Udo Lindenberg:Die reine Panik-Udo-Show

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Am Freitag erscheint das große, neue Lindenberg-Album "Stark wie Zwei" mit Gastauftritten von Jan Delay und Helge Schneider. Ein lockeres Treffen mit dem leckeren Udo in der Raucherlounge.

Dirk Peitz

Udo Lindenberg - schwarzer, spack sitzender Anzug, Sonnenbrille, Hut, der seit unsagbaren Zeiten bekannte Aufzug - kommt die Treppe herunter, eigentlich watschelt er herunter, Gazellengang sagt er selbst dazu, er watschelt durch den Wartesaal der Hotellobby, in den Sitzecken gehen die Köpfe unmerklich hoch, Lindenberg ahnt das längst mehr, als dass er es wirklich noch sehen würde, er nickt ganz leicht, Tagchen, Freunde, alles klar, heißt das, er biegt rechts ab, in die Bar des Hamburger Hotels Atlantic, Lindenbergs Wohnsitz, der erste Kellner kommt ihm entgegen, "Morgen Udo!", es ist 16 Uhr, Lindenberg brummt ein bassiges "Hmm", das ist sein Grundton, er watschelt weiter, in die Raucherlounge, wieder gehen die Köpfe unmerklich hoch, wieder grüßt Lindenberg mit einem Nicken, er macht aus jeder Menschenansammlung einen Freundeskreis, er setzt sich, der nächste Kellner kommt, "Hey Udo!", Udo Lindenberg ist wahrscheinlich der einzige Luxushotelgast der Welt, der vom Personal geduzt wird, geduzt werden will, er bestellt "Teechen und Red Bull ohne Zucker, weißt ja", der Kellner weiß, Lindenberg wackelt lindenbergmäßig mit der Hutkrempe und sagt in dem einzigartigen Lindenberg-Ton, der tief unten im Bauch entsteht, an den Stimmbändern vorbeisegelt, oben weich an den Gaumen stößt und schließlich irgendwie gleichzeitig durch Nase und einen Spalt über der aufgeklappten Unterlippe ins Freie tritt: "Hmmhmm, jaja, können gleich anfangen, ne?"

Die Show kann losgehen. Lindenberg gibt nicht wirklich Interviews, er führt Lindenberg auf, mit den ewiggleichen Worten und ewiggleichen kurzen, löchrigen Lindenberg-Sätzen. Lindenberg ist genau so, wie er, der Lindenberg, ihn, den Lindenberg, vor fast vierzig Jahren erfunden hat. Als Panik-Udo, als "Nachtigall, Abenteurer, Astronaut, Forscher, Entdecker, Detektiv, Botschafter der Ästhetik, Embassador der guten Laune, Goldsucher im dunklen Keller der menschlichen Seele". Als Universalkünstler, der dann noch Maler wurde, Hermann-Hesse-Stiftungsgründer, Bundesverdienstkreuzträger.

Eine totalere Übereinstimmung von Kunstfigur und leiblichem Menschen hat es zumindest in der deutschen Popkultur vorher nie gegeben, wird es wohl nie wieder geben. Beispiellos, weil in Deutschland vor ihm und nach ihm keiner das so absolut gelebt und bis heute überlebt hat, Rock'n'Roll, die volle Dröhnung, der ganze Zirkus, Aufstieg, Absturz, Aufrappeln, Weitermachen. Peter Kraus war ja nur Rock'n'Roll-Darsteller, Udo Jürgens wollte nie Rock'n'Roll sein, Rio Reiser ist lange tot, und sonst war da niemand, außer vielleicht Peter Maffay und etwas später Marius Müller-Westernhagen.

Mach dich locker, schubidu

Im Unterschied zu all denen aber schien Lindenberg sich nie verkannt zu fühlen, schien nie unglücklich mit seiner Außenwahrnehmung, selbst wenn er lächerlich gemacht wurde; sollte er doch mal unglücklich gewesen sein, dann hat er sich nichts anmerken lassen. Die Frage ist jetzt bloß, ob dieser mittlerweile 61-Jährige noch einen Platz hat in der Gegenwart. Wie bekommt man diese unveränderte, unveränderliche Kunstfigur, denn der Udo kommt nicht aus dem Udo raus, will er auch gar nicht, wie bekommt man also den Udo und das Alter dieses realen Mannes noch überein, und wie das dann hinein in die Musik?

Morgen erscheint Udo Lindenbergs neues, vierzigstes Album, das erste mit neuen eigenen Liedern seit acht Jahren, es heißt "Stark wie Zwei". In den ersten Texten über diese Platte wurde bereits geschrieben, es sei Lindenbergs beste seit wahlweise zwanzig oder dreißig Jahren, und es wurde spekuliert, ob das nun der Beginn eines Alterswerks sei, nach dem Vorbild von Johnny Cash. Also: "Stark wie Zwei" ist ein gutes Rockalbum, nicht nur gemessen an Lindenbergs mittelmäßigen letzten Platten.

