TV-Berichterstattung zur Inauguration:"Die Autotür öffnet sich"

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Habemus Obamam - und es ist vollbracht: Barack Obamas Amtseinführung im deutschen Fernsehen

Roman Deininger

Die Amerikaner gehören natürlich zu den glühendsten Verehrern des Barack Obama, aber mit den Deutschen kommen sie doch nicht ganz mit. Schon gar nicht mit jenen Deutschen, die Fernsehen machen. Und schon überhaupt gar nicht mit Dennenesch Zoudé. Für das ZDF hat sich die aus Äthiopien stammende Schauspielerin unter die jubelnde Menge auf der Washingtoner Mall gemischt. Um die Gefahr journalistischer Distanz von vornherein zu bannen, hat sie sich eine rote Obama-Fan-Kappe aufgesetzt. Die soll sie wohl auch wappnen gegen all die Begeisterungsbeben und Euphoriewellen, die sie halbminütlich an den Rand des Kollaps bringen. "Es ist vollbracht", schreit irgendwer neben ihr, als Obama den Eid geleistet hat. Zoudé bemüht sich eher zaghaft um Einordnung: "Es ist vollbracht", schreit auch sie und zeigt auf ihre Mütze.

Brummig, aber ruhig: Am Tag der Amtsübernahme wahrte RTL-Anchor Peter Kloeppel die Form. (Foto: Foto: RTL, Screenshot: SZ)

Gut zehn Stunden ist das deutsche Fernsehen am Dienstag damit beschäftigt, den 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten ins Amt zu begleiten. Historisch ist der Anlass und entsprechend üppig die Ergriffenheit. Das Vorspiel freilich zieht sich. N-tv meldet um 16.35 Uhr "Breaking News": "U-Bahn-Züge in Washington überfüllt". Bei Phoenix spielt der Moderator mit einem Wackel-Barack. N24 verlautbart: Linken-Chef Gysi hat Obama postalisch darauf hingewiesen, seine Inauguration könne ein "Jahrtausendereignis" werden. CNN kündigt unterdessen mal wieder eine grandiose technische Neuerung an - vorübergehend ist zu befürchten, dass sich Wolf Blitzer als Hologramm auf Michelle Obamas Schoß projizieren lässt. Dann ist es doch nur ein Satellitenbild der Mall.

Verschiedene Sender erbringen den Nachweis, dass spontane Stimmungsinterviews auf der Straße verzichtbar sind. Florian Bahrdt von der ARD fragt eine schwarze Frau mit Obama-Glitzer-Hut, ob dieser Tag für sie eine "historische Dimension" habe. Die Frau teilt mit, das sei der Fall. Die Zeremonie beginnt. Die deutschen Sender trauen - im Gegensatz zu CNN - ihren Bildern nicht, dabei hat das ZDF sogar eigene. Die Kommentatoren wollen künstliche Erhabenheit herbeireden, und quatschen die echte damit kaputt. Angenehm fällt auf, wer die Stimme nicht in Dauervibrato versetzt: Steffen Seibert beim ZDF, Tom Buhrow bei der ARD. Letzterer tut sich auch mit Sachkenntnis hervor, während sich ARD-Kollegin Hanni Hüsch beim Einzug der Verfassungsrichter über "prominente US-Stars" auf der Tribüne freut. Peter Kloeppel hat sich in der guten Stunde, die RTL dem Spektakel widmet, offenbar Zurückhaltung auferlegt. Er brummt wie ein Braunbär mit Halsentzündung. Man kann gar nicht genug haben von diesem Kloeppel-Brummen.

Kurz vor sieben. Die Obamas stehen winkend auf den Stufen an der Rückseite des Kapitols, die Bushs steigen in den Hubschrauber Marine One - es ist ein großer Moment, die Nahtstelle zweier Epochen. Genau jetzt schalten die Öffentlich-Rechtlichen weg. Die ARD zeigt Die Bräuteschule, es geht um Hauswirtschaftsunterricht in den Fünfzigern. Bei CNN entschwebt der unbeliebteste US-Präsident aller Zeiten am Horizont. Bei der ARD mahnt eine gestrenge Lehrerin: "Kochen Sie stets mit Fantasie!"

Das Heute-Journal, live aus Washington. Bisher haben alle gut verborgen, dass sie frieren bei minus acht Grad. Marietta Slomka tut das nicht. Heute muss man sagen dürfen, dass sie unterkühlt wirkt. Auf ihrem Pult stehen Obama-Tassen, das ist Kinderfasching gegen den Wackel-Barack. Im Heute-Journal - und auch bei den Tagesthemen - kommt die frenetische Berichterstattung, die bis dahin von Minimalereignis zu Minimalereignis ("Die Autotür öffnet sich!") hetzte, endlich wieder zu Atem. Es gibt Auszüge aus Obamas Rede, in frischer Übersetzung, die dem Rhythmus und Ausdruck des Präsidenten gerecht wird. Und es gibt bedachte Beiträge: ZDF-Reporter Peter Kranz etwa hat inmitten des Washingtoner Wahnsinns tatsächlich intime Momente eingefangen. Frau Slomka sagt dann noch, dass die Welt wegen Obama nicht stehen bleibe.

ARD und ZDF beschließen den Abend mit viertelstündigen Zusammenfassungen. Die im Ersten heißt Obama!!!, ist aber trotzdem recht nüchtern. Die Nachrichtensender bleiben dran, beobachten die große Parade. Die Kommentatoren schlagen sich bei der Vertonung der öden Angelegenheit wacker, auch wenn sie in ihrem Übermut die eine oder andere Wissenslücke offenbaren. So zelebriert n-tv mit einigem Pathos den Moment, in dem die Obamas die Schwelle des Weißen Hauses überschreiten. Es handelt sich nur leider um die Schwelle zu dem Plastikpavillon, in dem die First Family die Parade guckt.

Es ist spät geworden. Beim N24-Talk Links-Rechts wird Obama mit Jürgen Klinsmann verglichen, was den Studiogast und niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff nur kurz aus dem Konzept bringt. Danach tut N24, was schon den ganzen Tag über zu erwarten war: Der Sender zeigt eine Dokumentation über Kampfflugzeuge. Es ist jetzt Mitternacht vorbei in Deutschland, und Paradenzuschauerin Michelle Obama hat sichtlich Mühe, beim Vorüberzug der hundertsten High-School-Marschkapelle Begeisterung vorzuschützen.

Solche Probleme kennen Professor Thomas Jäger und Brian Thomas bei Phoenix nicht: Seit 14.45 Uhr sind der Politikwissenschaftler und der Deutsche- Welle-Mann auf Sendung. Um 0.55 Uhr diskutieren sie immer noch mit einer Wonne, als hätten sie just in diesem Augenblick das erste Mal ein Mikro unter der Nase. Irgendwann, ein Resümee ist gefragt, sagt Jäger: "Einen grundlegenden Wandel wird es auch mit Obama nicht geben." Wohl ein Defätist. Der Professor sollte sich den wahren Stand der Dinge rasch von Dennenesch Zoudé erklären lassen.

© Quelle: SZ v. 22.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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