Tome Wolfes neuer Roman:Der Griff in den Schlüpfer

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Ein Roman, der sitzt wie ein Maßanzug: In ¸¸Ich bin Charlotte Simmons" entdeckt Tom Wolfe, seit je der eleganteste unter allen Autoren, einen nicht gekannten Edelmut - und natürlich die Pornographie.

ROBIN DETJE

Tom Wolfes neuer Roman ¸¸Ich bin Charlotte Simmons" passt dem 74-jährigen Autor so genau wie einer seiner berühmten weißen Maßanzüge. Es handelt sich um ein in jeder Hinsicht grandioses Werk: ein knallbuntes Melodram voll donnernder Thesen, über weite Strecken schreiend langweilig, immer wieder von Anfällen meisterhafter Groß-Schlachtbeschreibung unterbrochen, dem Heldischen verfallen, dem ewig Weiblichen ergeben, um den Roman eines Moralisten mit einem Hang zur saftigen Pornographie, um einen hysterischen Anfall und gleichzeitig einen mechanisch nach Schema F konstruierten Spannungsroman.

Die Story erzählt im Wesentlichen von der Entjungferung einer Musterschülerin, die schon im ersten Semester an der Dupont University erkennen muss, dass ihre ländliche Prüderie sich schlecht mit dem geilen Wummern des jugendlichen Ehrgeizes ihrer männlichen Kommilitonen vertragen wird. (Foto: N/A)

Vor allem aber ist dieser Roman über das Studentenleben in den USA das Werk eines älteren Gentlemans, dem die Welt der jungen Amerikaner ganz und gar fremd geworden ist. Man sieht förmlich, wie ihn - einst der Begründer einer eigenen, besonders coolen Schule des Journalismus, der sich sodann dem Gesellschaftsroman verschrieb - die elektrisierende Botschaft erreicht: An amerikanischen Eliteuniversitäten wird mächtig viel gevögelt. Gevögelt? Ungeheuerlich! Schon schwingt der Dichter sich aufs Pferd und galoppiert dem Sündenpfuhl entgegen. Schon zieht er ein paar Figuren aus dem Sumpf, an denen er eine ungeheuer abstruse Schicksals-Kolportage inszeniert, von Schimpf und Schande, Ehrgeiz und Edelmut, voll gefallener Jungfrauen und verlorener Engel, schwitzender Finsterlinge und geschwollener Kämme. Schrecklich und unrasiert stellt sich das Niedrige und Gemeine hier dem Reinen und Feinen in Gestalt einer Blonden und Kleinen namens Charlotte entgegen, fürchterlich wüten die Mächte der bösen Hormone, bis Wolfe als Gott über dieses überhitzte Universum befiehlt, dass endlich, endlich Ruhe einkehre.

Die Story, in der immer unweigerlich passiert, was der Autor als das Unvermeidliche konstruiert, erzählt im Wesentlichen von der Entjungferung einer Musterschülerin aus den Hinterwäldern North Carolinas, die schon im ersten Semester an der amerikanischen Ivy-League-Instituten nachempfundenen Dupont University erkennen muss, dass ihre ländliche Prüderie sich schlecht mit dem geilen Wummern des jugendlichen Ehrgeizes ihrer männlichen Kommilitonen vertragen wird. Um der Sache den richtigen Pfiff zu geben, wirft sie sich gleich drei typischen Alpha-Affen des Campus an den Hals - dem fiesen Ober-Burschenschaftler Hoyt, dem lieb-dummen Basketballstar Jojo und der politisch voll korrekten, also hormonell minderbemittelten Brillenschlange Adam.

Wolfes Kritik des Kulturfaktors Lüsternheit fällt dabei selbst recht lüstern aus, schließlich handelt es sich hier um Entertainment. Und das Wummern seines eigenen auktorialen Ehrgeizes bleibt immer deutlich hörbar, denn Wolfe rührt dieses Hexengebräu aus Heldenklischees und bösen Stereotypen vor allem an, um selbst zu einem Helden der amerikanischen Literatur zu werden, bzw. seine schon belegte Heldenrolle endgültig festzuschreiben. Dies ist ein ganz und gar ritterliches Buch: Man rettet die Ehre der Jungfrau und denkt doch an den eigenen Nachruhm zugleich.

Wolfes onkelhaftes Entsetzen vor der Macht des Sexus im Reich des Geistes und seine saftige Besessenheit davon sind herzlich naiv. Aber große Nummern dürfen wir erleben, besonders wenn der Dichter das Terrain des Melodrams verlässt und sich Exzesse des Realismus erlaubt. Ballwurf für Ballwurf, Foul für Foul kann er die Erniedrigung eines Basketballspielers im entscheidenden Match über Seiten hinweg beschreiben, und wenn es an die Entjungferung geht, wird mit bürokratischer Genauigkeit jeder Finger, der sich unter Leibchen und Schlüpfergummi der zitternden Heldin schiebt, jedes Körperteil, das aus dem Weg geräumt werden muss, Zentimeter für Zentimeter begleitet.

Nicht im Welt- und Gesellschaftspanorama, im mikroskopischen Blick auf die allmähliche Verfertigung des Dramas im Schreiben, im Protokoll der Haupt- und Staatsaktionen Schritt für Schritt und Geste für Geste findet dieses Buch seine Erfüllung. Das ist, nehmt alles nur in allem, ein fantastischer Prosazirkus, den Wolfe als Meisterdompteur und Direktor in glitzernder Uniform souverän beherrscht - eine völlig weltfremde, mürbe Donquichotterie, genau deshalb unleugbar groß und von großer und trauriger Überflüssigkeit.

TOM WOLFE: Ich bin Charlotte Simmons. Roman. Aus dem Amerikanischen von Walter Ahlers. Karl Blessing Verlag, München 2005. 794 Seiten, 24,90 Euro.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.233, Montag, den 10. Oktober 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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