TV-Kritik: Deutschland sucht den Superstar:"Was singt denn der da für eine Scheiße"

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In die erste Mottoshow von DSDS kann man sich hineinkuscheln wie in ein durchgesessenes Sofa: Die Kandidaten singen, weinen, jubeln wie bestellt. Die Jury ... ja, was ist eigentlich mit der Jury los?

Irene Helmes

Kein Exzentriker, nirgends. Hat es so was wie Daniel Küblböck jemals gegeben? Die Finalisten der 5. Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" sind hübsch herausgeputzt, haben "ein Hammergesicht und Hammerhaare", sind "supersexy" oder mindestens "süß". Selbst die Amy Winehouse des Mottoabends "Aktuelle Hits" ist ein braungebranntes, strahlendes Mädchen, dass bis vor kurzem in Hippie-Kleidchen an Ibizas Stränden getanzt hat. In Justin Timberlakes Fußstapfen versucht sich ein kleiner Junge, der gerne und viel zwinkert, und der Christina Aguilera in der DSDS-Version will man auch keine Dirty-Exzesse zutrauen.

Irritierend stumpfes Duo: Anja Lukaseder klammert sich an Beethoven-Nachfolger Dieter Bohlen. Doch der kann es auch nicht retten. (Foto: Foto: dpa)

Möchte man also abgeschabte Klischees von deutscher Gründlichkeit wiederbeleben, dann bietet die erste Mottoshow der Staffel eine wunderbare Gelegenheit. Hier fällt kein Wort zuviel, kein Kommentar tanzt aus der Reihe, das Drehbuch der Show ist fast greifbar. Anmoderation, Einspieler, Jubel, Auftritt, Jubel, Jurykommentare, Jubel und/oder Buh, Abmoderation, wieder von vorne, Werbeblock... Selbst Familien und Freunde der Kandidaten, in Pionierzeiten des Castings noch am ehesten spontan, stehen mittlerweile professionell ausgestattet mit vorgedruckten T-Shirts und Plakaten auf ihren Plätzen.

Wo dann mal schnöde Lebenssorgen ins "niegelnagelneue Studio" einzusickern drohen, wird eifrig nachpoliert. Kandidat Collins Owusu - oh weh - erzählt im Einspieler von Gelegenheitsjobs und der Angst, seiner kleinen Tochter nichts bieten zu können. Jurorin Anja Lukaseder, die "charmante Münchnerin" (DSDS-Website) im Designerkleid, rettet souverän die Situation: Mit so einem talentierten, liebevollen Vater sei das Mädchen doch schon "sehr reich".

Nichts, was "Mein RTL" und seine Zöglinge nicht familientauglich darbringen können: Sogar die Entzugshymne "Rehab" wird kokett-fröhlich vorgetragen - und Mit-Favorit Thomas bekommt die Selbstzweifel im Ich&Ich-Song "Stark" von Bohlen höchstpersönlich um die Ohren gehauen ("Ich hab mir die ganze Zeit gedacht: Was singt denn der da für eine Scheiße, 'ich bin nicht stark' - ich finde, du bist bärenstark").

Aber wer wird denn "das böse S-Wort sagen". Als eine Kandidatin auf Nachfrage erklärt, "scheißnervös" zu sein, kommt natürlich was "ins Schweinderl" - aber halb so schlimm, "da gehen wir alle irgendwann mal schön Eisessen", tröstet Schimpfwortkommissar Marco Schreyl.

Apropos sparen: "Die Leute rufen an, als wenn sie zuviel Geld haben", freut sich DSDS-Häuptling Bohlen, als es für das Publikum daran geht, den Verlierer des Abends mittels Telefonabstimmung zu wählen. Gehen muss am Ende Jermaine Alford, von der Juy für seine Interpretation von Timbalands "Apologize" schon zu Beginn der Show kräftig abgewatscht. Da waren's nur noch neun.

In der Jury sitzen dagegen weiterhin "unsere phantastischen Drei" (Schreyl)- doch bieten "der erfolgreichste deutsche Musiker seit Ludwig van Beethoven: Dieter Bohlen!" (immer noch Schreyl), Musikmanagerin Anja Lukaseder und Fanta-4-Entdecker Bär Läsker ein irritierend stumpfes Trio. Dabei müsste es doch gar nicht so schlimm sein, dass Bohlens Beisitzer gegen die frenetischen "Dieter! Dieter!"-Chöre im Publikum nicht ankommen.

Sidekicks haben gute Tradition in Film und Fernsehen - man erinnert sich an Harald Schmidts glückliche Zeiten mit Manuel Andrack, an Heidi Klums Bruce Darnell, Stefan Raabs Elton, James Bonds Miss Moneypenny, Miss Marples Mr. Skinner... Manche ordnen sich liebend unter (Miss Moneypenny, Mr. Skinner), andere machen sich früher oder später selbstständig (wie jüngst Laufstegmeister Bruce). Unvergessliche Kombinationen waren sie allemal.

Die ungleichen Jury-Kollegen von DSDS warten jedoch mit einer gänzlich eigenen Variante der Koexistenz auf: Hier wird einfach überhaupt nicht miteinander geredet. In zwei Stunden Show gehen die Juroren einmal direkt aufeinander ein. Ein wenig erinnern sie an Eltern, die kurz vor der Scheidung nur noch indirekt über ihre Kinder das Wort aneinander richten. Stunk hinter den Kulissen? Langeweile? Professionelle Konzentration auf die Kandidaten? Wir wissen es nicht - und vor allem, wir bestehen auch nicht darauf, es zu erfahren. Nur eines noch: Würde bei DSDS eine Jury gecastet, "eine echt ganz coole Performance" sähe anders aus.

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