Thesen zu einer neuen Medienpolitik:Es rappelt in der Kiste

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ARD und ZDF in der Krise: Zur Änderung des Rundfunk-Staatsvertrags wird heiß über Medienpolitik debattiert. Wo liegt die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Sender? Und welche Rolle spielen dabei die Presseverleger?

Lutz Hachmeister, Kai Burkhardt, Claudia Huber, Gisela Schmalz, Stephan Weichert

Im Oktober 2008 wollen die Ministerpräsidenten Änderungen zum Rundfunk-Staatsvertrag verabschieden, über die sich im am 12. Juni verständigt haben. Bis dahin soll es, nach den heftigen Auseinandersetzungen zwischen ARD, ZDF, den Privatsendern und Presseverlegern, weitere Anhörungen und Konsultationen der Medienindustrie geben.

Jetzt heißt es: Köpfe zusammen stecken und über die Zukunft beraten. Im Bild: Ruprecht Polenz (l.), Vorsitzender des Fernsehrates des ZDF, und Markus Schächter, Intendant. (Foto: Foto: dpa)

Das unabhängige Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) mit Sitz in Berlin, geleitet von dem Medienforscher und Publizisten Lutz Hachmeister, hat für die SZ dazu eine grundsätzliche Stellungnahme verfasst. Das IfM wird sowohl von öffentlich-rechtlichen wie privaten Medienunternehmen gefördert.

Verstaubtes Regelwerk

1. Einstweilen sind die Kontrahenten schlachtenmüde nach den schrillen medienpolitischen Auseinandersetzungen, die sich um die Frage "Was darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet?" rankten. Es ging um ein Regelungswerk, das schon sprachlich Furcht erregt - um den "12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag".

Die Ministerpräsidenten einigten sich immerhin auf einen Entwurf. Doch schon der Leitbegriff ist antiquiert: "Rundfunk" wird als medienpolitisches Ordnungsfeld bald so bedeutsam sein wie die Verwaltung der illyrischen Provinzen im 19. Jahrhundert. Mit immer hektischeren Anbauten an den ursprünglichen "Rundfunkstaatsvertrag" von 1991 ist fast nichts mehr zu regeln.

Je undurchsichtiger die juristischen Formeln, umso eher werden sie in der Praxis umgangen. Zur Scheinberuhigung sind einige Placebos an die lautstärksten Beschwerdeführer verteilt worden. Die Akteure der deutschen Medienpolitik, im wesentlichen Ministerialbeamte, wackere Verbandsvertreter und Landesmedienaufseher, haben sich in ihren Rückspiegelbegriffen verfangen.

Die Kampfvokabel "Elektronische Presse", von manchen Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern mit Heureka-Gestus spät ins Feld geführt, klingt nicht nur wie ein Gerät aus der Schnellreinigung, sie hat auch mit der Wirklichkeit der globalen elektronischen Kommunikation nichts zu tun. Das Internet ist nicht einfach ein zusätzliches Medium. Es deutet alle anderen (Massen-)Medien um, definiert deren Form und publizistische Wirkung neu und bindet sie an den beschleunigten weltweiten Handel an.

Dies heißt ja nicht, dass die mit Presse- und Rundfunkrecht verbundenen Freiheits- und Ordnungsvorstellungen sämtlich überrollt würden. Aber eine moderne Medienpolitik für das 21. Jahrhundert muss sich durch den Wirklichkeitsbezug ihrer Begriffe auszeichnen, durch realistische Ordnungsvorstellungen jenseits von technologisch längst überholten Kleinteiligkeiten.

Bürger und Kommunikationsindustrie brauchen einen neuen, aufgeräumten Medien-Staatsvertrag, der das Nötige und Wesentliche regelt, und alles Weitere zur Verhandlung an den Markt und wenige, dafür satisfaktionsfähige Institutionen überweist.

Medienrecht ist reformbedüftig

2. "Die Ausrichtung des Medienrechts am Modell der Rundfunkregulierung", so hat es der Frankfurter Professor für Öffentliches Recht, Thomas Vesting, in dankenswerter Klarheit formuliert, "dürfte langfristig gesehen ein Auslaufmodell sein".

