TV-Serie "24":Telefonterror

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Wenn der Tag zum Countdown wird: Die TV-Serie "24" hält auch in der siebten Staffel ihr hohes Niveau und ist erfolgreich, weil sie die digitale Realität zum Stilmittel macht.

Tobias Moorstedt

Wie man die Zeit darstellt, zeigt, ob man auch in sie passt. Das Heute-Journal zum Beispiel mit dem gemütlichen Zifferblatt steht für eine Fernsehkultur, in der Sendungen wie eine Schulstunde um "viertel vor" und zur vollen Stunde beginnen. Die Thriller-Serie 24 hingegen hat die Zeitnot der Gegenwart zum Prinzip erhoben: Immer wieder taucht eine Digitaluhr auf dem Bildschirm auf. Jede der 24 Folgen einer Staffel stellt eine Stunde eines Tages dar, die rot glühenden Ziffern rasen in Echtzeit dahin, die Dynamik der Digitaluhr allein scheint die Handlung voran zu treiben. Da ist auch kein Ticken, sondern ein piepender, pochender Ton, als sei die Technologie bis ins Lebendige vorgedrungen. Das Format der deutschen Fernsehnachrichten stammt aus der stabilen Zeit des Wirtschaftswunders, in der das Leben in verlässlichen Bahnen verlief. Die fiebernde Uhr von 24 aber ist das Produkt einer Zeit, in welcher der Tagesverlauf immer mehr zum Countdown wird.

Kiefer Sutherland muss sich in "24" als Jack Bauer für seine Verhörmethoden vor dem Senat verantworten. (Foto: Foto: ap)

Seit dem 20. Januar 2009, seit Amtseinführung von Barack Obama als 44. US-Präsident, sieht man im TV ein neues Amerika, und auch die neue, siebte Staffel von 24 hat einige Modifikationen vorgenommen. Jack Bauer und seine Agenten-Kollegen verteidigen nun nicht mehr Los Angeles vor einem ABC-Waffen-Anschlag, sie sind jetzt in Washington, D. C. tätig, wo sich Jack für seine verschärften Verhörmethoden, die Folter als legitimes Mittel beinhalteten, vor dem Senat rechtfertigen muss.

Wieder einmal wirkt die fiktionale Serie wie ein Seismograph des realen politischen Systems.24 startete zwei Wochen nach 9/11, am Beginn der "Ära der Angst", wie der Produzent und Regisseur Jon Cassar die zurückliegenden Jahre seit 2001 nennt. "Ein außergewöhnliches Timing", sagt Cassar, und ist offensichtlich zufrieden über die ökonomischen Effekte dieses Zufalls. In der zweiten Staffel (2002) wurde der junge, farbige Senator David Palmer zum Präsidenten gewählt. 2009 scheint die Serie wieder ihrer Zeit voraus zu sein. Diesmal regiert eine Frau im Oval Office.

Der eigentliche Reiz von 24 geht über das Politik-Orakel, die Action-Choreographien und formalen Innovationen hinaus. Die Serie zeigt eine zuweilen überdrehte Version des "War on Terror", lässt uns aber vor allem nachvollziehen, wie kompliziert das eigene Leben ist.

Actionhelden erledigen ihren Job mit fiktiven Waffen und Fahrzeugen. In 24 aber wird die eigentliche Arbeit mit dem Computer erledigt. Die Serie zeigt die Displays, Gadgets und Web-Tools, die jeder täglich im Büro erlebt und verwendet, und wird so zum Teil unserer digitalisierten Lebenswelt. Oder anders: Das Zeitgemäße an 24 ist nicht das Thema Terror, sondern die vermutete Höhe der Telefonrechnung von Jack Bauer und seine Multitasking-Fähigkeiten, welche die Serie auch dem Zuschauer abverlangt.

