zum einen.

Zum anderen bleibt offen, wie denn nach Ahmadinedschads Vorstellung eine israelische Regierung aussehen sollte, die nicht besatzerisch ist. Geht es allein um einen Rückzug der Israelis aus Ost-Jerusalem? Oder aus ganz Jerusalem bei einem Weiterbestehen des restlichen Staatsgebiets Israels?

Weit schwerer wiegen dürfte allerdings ein dritter Punkt, der es verdient, etwas genauer erläutert zu werden. Präsident Ahmadinedschad hat bekanntlich seit seinem Amtsantritt im Jahre 2005 durch seinen Mahdi-Kult wiederholt Aufsehen erregt.

Im zwölferschiitischen Islam ist die Figur des Mahdi, des erwarteten Erlösers, eindeutig an den zwölften Imam gebunden, der im Jahre 874 von Gott in die Verborgenheit entrückt worden sein soll. Seitdem ist er zwar vor den Augen der Menschen verborgen, lebt aber unter ihnen auf der Erde. Gleichwohl zeigt sich der Imam manch frommem Schiiten in Form von Visionen oder Träumen. Und auch Ahmadinedschad berichtete nach seiner Ansprache vor der UN-Vollversammlung im September 2005, dass er "von einem Licht umgeben worden sei".

Personen, die von Begegnungen mit dem Mahdi berichten, beschreiben oft, dass sie ein ungewöhnliches Licht wahrgenommen haben. Diese Rede schloss Ahmadinedschad übrigens mit der Bitte an Gott, den Mahdi alsbald hervortreten zu lassen, damit die Welt endlich mit Gerechtigkeit und Frieden erfüllt werde. 2006 prophezeite der Präsident gar, dass der Erlöser in den folgenden zwei Jahren aus der Verborgenheit zurückkehren werde.

Schreckliche Vorzeichen

Das Erscheinen des Mahdi erfolgt aber keineswegs aus heiterem Himmel, sondern kündigt sich durch eine Reihe überwiegend schrecklicher Vorzeichen an. Dazu zählen irdische Katastrophen, soziale Anarchie und das Auftreten feindlicher Gegenspieler. Vor allem zwei Kontrahenten des Mahdi bestimmen das Feld, der Dajjal und der Sufyani. Laut den schiitischen Überlieferungen wird ihr Hauptoperationsgebiet der Vordere Orient sein.

Nun sind zwar diese Überlieferungen - unter ganz anderen historischen Gegebenheiten - vor allem im achten und neunten Jahrhundert entstanden. Aber sie bleiben auch heute interpretierbar. Liest man zeitgenössische Quellen schiitischer Fundamentalisten zur Eschatologie, begegnen einem häufig Assoziationen des Dajjal und Sufyani mit den "bösen Mächten" Israel und USA.

Die Anhänger dieser Unholde rekrutieren sich vor allem aus Juden und Christen, die die Oberhand über die Muslime gewinnen wollen. Im Dualismus des endzeitlichen Krieges geht es selbstverständlich nicht darum, die "Bösen" einfach zur Räson zu bringen, sondern sie müssen vernichtet werden. Dies wird sowohl in einigen persisch- als auch arabischsprachigen Quellen unverblümt gesagt. Und nach den Prophezeiungen wird es auch so kommen: Ist der Gegner erst einmal vernichtet, bricht das einzig gerechte Reich des Mahdi an.

Als überzeugtem und dem fundamentalistischen Lager zuzurechnendem Schiiten ist Präsident Ahmadinedschad dieses Szenario zweifellos bekannt. Und nicht zu vergessen ist, dass das System der Islamischen Republik in sich den Anspruch trägt, dem Mahdi-Reich den Weg zu ebnen. Denn Artikel 5 der iranischen Verfassung besagt, dass nur aufgrund der Verborgenheit des zwölften Imams die allgemeine Sachwaltung und die Führung der Gemeinschaft bei einem Rechtsgelehrten zu liegen haben - als bestem Kenner der islamischen Gesetze und damit gerechtestem Staatsführer.

Aus all dem nun eine in näherer Zukunft bevorstehende atomare Bedrohung Israels durch Iran abzuleiten, wäre in der Tat zu voreilig. Denn wie Katajun Amirpur zu Recht am Ende ihres Artikels erwähnt, liegt die letztendliche Entscheidungsgewalt, auch in militärischen Angelegenheiten, beim Revolutionsführer Ali Chamenei. Dieser bemühte sich, Ahmadinedschads Äußerungen zu relativieren. Gerade die Mahdi-Visionen des Präsidenten stießen in weiten Kreisen des Klerus - auch des politisch engagierten - auf harsche Kritik.

Doch selbst dies dürfte wenig daran ändern, dass sich Ahmadinedschad als Agitator des eschatologischen Kampfes begreift. Eine Majorität der iranischen Bevölkerung hingegen kann damit wohl kaum etwas anfangen.

Die Autorin ist als Islamwissenschaftlerin an den Universitäten Jena und Freiburg tätig und forscht über den schiitischen Mahdi-Glauben in der Neuzeit.

© SZ vom 27.3.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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