Das habe seine Gründe nicht so sehr in einem 'neoliberalen' Europarecht; es sei vielmehr die Erfindung des Computers, "die das Medienrecht umkrempelt und noch weiter umkrempeln" werde. Computer und World Wide Web "kassieren", so Vesting, alle anderen Medien(-vorstellungen). Diese Erkenntnis ist unangenehm. Die Medienpolitiker versuchen sich daran mit immer neuen Parzellierungen und Ad-hoc-Reaktionen vorbei zu mogeln.

So wird die Kompliziertheit von Medienpolitik und Medienrecht in Deutschland inzwischen nur noch vom Steuerrecht übertroffen. Neben die jeweiligen "Rundfunkänderungsstaatsverträge" und das allgemeine Kartellrecht sind noch der "Jugendmedienschutz-Staatsvertrag", das Telekommunikationsgesetz (TKG) und das vor allem auf das Internet bezogene "Telemediengesetz" (TMG), getreten, dazu kommen zahlreiche Einzelgremien mit Abkürzungen wie KEF, KEK, ZAK, ALM oder KJM, die Landesmedien- und -pressegesetze, die Rundfunk- und Fernsehräte.

"Das alles wirkt auf den ersten Blick recht pompös", sagt Vesting, "bleibt bei genauerer Betrachtung aber doch sehr vage". Das deutsche Medienrecht neigt dazu, auch einsichtige Modelle aus dem Ausland so zu verwirren, dass sie niemand mehr nachvollziehen kann, so den britischen Public Value Test, in Deutschland auch "Drei-Stufen-Test" genannt.

Diese Prüfung für neue Angebote des öffentlich-rechtlichen Systems interpretiert mittlerweile jeder anders, bis hin zu einem (nicht satirisch gemeinten) "Sieben-Stufen-Plan" der Medienprofessoren Holznagel und Siebenhaar. Gedroht wird mit weiteren Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen für "Experten": mit einer "Stiftung Medientest", als ginge es um Fahrräder oder Gesichtscremes, und einem modischeren "Centrum Public Value".

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hatte Recht, als er kurzzeitig ankündigte, sich dem 12. "RÄStV" zu verweigern. Nicht einmal der 10. dieser Änderungsverträge, so hatte sich Wulf beklagt, sei von den Länderparlamenten ratifiziert.

An der Qualität der Gesetzestexte war vom Parlamentarischen Dienst des Niedersächsischen Landtages deutliche Kritik geübt worden. Was Wulf von dem nun verabschiedeten Kompromiss hält, ist bislang nicht bekannt geworden.

Zwischen Bund und Land

3. Nach dem späten Import des britisch-amerikanischen Verständnisses von Kommunikationsfreiheit ist die Allianz zwischen Länder-Medienpolitik und Bundesverfassungsgericht 1961 etabliert worden - mit dem ersten "Fernsehurteil" des Bundesverfassungsgerichtes.

Seither ist das Verfassungsgericht so etwas wie die begründende Letztinstanz der deutschen Medienregulierung. Dass Rundfunk fast ausschließlich "Ländersache" wurde, als Gegenmodell zu den Propaganda-Vorstellungen der Adenauer-Regierung, hat sicherlich eine relative Unabhängigkeit von Hörfunk und Fernsehen heilsam gefördert, als es noch um den alten "Rundfunk" ging.

Doch das auch politisch gegen Adenauer gerichtete Urteil hatte einige merkwürdige Effekte. So amtiert Rheinland-Pfalz seit der Gründung des ZDF als Hüter der Länder-Rundfunkpolitik, bis hin zur in Mainz angesiedelten "Rundfunkkommission der Länder", die von einem Referat der pfälzischen Staatskanzlei betrieben wird.

Diese Nebenbei-Medienpolitik wirkt putzig - angesichts der neuen Wissenskonzerne (Google), internationalen Korporationen (wie News Corp., Time Warner, Disney) und der europäischen Regulierungsebene. Sie führt zu immer wieder monierten Schwerfälligkeiten, zu Kompetenzwirrwarr und bürokratischer Beschäftigungstherapie.