Die erste Episode der neuen Staffel beginnt in einer Limousine. Der Vater sitzt auf dem Fahrersitz, hinten spielt die Tochter mit dem Mobiltelefon. "Du sollst das Handy doch nur im Notfall benutzen", herrscht er seine Tochter an. Das Mädchen schreibt weiter an der SMS: "Aber das ist ein Notfall."

Wenig später explodiert das Auto und der Vater wird entführt (eine Terrorgruppe will ihn zwingen, einen Computer zur Waffe umzubauen). Mit dem Mobiltelefon nehmen Agent Bauer und seine FBI-Kollegen die Spur der Terroristen auf, führen pro Folge etwa 25 Anrufe durch, laden sich "alle relevanten Daten" aufs Handy und hacken sich auch mal in den Computer der eigenen Regierung. 24 ist ein Werbespot der IT-Industrie. Der Präsident führt seine Videokonferenz mit der deutlich erkennbaren Software Cisco Telepresence durch, die FBI-Analysten arbeiten mit Nextel und Dell, und ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass alle Figuren von der Präsidentin bis zum Kleinganoven das identische Klapphandy besitzen? Das Product Placement der Serie ist evident - und in gewissen Maßen auch zu begrüßen. Marken und Geräte dienen als Realitätseffekt und machen den zuweilen hysterischen Plot - in Staffel vier sprengt ein Terrorist innerhalb von Stunden ein AKW, schießt die Air Force One ab und schickt eine amerikanische Atomrakete auf eine amerikanische Stadt - glaubwürdiger.

Der Palm Pilot ist für Geheimdienste und Soldaten längst wichtiger geworden als die Barretta oder die AK-47. Jack Bauer ist seit Jahren auf dem virtuell-surrealen Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts zu Hause, er scannt Fingerabdrücke, lädt Karten herunter, analysiert, ortet, berechnet. Er weiß, dass er und seine Gegner im Feld von Maschinen beobachtet werden, Radar, Infrarot-Scanner, Satelliten in der Umlaufbahn, die sehr viel schneller und in höherer Auflösung sehen, hören, spüren als der eigene Wahrnehmungsapparat.

Lesen Sie auf der nächsten Seite wie "24" den Soundtrack unseres Leben liefert.

Der digitale Agent muss deshalb mehr tun als sich dem Gegner entgegenstellen. Er muss die Geschwindigkeit des Sehens der des Handelns seines Gegenüber anpassen. Richtig bei sich ist 24 also nicht in den Actionszenen. Die wilden Telefonkonferenzen und Hacker-Wettbewerbe, das synchrone Handeln ohne geteilte Präsenz ergeben den Nukleus der Serie. Jack Bauer ist ein guter Verkäufer der neuesten Software-Anwendungen, Datendienste und smarten Geräte.

Die moderne Medienwelt beeinflusst nicht nur das Produktionsdesign der Serie. Für 24 wird jede Szene mit vier oder fünf Kameras gefilmt, die wie beteiligte Personen im Raum stehen, schwanken und schnaufen oder atemlos neben den Figuren her laufen. Reißschwenks und hektische Handkameras vervollständigen die Atmosphäre des War Room. Dem Zuschauer bleibt ein fester Blickwinkel verwehrt, er sieht die Welt immer wieder mit anderen Augen und muss sich in der Agentenwelt mit geheimen Operationen und mehrfach getarnten Figuren immer wieder fragen: Ist das alles echt?

Das Gehirn ist dem Auge voraus

Die Ikone der multiplen Perspektive ist der "Splitscreen", der geteilte Bildschirm also, den 24 ausgiebig verwendet, um die verschiedenen Handlungsstränge zumindest manchmal auf einen Blick zu vereinen. 24 ist eine Show für Menschen, die mit Videospielen und Browserfenstern aufgewachsen sind. Das menschliche Auge bewegt sich schließlich bis zu drei oder vier Mal in der Sekunde, das Gehirn braucht aber nur ein Fünftel oder Zehntel einer Sekunde, um ein Bild wahrzunehmen.