Die Cash-Analogie wiederum stimmt nur insofern, als dass auch bei Lindenberg ein Produzent eine Retterrolle einnimmt, bei Cash war es Rick Rubin, bei Lindenberg ist es Andreas Herbig. Der hat bislang Sachen wie Ich + Ich, Culcha Candela und Sasha produziert, taugt also nicht wirklich zum deutschen Rubin. Es gibt zwar eine weitere Parallele zu Cash, aber da wäre Lindenberg der Vorläufer: Cashs Wiederentdeckung begann, als er von 1994 an sukzessive mit Rubin eine Art Neuformulierung des Great American Songbook begann, Lindenberg aber kommt jetzt mit eigenen Sachen, das sozusagen verlorene Great German Songbook, die Emigrantenmusik, Hollaender, Weill, hat er schon 1988 mit "Hermine" aufgeschlagen; Marlene Dietrich bekam Lindenberg noch dazu, ihm in ihrer Pariser Trutzburg in der Avenue Montaigne zwei Liedprologe auf ein Tonband zu sprechen, während Lindenberg um die Ecke in der Bar des Hotel George V saß und auf den Boten mit dem Tonbandgerät wartete.

"Ich war für einen Moment, was man ja eigentlich nie ist: glücklich", sagt Lindenberg heute, und das wiederum ist der Moment in der Raucherlounge, wo durch den Vorhang der Panik-Udo-Show mal so was lugt wie wahrhaftige Sehnsucht, echte Traurigkeit.

Udo Lindenberg wird auf "Stark wie Zwei" nicht modern durch rohe Zeitlosigkeit, wie Rick Rubin das vor bald 15 Jahren mit Cash schaffte. Andreas Herbig führt Lindenberg eher behutsam in den engen Grenzen des aktuellen deutschen Rock wieder heran an die Gegenwart. Es gibt aber ein paar große Augenblicke auf dieser Platte, die weit darüber hinausweisen. "Was hat die Zeit mit uns gemacht" ist so einer, da sitzen Text und Musik so präzise, dass das Lied zur Lebensbilanz wird; oder "Nasses Gold", eine Art moderne Pink-Floyd-Ballade, die in der Mitte in eine Collage von alten Udo-Zitaten abdriftet - die Udo-Themen bleiben, Alkohol stand immer ganz oben auf der Liste, aber Lindenberg findet noch neue Wege, davon zu erzählen; oder auch nicht, wie bei dem eher aufgeblasenen "Woddy Vodka". Dann sind da noch zwei kongeniale Gastauftritte, das grandios frische "Ganz anders" mit Jan Delay und das grandios beknackte "Chubby Checker" mit Helge Schneider, aber die sind reine Panik-Udo-Show: Der leckere Udo macht sich locker, schubidu.

Der Junge mit den Grünkohlstrunken

Diese Gastauftritte zeigen, eher nebenbei, zwei Dinge. Erstens dass Lindenberg-Lieder genau wie seine Texte schon immer davon profitierten, dass sie gemeinschaftlich ausgedacht und produziert werden, Lindenberg ist eben tatsächlich der große Vereiniger, der Leute-Zusammenbringer und Freunde-Macher, der Clanchef und Syndikatsboss, als der er sich seit jeher darstellte; nur manche, wie sein ehemaliger Saxophonist Olaf Kübler, erheben später Urheberrechtsansprüche (Kübler hat sie bekommen, außergerichtlich), aber die haben nicht verstanden, dass sie ohne die Figur Lindenberg wohl nie nach ihren Meinungen und Ideen gefragt worden wären. Und zweitens: Der künstlerische Einfluss, der von Lindenberg ausgeht, ist viel zu selten gewürdigt worden.

Vielleicht ist deshalb die eigentliche Leistung dieser neuen Platte die Erkenntnis, dass der heutige Lindenberg es zumindest noch in Momenten mit der Erinnerung an den früheren Lindenberg aufnehmen kann; dass er nicht einfach nur überlebt hat und zum bloßen Überbleibsel einer fernen bundesrepublikanischen Zeit geworden ist, alles klar auf der Andrea Doria, Sonderzug nach Pankow, Panik-Udo. Eben schubidu. Der Sohn eines Installateurs und Kriegsheimkehrers aus dem westfälischen Gronau, wo es bis heute nicht viel mehr gibt als einen Platz, der nach Udo Lindenberg benannt ist, und ein Rockmuseum, das niemals existieren würde ohne ihn, den sie Matz riefen damals, als der Junge mit Grünkohlstrunken auf Blechfässern hinterm Edeka herumgetrommelt hat - der Lindenberg ist noch gegenwärtig. Oder wieder. Das mit dem Alterswerk kommt dann später.

UDO LINDENBERG: Stark wie Zwei. Starwatch/Warner, 2008.

© SZ vom 27.3.2008/korc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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