Mit den Landesmedienanstalten wurde für die Rahmenregelungen und die Aufsicht über den Privatfunk die föderale Medienpolitik noch einmal reaktiviert. Dies mag als "Standortpolitik" eine Zeitlang nützlich gewesen sein. Heute aber, nachdem der Rundfunkmarkt gesättigt und etabliert ist, sind die Voraussetzungen für eine solche Aufsichtsstruktur entfallen.

Die Alternative ist kein starrer "Zentralismus", sondern eine kenntlichere und effizientere Organisation in Bund-/Länder-Trägerschaft - selbst die kantonalstolze Schweiz hat mit der BAKOM ihre nationale Medienaufsicht. Regionale Einrichtungen könnten als Förder- und Beratungsinstitutionen weiter bestehen.

Ganz unabhängig von der unbestrittenen Fachkompetenz einiger Einzelpersonen in der Szenerie der "Medienwächter", wirkt das graue Establishment der Regulierer heute als "Sinnsperre" (Norbert Elias) für eine Medienpolitik, die dem Internet-Zeitalter angemessen und damit für neue Nutzergenerationen verständlich ist.

Lesen Sie auf Seite 2 mehr über die Kritikpunkte des Wissenschaftsrates.

Nicht ohne Grund hat der Wissenschaftsrat in seinem Gutachten zur Kommunikations- und Medienwissenschaft die unzureichenden Forschungsleistungen der Landesmedienanstalten kritisiert, die hauptsächlich regionalen Bezügen verhaftet geblieben sind.

Über die Provinzgrenzen hinweg entstehen ganz andere Machtdynamiken im publizistisch-technologischen Komplex: Rupert Murdoch etwa dürfte nicht nur das Abonnementsfernsehen "premiere" übernehmen, sondern demnächst auch noch ProSiebenSat.1.

Seine deutschen Unternehmen haben dann ihren Sitz zwar nicht in Mainz, aber in München und Berlin. Dem Berliner Medienkonzern Springer AG war einst im Kompetenzdschungel von Kartellamt, KEK und Landesmedienanstalten die Übernahme der ProSiebenSat.1-Medien AG untersagt worden.

Die Zukunft des Fernsehens

4. Das Fernsehen stirbt, aber es stirbt langsam. Dies gilt jedenfalls für das mit dem Wechsel von Genres und Formaten operierende Programmfernsehen. "The future of television", so BBC-Chef Mark Thompson, "is on demand".

Bei aller Vorsicht vor futuristischen Untergangsgesängen - das herkömmliche Programmfernsehen erleidet im 21. Jahrhundert einen heftigen Bedeutungs- und Zentralitätsverlust, weil es von dem umfassenderen und vielgestaltigeren Internet gekapert wird (es sei denn, man bezeichnete das audiovisuelle Internet wieder als "Fernsehen").

Medienpolitik aber war seit den 1950er Jahren vornehmlich Fernsehpolitik als Machtpolitik, mit der ausgesprochenen Annahme politischer und psychophysischer Sonderwirkungen dieses Mediums. Die Parameter dieser Politik wurden von Adenauer bis zu Helmut Kohls Kabel-und-Kirch-Strategie, von der CDU/CSU vorangetrieben.

Die SPD konnte nur Vorschläge für "fernsehfreie Tage" (Helmut Schmidt), ihren einsamen Medienpolitiker Peter Glotz und schließlich die NRW-"Standortpolitik" von Wolfgang Clement dagegen setzen. In der standortpolitischen Konkurrenz, besonders zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen, entwickelte sich in den 1980er und 1990er Jahren ein formal prosperierender, aber überbesetzter Fernsehmarkt - mit einer Senderinflation im unverschüsselten Fernsehen (Free-TV) und einem mit Akzeptanzschwierigkeiten beladenen Pay-TV.

Unabhängige Spartenkanäle wurden kaum aufgebaut, Alexander Kluges "Fensterprogramme" sind die umstrittene medienpolitische Ausnahme geblieben. Die Rolle der Autoren und unabhängigen Produzenten wurde weiter marginalisiert, oder von der Medienpolitik gar nicht beachtet.