Auf dieses visuelle Potential baute vermutlich auch schon Abel Gance 1927 bei seinem Splitscreen-Klassiker Napoleon. Seinen Kritikern hielt er damals lässig entgegen: "Tut mir den Gefallen, und glaubt mir, dass eure Augen noch nicht die visuelle Ausbildung haben, um die erste Form der Lichtmusik wahrzunehmen."

Diese Musik des Lichts ist längst zum Soundtrack unseres Lebens geworden. In Videospielen und auf Webseiten, im Glitzern des medialen Multitasking können wir sie hören. Das Bildschirm-Mosaik der Nachrichtensender sieht manchmal so aus, als sei die Welt explodiert, sei zerfallen in Börsenkurse, Nachrichtenticker, Wetterberichte, Live-Bilder und den Studio-Feed. Der auseinander strebende Bildschirmaufbau behandelt mehrere Themen gleichzeitig, produziert vielfältige Botschaften, auch die, dass es in Zeiten des Internet unmöglich geworden sei, den Zustand der Welt mit nur einem Bild, dem Vollbild nämlich, zu erklären. Die Lektion, die man aus dem zersplitterten Bildschirm von 24 lernen kann, ist, dass der begrenzte Mensch ein Szenario nie vollständig überblicken und die Folgen seines Handelns deshalb nicht abschätzen kann.

Vor diesem Hintergrund muss man auch die Debatte um die Folterszenen in 24 sehen. Jack Bauer verwendet in den Verhören alle Mittel von Faustschlag (Steinzeit) bis zum Neurotoxin (Brave New World), die sich der Mensch im Laufe der Zivilisationsgeschichte angeeignet hat, um andere Menschen zu brechen. 24 erschien vielen Kritikern als Kultserie eines Amerika, das seine Ideale verrät, um seine Sicherheit zu beschützen.

Ideologie der gebrochenen Knochen

In einer Folge in der vierten Staffel kommt zum Beispiel ein Anwalt der fiktiven Organisation "Amnesty Global" in das Hauptquartier und verbietet die Befragung eines Terroristen - nur der Zuschauer weiß, dass die NGO von seinen Komplizen benachrichtigt wurde. Bauer rettet die Situation, in dem er sich über das Gesetz hinwegsetzt, dem Terroristen ein paar Knochen bricht und so an die wichtigen Information gelangt. Immer wieder meint man die Spurenelemente einer irritierenden Ideologie zu spüren.

In 24 werden aber auch Unschuldige mit Elektroschocks und Reizentzug gefoltert, die Abartigkeit der Aktionen also keineswegs verschwiegen. Produzent Cassar träumt dann auch davon, "dass sich die Menschen auf dem Sofa über unsere Show streiten". "Die Leute wollen nicht wissen, wie wir an das Öl kommen", rechtfertigt ein Lobbyist in einer der neuen Folgen seine kriminellen Handlungen, "sie wollen ein warmes Haus und eine Doppelgarage."

Es ist unvermeidlich, dass man beim Konsum von 24 mal auf die digitale Zeitanzeige seines Fernsehgeräts blickt und dort eine schwerfällige Spiegelung des 24-Timecodes entdeckt. Während man einen Tag im Leben des Jack Bauer verfolgt, ihm beim Schwitzen-Schnaufen-Schlagen zuschaut und nebenbei mal eben nachrechnet, ob das überhaupt hinzukriegen wäre, die ganzen Bewegungen über Staubpisten, Highways und durch Lufträume hindurch, auch wenn man wie Jack Bauer die Nummer des Oval Office im Schnellwahlspeicher einprogrammiert und den Fuhrpark einer Weltmacht zur Verfügung hat, während man also die fiktive Uhr rasen sieht und die eigene langsam blinken, muss man sich für einen Moment die Frage stellen: Was habe ich heute eigentlich alles erreicht?

© SZ vom 24./25.01.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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