Es kam zu einer Scheinblüte der deutschen Fernsehwirtschaft mit den beherrschenden Gruppen Kirch und Bertelsmann. Das Ergebnis ist zu besichtigen: Kirch-Konkurs, Ende der nordrhein-westfälischen Standortpolitik, Marktzutritt branchenfremder Finanzinvestoren, schrittweiser Rückzug von Bertelsmann aus den traditionellen publizistischen Geschäften.

Privatfernsehen in Deutschland wurde zu einem Importmedium, die aufregenden oder zumindest langlebigen Formate kommen aus Großbritannien, den USA, den Niederlanden oder Australien.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts kämpfen die Fernseh-Manager mit dem Verlust des Bildschirm-Monopols. Über die Flat Screens laufen heute Seiten des World Wide Web, Downloads, Games ebenso wie herkömmliche Fernsehsendungen und Live-Übertragungen.

In vielerlei Hinsicht ist inzwischen Apples iPhone, mit seinen multiplen Anwendungen und Botschaften, als Massenmedium für das Alltagsleben jüngerer Nutzer bedeutsamer als das traditionelle Fernsehen. Audiovision ist über das mobile Internet überall und immer präsent, aktuell, als Download, als Mediathek, durch Suchmaschinen auffindbar.

Im Gesamtansehen erscheint das alte stationäre Programmfernsehen zunehmend als Medium für Ältere und Unterschichten, für die immobilen Teile der Bevölkerung. Im Gegensatz zu den 1960er oder 1970er Jahren gibt es nur noch randständige Bindungen von ARD und ZDF an die gesellschaftliche Avantgarde, am ehesten noch im Hörfunk.

Die Bereitschaft zu ästhetischer Verfeinerung oder zur Weiterentwicklung der Formensprache ist gering; auch wenn die Sender mit TV-Serien wie "KDD" oder "Dr. Psycho" gelegentlich noch zeigen, was mit dem Medium geleistet werden kann. Das herkömmliche Fernsehen wird wohl noch eine Weile durch Sportübertragungen und etablierte Reihen oder Shows erfolgreich sein können.

Dennoch stellen sich mit dem Zentralitätsverlust des Fernsehens und der Möglichkeit des Internet-Downloads (die DVD war hier nur Zwischenstufe der medientechnischen Evolution) neue Fragen: Wer produziert für wen? Wer vergibt mit welcher Qualifikation Aufträge? Wer bezahlt Recherche-Journalismus? Wer kontrolliert die Urheberrechte? Wer bezahlt wie viel für die Nutzung publizistischer Inhalte?

Aufgescheuchte Debatte

5. Alle medienpolitischen Akteure in Deutschland handeln, angstbesetzt, aus einer Verteidigungsposition heraus: die Zeitungsverleger, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Länder-Politiker, die Journalisten. Sie fürchten, durchaus nicht unbegründet, Verluste ihrer jahrzehntelang komfortablen Stellungen, wollen die konkurrierenden Systeme legislativ in die Schranken verwiesen sehen, um selbst Terrain gewinnen oder wenigstens halten zu können.

Viele als journalistische Stellungnahmen in dieser Debatte annoncierte Beiträge waren in Wirklichkeit unternehmensstrategische Interventionen, was das Vertrauen des Publikums in solche dunklen Gesänge nicht unbedingt erhöht haben dürfte (zumal, wenn sich dann herausstellt, dass ein Verlagshaus nach dem anderen doch mit den öffentlich-rechtlichen Kontrahenten kooperiert).

Doch vor allem ein zersplittertes Medienrecht, das kaum noch Referenzen zur technologischen Wirklichkeit aufweist, wird nur zu weiterer Provinzialisierung führen. Dieser können die neuen Wissenskonzerne (die sich aus der alten Publizistik, dem World Wide Web und der Mobilkommunikation herausbilden) kalt lächelnd zusehen.

Manche Unternehmenslenker haben das, zum Verdruss ihrer Kollegen, auch begriffen: so Mathias Döpfner (Springer AG) mit seinem Vorschlag, den Auftritt von ARD und ZDF im Internet weitgehend zu deregulieren, auf der anderen Seite aber die öffentlich-rechtlichen Sender von Werbeschaltungen zu befreien.

Lesen Sie auf Seite 3 über die Zukunft von ARD und ZDF.

Neudefinition der gesellschaftlichen Rolle

6. Wenn die alten Grundannahmen des Rundfunkrechts (Frequenzknappheit, hoher Aufwand für die Fernsehproduktion, Annahmen besonderer TV-Wirkungen) ganz oder teilweise hinfällig werden, wird vor allem eine neue gesellschaftliche Übereinkunft über die Rolle öffentlich-rechtlicher Medien gebraucht.

Es wird umstritten bleiben, ob das kommode und finanzmächtige öffentlich-rechtliche System Marktversagen hervorruft oder aufgrund von Marktversagen gebraucht wird. Das öffentlich-rechtliche Mediensystem kann allerdings, nach dem Vorbild der BBC, von allen Bürgern und Marktteilnehmern als nationale Marke, als Entwicklungsfonds, als Gemeinschaftsunternehmen im Wortsinne gesehen werden.

Statt hilflos die Medienformen festzuschreiben, müssten zur Begründung eines solchen Gesellschaftsvertrages andere Fragen gestellt und beantwortet werden: Was leistet das reichste öffentlich-rechtliche System der Welt im internationalen Vergleich? Welcher Anteil von den 8,5 Milliarden Euro an Gebühren und Subventionen (incl. Deutschlandfunk und Deutsche Welle) fließt in die Sphäre der Autoren, Formatentwickler, Produzenten, also in den marktwirtschaftlichen Kreislauf? Wie exportfähig sind die Formate und Sendungen des deutschen öffentlich-rechtlichen Systems? Wie sehr konzentriert sich das Management der gebührenfinanzierten Sender auf seine Kernaufgaben, also unabhängigen Qualitätsjournalismus, Formatentwicklung, Talentförderung, Entwicklung der audiovisuellen Formensprache, auf die Pflege eines allgemein zugänglichen Fernseh-Archivs?

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist ermattet unter der Last seiner konstant hohen Alimentierung; ausgehöhlt durch die kurzfristige Orientierung an Einschaltquoten, die auf das Massenfernsehen von gestern verweist. Dem steht im Programm kaum Wagemutiges, Aufreizendes, Elegantes oder auch nur Zeitgenössisches entgegen.

ARD und ZDF werden auch kaum noch durch ihre kommerzielle Konkurrenz herausgefordert. Importiert das kommerzielle Fernsehen seine Formate zum großen Teil aus dem Ausland, so importiert das öffentlich-rechtliche System sein prägendes Personal von den ebenfalls verunsicherten privaten Wettbewerbern.

Die kleinen schöpferischen Zellen der Vergangenheit, wie "Radio Bremen" bei der ARD, die weit über ihre Quantitäten hinaus den Betrieb nach vorne brachten, sind ausgetrocknet. Das öffentlich-rechtliche System kann sich nicht mehr technologisch, auch nicht mehr über seine Rolle als gesellschaftlicher Integrator, sondern nur noch als Publisher, Qualitätsgarant, über Unabhängigkeit, Vielfalt und Außergewöhnlichkeit rechtfertigen.

Als Begründung eines gut ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Mediensystems wird es nicht mehr reichen, auf institutionelle Traditionen, "Entwicklungsgarantien" und das Bundesverfassungsgericht zu verweisen. Im Moment profitiert das öffentlich-rechtliche System noch davon, dass die Politiker und ihre Trabanten in den Aufsichtsgremien nicht viel vom Realprogramm der Anstalten wissen.

Es wäre illusorisch und auch gar nicht wünschenswert, die Aufsichtsräte des öffentlich-rechtlichen Systems zu Experten der Programmherstellung oder Formatentwicklung en detail zu machen. Wenn man allerdings die Hohlvokabel "Medienkompetenz" schon weiter tradieren will, dann sollte den Politikern und diversen Fernseh-, Rundfunk und Medienräten etwas über die Dynamik jenes transnationalen (Medien-)Feldes mit seinen Konvergenzen und Fusionen beigebracht werden, das sie beobachten und in dem sie Entscheidungen treffen sollen.

Europäische Perspektive

7. Die "europäische Ebene", also "Brüssel", ist in den letzten Jahren gern von den Verbänden der Verleger und privaten Rundfunksender angerufen worden, weil sich die Länder-Rundfunkpolitik zunehmend als Lobby-Veranstaltung für das öffentlich-rechtliche System erwiesen hat.

Die Ministerpräsidenten von links bis rechts schätzen die gut ausgestatteten Sender im eigenen Vorgarten, mit sicheren Arbeitsplätzen, garantierten Auftrittsmöglichkeiten für Landespolitiker, Gremiensitzen für die politische Klasse und etablierte gesellschaftliche Verbände, halbwegs gesitteten Programmen. Vergessen sind die einstigen Parolen zur "Entautorisierung" des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, wie vor allem die Verbandsvertreter der Privatsender immer wieder enttäuscht feststellen müssen.

Auch das "SMS-Papier" der damaligen Ministerpräsidenten Steinbrück, Milbradt und Stoiber, mit dem zu einer grundsätzlichen Reform der öffentlich-rechtlichen Sender angesetzt werden sollte (mit dem Ziel einer Gebührendeckelung), blieb weitgehend Absicht. Doch "Brüssel" funktioniert als Delphi-Orakel und Klageinstanz nur begrenzt.

Zum einen gibt es auch hier Kompetenzüberschneidungen zwischen den Kommissariaten für Wettbewerb (zurzeit: Neelie Kroes) und für Medien und Informationsgesellschaft (Viviane Reding), zum anderen ist die EU-Medienpolitik hoch inkonsistent.

So konnte Silvio Berlusconi als reichster Medienunternehmer seines Landes zum dritten Mal Italiens Ministerpräsident werden - und seine Tele-Macht ohne europäische Regulierungen weiter tradieren -; auch gegen Nicolas Sarkozys Absicht, den Chef des französischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks höchst selbst zu ernennen, gibt es offenbar keinen europäischen Hebel.

Und die britische Regierung erlaubt der BBC gerne eine stärkere weltweite Expansion, und sei es über den formalen Weg der kommerziellen Tochter "BBC Worldwide". Gibt es gleiches europäisches Recht für alle Mitgliedsländer, so kann man auch ARD und ZDF (bzw. deren Aufsichtspolitikern) eine solche Strategie schlecht verwehren. "Brüssel" ist medienpolitisch so wirkungsvoll wie Fantomas. Die kommerziellen Anbieter in Deutschland sollten sich von dieser Adresse nicht allzu viel erhoffen, sie müssten zunächst Stärke im publizistischen Wettbewerb erweisen.

Medienpolitik als Metapolitik

8. Medienpolitik in Deutschland ist ein Beispiel für nicht-satisfaktionsfähige Politik, die sich technokratisch und formaljuristisch weit von ihrem lebendigen Bezugsfeld entfernt hat. Es gibt keine Instanzen, von denen man klare Ansagen erwartet, kaum Politiker oder Unternehmer, die für spannende intellektuell-strategische Entwürfe stehen.

Dabei ist Medienpolitik nicht ein Politikfeld unter mehreren, sondern eine Art Meta-Politik: durch Handeln oder Unterlassen wird in diesem Feld entschieden, wie über das Politische insgesamt gedacht und geredet wird. Personal und Institutionen der Medienpolitik sind also über das juristische Spezialistentum oder kurzfristige Verbandsstrategien hinaus zu qualifizieren.

1968 schrieb Marshall McLuhan in seinem Buch "Krieg und Frieden im globalen Dorf": "Es wird bald unmöglich sein, einen leidlich aufgeweckten Menschen dazu zu bringen, eine hohe Stellung in der Politik oder im Geschäftsleben anzunehmen, denn die Staffelungen der alten Organisationsvorstellungen beginnen so bedeutungslos und überholt auszusehen wie die Berechnungen eines mittelalterlichen Astrologen".

© SZ vom 17.07.2008/sueddeutsche.de/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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